Das mondäne Paris war ein Paradies für Ratten, bis Eugène-René Poubelle am 7. März 1884 per Dekret die ersten Abfalleimer in Umlauf brachte. Eine Großtat, vive la France!
Mülltrennung. Das ist nun nichts, was man mit dem großen Kulturvolk der Franzosen in Verbindung bringen würde. Das Volk, das das savoir vivre, den foie gras, die nouvelle vague, ja einfach das ganze je ne sais quoi erfunden hat. Mülltrennung - das stammt ja nun bestimmt von den gewissenhaften Deutschen, genauso wie le waldsterben und la weltanschauung. Aber da sieht man mal wieder, wie nationale Stereotype uns oft in die Irre führen. Non, die ersten Mülltrenner waren in der Tat die Franzosen. Und das kam so:
Lumpen, Glasscherben, Fischköpfe, Pferdeäpfel, Kartoffelschalen ...
Versetzen wir uns in das Paris des späten 19. Jahrhunderts. Ah, Paris. Die Stadt der Liebe, der Schönheit, la ville lumière. Breite kopfsteingepflasterte Avenuen, flankiert von exakt gestutzten Platanenalleen. Auf den Boulevards flanieren elegante Damen und distinguierte Herren mit Zylinder. Aber, mon dieu, was liegt denn da am Straßenrand? Doch nicht etwa - Müll? Bien sûr: Lumpen, Glasscherben, Asche, Fischköpfe, Hühnerknochen, Pferdeäpfel, Kartoffelschalen, darüber womöglich noch den Nachttopf geleert. Dégoûtant, denkt der Mensch, der gerade mit seinen polierten Lederschuhen über einen solchen stinkenden Haufen stolpert, délicieuse hingegen denkt die Ratte. Sie freut sich, an jeder Straßenecke ein Festessen vorzufinden und gründet zuversichtlich große Familien. Auch am romantischen Ufer der Seine huschen die Nager umher, denn die Kloake führt so manchen Leckerbissen mit sich. La belle époque für Ungeziefer, sozusagen.
Mit dem Ungeziefer verbreiten sich Krankheiten. Immer wieder aufflackernde Epidemien kosten Hunderte von Menschenleben. Nun kann man schlecht "vive la France" rufen und dabei tatenlos zusehen, wie die Mitmenschen von vermeidbaren Krankheiten dahingerafft werden. Ein Widerspruch, der auch Eugène-René Poubelle aufstößt. Der studierte Jurist ist Präfekt des Département Seine. Er erlässt am 7. März 1884 ein Dekret, um das Müll-Problem in den Griff zu bekommen: Jeder Hausbesitzer muss für seine Mieter Müllbehälter bereitstellen, die regelmäßig von Entsorgungsfirmen geleert werden.
Revolutionär ist sein System früher Abfalltrennung: Es gibt drei Tonnen, eine für kompostierbare Abfälle, eine für Papier und Lumpen und eine dritte für Porzellanscherben und - Austernschalen. Ah, la grande nation!
"Poubelle" für "Mülltonne"
Dass ausgerechnet ein Jurist seinen Namen der Mülltonne leiht, soll jetzt kein, nun, abfälliges Bild auf die Zunft werfen. Schon wenige Jahre nach dem Müll-Gesetz hatte sich nämlich der Begriff "Poubelle" für "Mülltonne" im Sprachgebrauch durchgesetzt. Es klingt nun einmal griffiger als die von Poubelle selbst kreierte, etwas sperrige Bezeichnung "mit Weißblech ausgekleidetes Auffangbehältnis aus Holz".
Beliebt hat Monsieur Poubelle sich nicht damit gemacht, als er die bürgerlichen Freiheiten der Parisiens so gnadenlos beschnitt. Das merkt man auch daran, dass erst Jahre nach seinem Tod 1907 eine Straße in Paris nach ihm benannt wurde. Ein kurze Straße mit gerade mal einer Hausnummer, und ganz wenig Mülltonnen.