Wer Wagnerianern ihren Meister madig machen will, muss damit rechnen, dass ihr Gegenüber, wie seinerzeit Alfred Pringsheim, zum "Schoppenhauer" wird.
Eigentlich hatte es so ausgesehen, als würde es wieder ein gemütlicher Abend werden, bei "Angermann" in Bayreuth. Man saß beim Bier, Angermann hatte vor dem Lokal die Stühle auf die Straße gestellt, auf großen Fässern standen volle Krüge. Drei Tage zuvor war oben auf dem Hügel das neue Festspielhaus eingeweiht worden, bei den Aufführungen war zwar gelegentlich was danebengegangen, aber insgesamt konnte man sehr stolz sein auf das, was da in so vielen Jahren mühevoller Arbeit erreicht worden war. Und jetzt saßen sie unten bei Angermann wieder beisammen: die Sänger, die Musiker, die Bühnenarbeiter und die von weither angereisten Fans des großen Richard Wagner. Unter ihnen ein Mann der allerersten Stunde. Alfred Pringsheim, 25, Doktor der Mathematik, ausgezeichneter Pianist und schwer reich, er hatte den Bau des Hauses durch den Kauf dreier Patronatsscheine unterstützt. Vor Wochen schon war Pringsheim nach Bayreuth gekommen, der Meister persönlich hatte ihm erlaubt, bei den Proben mit dabei zu sein.
Blutiges Bayreuth
Allerdings traf man nicht bloß Wagner-Freunde in Bayreuth. Aus ganz Deutschland waren Leute angereist, die dabei sein wollten, wenn sich Wagner am Premierenabend unsterblich blamieren würde. Und auch diese Menschen tranken gern bei Angermann ihr Bier. So dass hier die einen auf die anderen stießen, und dabei durchaus die eine oder andere Bemerkung fiel. An diesem Abend etwa rief einer mit lauter Stimme, was das doch alles für ein neutönerischer Schwindel sei, und er wolle behaupten, mit einem einzigen Strauß-Walzer könne man die ganze Gesellschaft von ihrem Hügel herunterholen. Pringsheim verbot dem Frechdachs die ungehörige Sprache, der konterte, und es dauerte nicht lange, da mischte sich ein weiterer Wagner-Gegner in den Diskurs. Es war der berühmte Shakespeare-Experte Professor Friedrich August Leo aus Berlin, der ebenfalls eigens zur Premiere angereist war und nun fragte, wie viel Pringsheim denn schon getrunken habe, weil er so einen Unsinn redete, und wenn er nichts vertrüge, solle er es doch lassen.
Die Angermannsche Kellnerin hatte gerade frisch gefüllte Bierkrüge auf die Tische gestellt, und als der Professor Leo über den Doktor Pringsheim sagte, er sei ja nicht einmal satisfaktionsfähig, griff sich Pringsheim einen Krug und schmiss ihn quer über den Tisch dem Professor Leo an den Kopf. Der ging zu Boden und blutete aus der Nase. Freunde kümmerten sich um ihn, und die Journalisten kabelten sogleich an die Redaktionen: "In den Straßen von Bayreuth fließt bereits Blut!" Ein anderer dichtete für sein Blatt den schönen Vers: "Wo sich Aug‘ und Ohren laben, will die Nase auch was haben." Und weil der Krug, den Pringsheim so schwungvoll geworfen hatte, unter den Einheimischen den Namen "Schoppen" trug, nannte man Pringsheim fortan den "Schoppenhauer".
Der "Schoppenhauer"
Ein paar Wochen später trafen sich Pringsheim und der Herr, mit dessen Walzer-Bemerkung alles angefangen hatte, an einem verschwiegenen Ort bei Berlin und duellierten sich mit Pistolen. Beide schossen drei Mal, beide schossen drei Mal daneben, danach war die Sache ausgestanden und vergessen. Pringsheim bewahrte die Duellpistolen in seinem Haus und zeigte sie noch Jahrzehnte später gern den Gästen. Seine Frau Hedwig sagte bei der Gelegenheit einmal: "Wenn du den damals erschossen hättest, Alfred, ich hätte dich nicht geheiratet!" - Und Pringsheim antwortete: "Ihn aber auch nicht."