Stimmt es wirklich, dass Deutsch um ein Haar die offizielle Landessprache in den USA geworden wäre? Die Ereignisse des 9. Januar 1794 sind der Ursprung der sogenannten "Mühlenberg-Legende".
Legenden sind langlebig und werden je nach Interessenlage unterschiedlich, ja mitunter total gegensätzlich interpretiert. Eine geistert seit mehr als 200 Jahren durch amerikanische und deutsche Lande. Und die geht so: Ende des 18. Jahrhunderts soll es in den Vereinigten Staaten eine Gesetzesvorlage gegeben haben, nach der Deutsch als offizielle Landessprache eingeführt werden sollte. Und der Deutsch-Amerikaner Frederick Mühlenberg habe das mit seiner Stimme verhindert. Doch einen solchen Antrag - geschweige denn eine Abstimmung darüber - hat es nie gegeben.
Kein Paradies
Wahr ist allerdings, dass deutsche Einwanderer aus Virginia am 9. Januar 1794 beim US-Repräsentantenhaus eine Petition einreichten, nach der Gesetzestexte künftig in Englisch und Deutsch veröffentlich werden sollten, damit alle Einwanderer diese Verordnungen lesen und verstehen könnten, auch die, die nur wenig oder noch gar kein Englisch beherrschten. Denn die Migranten taten sich schwer mit dem Erlernen der neuen Sprache. Für viele fungierte das Deutsche gewissermaßen als Schutzschild. Sie fühlten sich verloren in der Fremde. Verängstigt von der unvorstellbaren Weite des Landes, den unbegrenzten Möglichkeiten, aber auch den unbegrenzten Gefahren. Dazu desillusioniert von den harten, ja brutalen Lebensbedingungen. Ein "Paradies", wie es in vielen Auswandererbriefen gepriesen worden war, hatte sie in Amerika nicht erwartet. Was lag also näher, als zusammen zu rücken und Sprache, Religion und Tradition zu bewahren.
Besonders drastisch kapselten sich religiöse Gruppierungen wie die Amish und Mennoniten vom ungewohnten "way of life" ab. Amerikanische Präsidenten wie Thomas Jefferson sahen darin nicht nur eine Bedrohung der sprachlichen Einheit, sondern kritisierten eine solche Haltung auch als rückständig und damit gefährlich für die demokratische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des Landes. Der Antrag, Deutsch als Amtssprache gleichberechtigt neben Englisch gelten zu lassen, scheiterte mit 42 zu 41 Stimmen.
Frederick Mühlenberg, erster Sprecher des Repräsentantenhauses und damit auch der erste Deutsch-Amerikaner im amerikanischen Kongress konnte zufrieden sein. Schließlich war auch er stets der Meinung: "Je eher die Deutschen Amerikaner werden, desto besser ist es." Und obwohl er der Abstimmung ferngeblieben war, sprach man in diesem Zusammenhang fortan von der Mühlenberg-Legende.
Schiller im Central Park
Mochten die einen erleichtert, die anderen enttäuscht sein vom Scheitern der Petition, so gelang es doch den meisten, sich mehr und mehr mit Amerika zu identifizieren, indem sie ihren Fleiß, ihr Können und ihre kulturellen Werte einbrachten. So waren die rund 20.000 Arbeiter, Gärtner, Maurer und Tagelöhner, die den New Yorker Central Park einrichteten, zum Großteil deutscher Abstammung. Es wundert also nicht unbedingt, dass ausgerechnet hier als Erstes Denkmäler, zu Ehren von Friedrich Schiller und Alexander von Humboldt aufgestellt wurden.
Auch die sprachlichen deutschen Spuren - vor allem im Kulinarischen - sind bis heute sichtbar, ob nun Bratwurst, Schnitzel oder Schnaps. Aber auch Begriffe wie Wunderkind, Waldsterben, Zeitgeist, Autobahn oder Scheißkerle gehören zum festen Bestandteil der amerikanischen Umgangssprache, die heute von 97 Prozent der US-Bevölkerung gesprochen wird. Dabei zählen die Vereinigten Staaten zu den wenigen Ländern der Welt, die bis heute keine verfassungsrechtlich gesicherte Amtssprache eingeführt haben.