Die erste deutsche Islam-Konferenz ist ein Wendepunkt im Umgang mit dem Islam in Deutschland. Allerdings bleibt das Grundproblem bestehen: Wer hat die Autorität, alle Muslime zu vertreten?
Auch wenn die erste deutsche Islam-Konferenz der Bundesregierung eher einen symbolischen Charakter hat, markiert das Treffen einen Wendepunkt im Umgang der staatlichen Organe mit dem real existierenden Islam in Deutschland. Denn der Staat redet endlich mit Muslimen und nicht nur über sie. Der Dialog zwischen dem Staat und den Vertretern des Islam soll die gegenseitige Wahrnehmung und Zusammenarbeit in den kommenden zwei bis drei Jahren auf neue Grundlagen stellen. Die zentrale Frage dabei: Wie kann das Verhältnis von Muslimen zum Staat geregelt werden?
Dass es den "organisierten Islam", also eine offizielle Vertretung aller in Deutschland lebenden Muslime, nicht gibt, erfuhr die deutsche Öffentlichkeit als die Appelle an die Muslime nach jedem verübten oder vereitelten Terroranschlag lauter wurden: Sie sollen sich in unmissverständlicher Form vom Terror im Namen ihrer Religion distanzieren, hieß es - aber wer waren diese "sie"?. Denn die etwa 3,5 Millionen Muslime in Deutschland sind kein homogener Block: Es exstieren mehr als 70 muslimische Verbände und 2500 Moscheegemeinden im gesamten Bundesgebiet. Der Streit um die Frage, wer zur Islam-Konferenz eingeladen wurde, verdeutlichte diese Tatsache, zumal die eingeladenen Organisationen nicht einmal 15 Prozent der hier lebenden Muslime vertreten.
Neben einer Kultur der Anerkennung, die die Leistungen der Deutschen mit muslimischem Hintergrund zu würdigen vermag, sollte man eine Gleichstellung des Islam mit dem Christentum und dem Judentum als langfristiges Ziel anstreben – Voraussetzung dafür wäre allerdings ein innerislamisch breiter Konsens über eine repräsentative Vertretung. Mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung als Basis.
GLOSSAR
Grundgesetz, das - die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland
Wendepunkt, der - hier: ein Zeitpunkt an dem eine wichtige Veränderung eintritt
Umgang, der - hier: wie jemand behandelt wird
Autorität, die - eine hohe, machtvolle Stellung
symbolisch - sinnbildlich
etwas markieren - etwas kennzeichnen
real - wirklich; tatsächlich
Dialog, der - ein Gespräch zwischen zwei oder mehreren Personen
Wahrnehmung, die - die Betrachtungsweise
Verhältnis, das - die Art der persönlichen Beziehung; die Stellung zueinander
Appell, der - der Aufruf
etwas vereiteln - wenn jemand verhindert, dass ein Anschlag, ein Plan, ein Fluchtversucht etc. erfolgreich durchgeführt wird
unmissverständlich - eindeutig; so, dass es jeder verstehen muss
sich von etwas distanzieren - erklären, dass man eine Äußerung oder eine Aktion nicht gut oder nicht richtig findet
homogen - gleich; einheitlich
jemanden oder etwas würdigen - jemanden oder etwas anerkennen und loben
jemand vermag etwas zu tun - jemand ist in der Lage etwas zu tun