Zwei Brillenschleifer-Lehrlinge erfanden gleichzeitig das Fernrohr und das Mikroskop - eine Spielerei mit zwei optischen Linsen. Autorin: Susanne Tölke
Was legt man als Erstes unter die Linse, wenn man ein Mikroskop geschenkt bekommt? Meistens ist es ein Haar vom eigenen Kopf. Erstens, weil es leicht verfügbar ist, zweitens, weil die Betrachtung körpereigener Substanzen unter dem Vergrößerungsglas immer etwas Magisches hat. So ging es auch den zwei namenlosen Lehrlingen in der Brillenschleiferwerkstatt des Hans Janssen im holländischen Städtchen Middelburg. Um den Schleifvorgang zu kontrollieren, benutzten sie Lupen. Sie betrachteten also eine Linse durch eine andere. Wenn der Abstand zufällig der richtige ist, kann man, je nach Linse, entweder weit entfernte Dinge ganz nahe sehen oder winzig kleine Dinge vergrößern. Die zwei Jungs, die damit herumalberten, erfanden am 30. August 1590 gleich zwei Instrumente: das Fernrohr und das Mikroskop. Namenlos sind sie deshalb geblieben, weil Galileo Galilei, der so ein Fernrohr bald in die Hand bekam, der Erste war, der die optische Theorie dazu liefern konnte und somit als Erfinder desselben auftreten konnte, und das tat er auch ganz ungeniert.
Flöhe, Plankton, Hefekügelchen
Der Erfolg war drastisch, denn auf das Fernrohr hatten alle gewartet: die Seeleute, die Militärs und die Astronomen. Mit einem Schlag gab es unzählige Sterne am Himmel, der Saturn hatte auf einmal einen Ring, der Mond hatte Krater und die Sonne Flecken. Das Fernrohr war einfach der große Schlager. Auf das Mikroskop hingegen hatte keiner gewartet. Das Bedürfnis, winzig kleine Dinge sichtbar zu machen, kleiner als das menschliche Auge sie wahrnehmen kann, war zu jener Zeit nicht entwickelt.
Der Gedanke, dass der Bauplan der Schöpfung in Richtung mikro genauso staunenswert sein könnte wie in Richtung makro, musste erst noch gedacht werden. Es dauerte eine Weile, bis der erste Wissenschaftler sich mit derselben Begeisterung Haare, Fliegen, Flöhe und Schneeflocken unter die Linse legte wie jedes Kind, das zu Weihnachten ein Mikroskop geschenkt bekommt.
Es war der Freund und Zeitgenosse des Malers Vermeer, der Delfter Beamte Antoni van Leeuwenhoek, der als Erster so gute Linsen schliff, dass eine 350-fache Vergrößerung möglich war. Alles, was in seiner Umgebung nicht niet- und nagelfest war, legte er unter sein geliebtes "Vergroterungsglas". Natürlich waren das jede Menge Flöhe, aber auch Plankton aus der Regentonne hinterm Haus, Hefekügelchen aus dem Bier und immer wieder Substanzen des eigenen Körpers: Haut, Haare, Blut, Schweiß und Sperma. Auf diese Weise entdeckte Leeuwenhoek die Bakterien, er nannte sie "beasties", und die Spermatozoen in der Samenflüssigkeit des Mannes.
Wir können uns gut vorstellen, wie er seiner Frau auf die Nerven ging, weil er nur noch vor dem Mikroskop saß und dabei so eklige Sachen untersuchte wie den aus einem Pickel ausgedrückten Eiter. Als er dann aber Mitglied der angesehenen Delfter Anatomie und der noch viel angeseheneren Royal Society wurde, er, der kleine Gerichtsdiener, da war sie dann doch sehr stolz auf ihn. Als absoluten Höhepunkt betrachtete sie das Lobgedicht des Anatomievorstandes zu Antonis 70. Geburtstag. Man kann heute noch hören, welche Mühe sich der Präsident beim Dichten gegeben hat.
"'Durch welche Wunder doch allhier die Welt bestehet!',
sprach Leeuwenhoek und guckte durch sein Schauglas klar,
mit einem großen Zauberauge: 'Kommt her und sehet,
was noch in Finsternis bisher begraben war!' …
Er fischt aus Tonnen, Teichen und aus Seen
unzähl´ge Wundertier. Wer hätte das geglaubt, eh es sein Aug gesehn?
Drum, Delfter Bürger, preist, so lang ihr weilt auf Erden, den Leeuwenhoek und das, was Gott ließ werden!"