Wann kommt welcher Bus und warum fährt jetzt nichts, wo ich da wäre und wohin wollte? Fragen über Fragen, die sich klären, als der erste Verkehrsverbund der Welt ins Leben tritt. Autorin: Birgit Magiera
Hamburg in den 60er Jahren: Das waren die Auftritte der Beatles, – die verheerende Flut-Katastrophe, und das waren auch die massiven Proteste gegen den Besuch des Schah von Persien. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat immer wieder Zeitgeschichte geschrieben, auch am 29. November 1965. Im kollektiven Gedächtnis ist dieser Tag zwar nicht verankert, aber er sollte den Alltag vieler Menschen zum Angenehmen verändern.
Am 29. November 1965 sitzen im Hamburger Rathaus im prächtigen Bürgermeistersaal sechs Herren an einem langen Tisch. Feierlich unterzeichnen sie nacheinander die vor ihnen liegenden Vertragspapiere, unter den Augen der versammelten Presse und vieler Ehrengäste. Füllfederhalter werden gezückt, Sektgläser gefüllt, Hände geschüttelt. Erstaunlich, dass es zugeht, wie bei einem Staatsakt. Sonst werden solche Angelegenheiten heimlich und unauffällig erledigt: Schließlich geht es um Preisabsprachen unter konkurrierenden Unternehmen, Vereinbarungen zur Kooperation, – höchst illegale Machenschaften zum Schaden der Kunden, –normalerweise. Hier jedoch haben Hunderttausend Menschen jahrelang auf dieses Kartell gewartet: als erste weltweit bekommen die Hamburger in ihrer Stadt einen Verkehrsverbund für den öffentlichen Nahverkehr.
Die Räder vom Bus rollen…
Was banal und selbstverständlich klingt, war eine Revolution: mehrere private Transportunternehmen sollten ihre Firmen-Egoismen zurückstellen und kooperieren, zugunsten ihrer Fahrgäste. Wo gibt’s denn sowas? Bisher noch nirgends. Stattdessen wurde den Kunden das Bus- und Bahnfahren so unangenehm wie möglich gemacht. Fahrpläne wurden absichtlich nicht aufeinander abgestimmt, im Gegenteil. Schließlich wollte jeder Betreiber seine Fahrgäste so lange wie möglich auf den eigenen Verbindungen halten. Da war es gerade recht, wenn der Zug von der Konkurrenz bei Ankunft des Busses am Bahnhof bereits abgefahren war. Eine Fahrt von Buxtehude nach Bargteheide konnte so durchaus zur Reise mit Übernachtungsstopp werden.
Auch an Tarifen und Fahrkarten musste der Hamburger immer mehrere in Kopf und Tasche haben. Ungewolltes Schwarzfahren war wohl deutlich weiterverbreitet als der absichtliche Betrug. Man stelle sich nur vor, wie einer ehrbaren Bürgerin mittleren Alters während einer Fahrkartenkontrolle im Bus die Schamröte ins Gesicht schießt: und alles nur, weil der Fahrschein zwar ordnungsgemäß erworben und entwertet, aber leider auf dieser Linie nicht gültig ist.
Im Wagen von der Linie 8?
Die Notwendigkeit, etwas zu ändern, war offensichtlich. Dennoch dauerte es von der ersten Absichtserklärung bis zur Unterschrift im Bürgermeistersaal fünf Jahre. Heftigster Streitpunkt und kompliziertester Abschnitt im Vertragswerk war die Frage: wer bekommt wieviel vom gemeinschaftlich erwirtschafteten Gewinn? Und wer trägt welche drohenden Verluste? Auch darauf fand man schließlich Antworten. Und in den nächsten Jahren folgten viele Städte in Deutschland dem Hamburger Verkehrs-Verbunds-Beispiel. – Die Fahrt von Buxtehude nach Bargteheide dauert heute eineinhalb Stunden, mit einmal Umsteigen am Hamburger Hauptbahnhof.