Seit rund 60 Jahren werden in der staatlichen Stromkabelfabrik im Osten Beijings Kabel hergestellt. Die Arbeiter an den ohrenbetäubenden Maschinen sind wahrlich nicht zu beneiden. Beneidenswert hingegen sind die Eigentümer der neuen Loftwohnungen im „Kabel 8" einige Meter entfernt. Das „Kabel 8" ist ein brandneues Kulturzentrum mit trendigen Geschäfts- und Wohnräumen im Herzen von Beijings geschäftigem Finanzdistrikt – an bester Lage also.
Vor fünf Jahren wurde die Stromkabelfabrik massiv umstrukturiert. Gleich mehrere Maschinen und Fließbänder wurden stillgelegt. Infolge dieser Stilllegung waren plötzlich acht Werkhallen leer. Die Shangba Kultur GmbH begann im Jahr 2007, diese leeren Produktionshallen in Büro-Lofts umzubauen. Inzwischen sind bereits 22.000 Quadratmeter in Büroräumlichkeiten umgewandelt worden. Über 160 Filmproduktionsfirmen, Werbe- und Designagenturen, Medienunternehmen sowie Kunstworkshops haben sich schon hier niedergelassen.
Yu Bo ist stellvertretende Managerin der Shangba Kultur GmbH. Sie erzählt uns, wie die Zusammenarbeit zwischen der Stromkabelfabrik und ihrer Firma zustande kam:
„Das Management der Stromkabelfabrik hatte anfangs einige Bedenken über den Umbau der leeren Fabrikhallen. Und es war auch ein wenig skeptisch über die völlig neue Art der Zusammenarbeit. Als Staatsbetrieb musste das Management damals in erster Linie auf die Finanzen Rücksicht nehmen. Das Vermieten von Räumlichkeiten an Kunden aus dem Dienstleistungssektor war gerade erst legal geworden. Auf diese Weise lässt sich innerhalb kurzer Zeit viel Geld machen. Nur, in diese Fabrik passen solche Unternehmen nicht rein. Als wir die Fabrikleitung über unser geplantes Kulturzentrum unterrichteten, zeigte sie sofort großes Interesse. Die Fabrikleitung besuchte danach ein anderes von uns erfolgreich umgesetztes Projekt, das bei ihr auf große Zustimmung stiess.
Shangba-Gründer Xue Yunda hat an der Universität Kunst und Design studiert. Der 38-Jährige interessiert sich schon seit seiner Jugend für alte Fabrikanlagen. Mit dem Umbau von leerstehenden Fabriken in trendige Loft-Wohnungen ging für Xue Yunda ein Kindheitstraum in Erfüllung. Inzwischen ist er seit über zehn Jahren im Geschäft. In ihr neuestes Projekt, das „Kabel 8", haben Xue Yunda und seine Stellvertreterin Yu Bo all ihre Erfahrungen einfliessen lassen:
„Wir sind schon seit über zehn Jahren auf der Suche nach geeigneten alten Gebäuden und Fabrikhallen. Wir haben inzwischen schon die ganze Stadt durchforstet. An der Guanghua-Straße haben wir 1997 einige Werkhallen erfolgreich umgebaut. Sie werden nun von Studierenden und Dozierenden der Akademie für Kunst und Design der Tsinghua-Universität für Workshops benutzt."
Für das Projekt „Kabel 8" ist seit 2007 fast die halbe Fläche der Stromkabelfabrik umgebaut worden. Darunter mehrere Hallen, eine Garage, sowie je ein Labor- und Bürogebäude. Beim Umbau haben die Projektverantwortlichen versucht, den Charakter der alten Gebäude zu bewahren:
„Wir haben uns beim Umbau an gewisse Grundprinzipien halten müssen. Wir haben uns bemüht, das Erscheinungsbild der alten Gassen und Höfe zu erneuern, ohne dabei die Grundstruktur und die äußere Erscheinung der alten Bauten grundlegend zu verändern. Die Fenster und Türen, ja sogar die Reben an der äußeren Wand, haben wir so belassen wie sie waren."
Für die Renovation der öffentlichen Anlagen innerhalb von „Kabel 8" zeichnete die Shangba Kultur GmbH zuständig. Das Innendesign hingegen wurde von den hier angesiedelten Unternehmen in Eigenregie entworfen. Am meisten überrascht hat Yu Bo, dass viele Firmen versucht haben, die alten Maschinen und anderen originalen Bestandteile der Fabrik in ihre neuen Räumlichkeiten zu integrieren:
„An den Wänden entlang der Korridore hängen viele alte Fotorahmen. Die Rahmen sind zwar alt, die Bilder darin hingegen neu. Einige Firmen wollten die alten Maschinen beibehalten. So wurde beispielsweise eine abgenutzte Walze in einen kleinen Tisch umfunktioniert. Auch unser Wunsch war es, den Originalcharakter der Fabrik zu bewahren. Schon beim Betreten spürt man, dass dieser Ort hier einst eine Fabrik war. Erst nach einer Weile erkennt man die kulturellen Innovationen der jungen Generation. Dieser Sachverhalt entspricht nicht nur dem kulturellen Trend, sondern ist gleichzeitig auch noch umweltfreundlich."