Der nach seinem Erfinder Jacques César Charles Charlière genannte Ballon schaffte bei seinem ersten Flug 45 Minuten in der Luft, bis ins Dorf Gonesse. Dort war er gänzlich unwillkommen. Autor: Simon Demmelhuber
Paris steht Kopf. Seit Tagen gibt es nur ein Thema: Den Aufstieg der Aerostatischen Maschine des Jacques César Charles. Das Wunderwerk bringt die Gerüchte zum Brodeln, und auch sein Schöpfer setzt allerhand Gerede in Gang: Mit "Brennender Luft" soll er in seinem Labor hantieren und insgeheim Flugschiffe bauen, die bald schon Menschen in den Himmel tragen werden.
Für den 27. August 1783 hat der Physikprofessor eine erste Probe seiner Künste ankündigt. Schon gegen Mittag ist das Marsfeld rappelvoll. 300.000 Schaulustige rempeln und schieben dichtgedrängt auf der riesigen Brache. Von den regenschweren Wolken, die im Südosten aufziehen, nimmt niemand Notiz. Alles starrt auf die Mitte des Platzes, wo sich eine fest vertäute, rotweiß gestreifte, prallgefüllte Seidenkugel unter ruppigen Windböen duckt.
Schon hebt er ab
Um 17 Uhr sorgt ein Kanonenschuss für Schweigen. Aus dem Grund der plötzlichen Stille löst sich "Le Globe" zaudernd vom Boden, so als würde er seiner neuen Bestimmung noch nicht so recht trauen. Dann steigt er rasend schnell auf, schießt höher und höher. Während der Ballon über Montmartre entschwindet und die Augen der verzückten Menge mit sich reißt, tobt das Unwetter los. Doch was wiegt das, wenn man gerade ein Wunder erlebt hat und vor Glück nur noch heulen und dem nächstbesten Nachbarn schluchzend in die Arme fallen will!
In Gonesse, einem Dorf gut 20 Kilometer nordöstlich vor Paris, ahnt man von alledem nichts. Hier gehört der Himmel den Vögeln, Engeln und Heiligen. Wenn sonst etwas fliegt, dann allenfalls böse Geister und andere Satansgesellen. Gegen 18 Uhr bricht genau dieses diabolische Gelichter über Gonesse herein. Etwas Bedrohliches, Lasterhaftes, Unheilkündendes stößt aus den Wolken herab. Etwas das flattert, zuckt und zappelt, das wie gepeitscht hin- und herschießt, sich dreht und wälzt, als hätte es den Teufel im Leib.
Immer näher kommt das Grauen, trudelt und stürzt, schlägt vor einem Schuppen auf, bläst und röchelt wie im Todeskampf, schnaubt ein letztes Mal, stinkt wie Schwefelpfuhl und Höllendunst, fällt zusammen, bleibt reglos inmitten stockstarrer Bauern liegen.
Im Namen des Herrn
Vom Tumult alarmiert, eilt jetzt der Pfarrer herbei, mahnt zu Ruhe und Besonnenheit, besprengt den erschlafften Balg dennoch mit Weihwasser und bannt das Böse im Namen des Herrn. Derart geistlich gestärkt wagt sich der Mutigste vor, sticht prüfend mit der Gabel auf das Ungetüm ein. Als die Gegenwehr ausbleibt, halten sich die enthemmten Bauern für den durchlebten Schrecken schadlos. Mit Sensen, Sicheln, Dreschflegeln, Knüppeln hauen und prügeln sie auf den Teufelsdreck ein, schleifen die kläglichen Fetzen zuletzt am Schweif eines Pferdes unter johlendem Triumphgeschrei über Äcker und Felder.