Auf der Bühne war sie Lady Day, mit weißer Gardenie im Haar. Sie lebte ihre Songs. Eine schwarze Sängerin - manchmal nicht schwarz genug für die Weißen, weshalb man sie zwang, schwarz geschminkt aufzutreten. Autor: Markus Vanhoefer
"Kunst kommt von können", heißt es. Dennoch gibt einige, wenige Künstler, deren charismatische Wirkung sich nicht mit ihrem meisterlichen Können erklären lässt. Die tragische Jazz-Diva Billy Holiday ist ein Beispiel für dieses Phänomen.
Unter den vielen Tondokumenten, die Billy Holidays‘ Magie festhalten, ist ein knisternder Schwarz-weiß-Film. Er zeigt eine bildschöne farbige Frau mit der sinnlichen Eleganz eines Mannequins.
Gelebte Songs
"Southern trees bear a strange fruit - Die Bäume im Süden tragen eine seltsame Frucht", singt sie, begleitet von wenigen dunklen Klavierakkorden. Billy Holidays‘ Gesang ist schlicht, fast distanziert, dennoch schwingen in ihrem Timbre eine Erkenntnistiefe und Ausdrucksstärke mit, die uns Zuhörer im Innersten berühren, ja sogar erschüttern können. In etwa drei Minuten erfahren wir mehr darüber, was es bedeutet, aufgrund seiner Hautfarbe ausgegrenzt, gedemütigt und ausgebeutet zu werden, als in jeder ausführlichen Gesellschaftsanalyse.
"Strange Fruit", die "seltsamen Früchte", die an den Bäumen hängen, sind die Körper gelynchter Schwarzer.
Auch wenn sie nicht im US-amerikanischen Süden der Rednecks und "Klan-Rassisten" geboren wurde, wusste Billy Holiday, worum es in ihrem berühmten Lied ging.
Die Sängerin, die eine Ikone schwarzer Musik werden sollte, kommt am 7. April 1915 in der Ostküsten-Stadt Baltimore zu Welt und wächst unter prekären Verhältnissen auf. Im Kindesalter wird sie sexuell missbraucht und landet als Teenager in einem Bordell. Musik wird zur Türe in eine scheinbar bessere Existenz. 18-jährig nimmt sie mit Benny Goodman ihre erste Platte auf, die großen Orchester der Swing-Ära, wie die von Duke Ellington und Count Basie, engagieren sie.
Zahlreiche ihrer Plattenaufnahmen werden Hits. Allein "God bless the Child", heute ein Juwel aus der Schatzkiste der Jazz-Standards, wandert eine Million Mal über den Ladentisch.
Billy Holiday gastiert in der New Yorker Carnegie Hall und ist die erste schwarze Jazz- Sängerin, die in den heiligen Hallen der Metropolitan Opera auftreten darf.
"You got to pay the dues"
Während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind alle Afroamerikaner tagtäglich rassistischen Entwürdigungen ausgesetzt, selbst wenn sie umjubelte Stars sind. Als Mitglied der weißen Artie Shaw-Big Band muss Billy Holiday Hotels durch den Lieferanteneingang betreten. Ihrer Musiker-Kollegen stolzieren dagegen durchs Hauptportal.
"Du kannst bis über die Titten in Seide gekleidet sein, mit weißen Gardenien im Haar und die nächste Zucker-Raffinerie ist meilenweit entfernt, aber dennoch kannst du noch immer auf der Plantage arbeiten", so salopp sie es auch in ihrer Autobiographie formuliert, die Verletzungen sitzen tief.
Billy Holiday wird nur 44 Jahre alt. Am 17. Juli 1959 stirbt sie, nur noch ein Schatten ihrer selbst, in einem New Yorker Krankenhaus. Wie viele Jazz-Größen ihrer Generation ist sie schwer drogensüchtig. Show-Glamour und Rauschgift standen schon damals in einer unseligen, von Diskriminierung befeuerten Allianz.