Um 19.30 herrschte im Restaurant des Hotels Mühle Hochbetrieb. Das Unwetter hatte die Flanierenden in die Restaurants und Cafés getrieben, alle Tische waren besetzt mir hungrigen Gästen.
Die beiden Kellner hatten alle Hände voll zu tun, um den ungeduldig Wartenden ihre Wünsche zu erfüllen. Ein junges Paar war eben aufgestanden und verließ das Lokal. Der Tisch musste abgeräumt werden, schon warteten zwei neue Kunden auf die Speisekarte.
Immer wieder wurden die Kellner gefragt, ob der reservierte Tisch am Fenster zu haben sei, aber der war eben seit 19.00 Uhr für den amerikanischen General und seine Gattin belegt, die inzwischen auf der Autobahn in Richtung Rothberg unterwegs waren.
En kleiner Junge stieß versehentlich seine Fanta um und weinte, weil sein kostbares Getränk über die Tischdecke und auf den weichen Teppich lief. Die Mutter rief dem Kellner zu, man brauche einen Lappen und eine neue Fanta. Er nickte freundlich. Das Kind beruhigte sich wieder, da es nun Aussicht auf ein volles Glas hatte. Aber es kam nicht mehr dazu, davon zu trinken. Es trank nie wieder etwas.
Ein kleines Mädchen, etwa sieben Jahre alt, wartete an der Theke, um eine Flasche Cola für ihren kranken Bruder zu kaufen. Ihr kräftiges, braunes Haar wurde von einer blauen Schleife zu einem Pferdeschwanz gebändigt, ihre zarte Gestalt erinnerte unwillkürlich an eine junge Gazelle oder ein schlankes Reh. Geduldig wiederholte sie ihren Wunsch zum dritten Mal, als der Kellner in die Nähe kam. "Gleich, Simone!" versprach er und griff in das Kühlregal. Er reichte ihr die Flasche und nahm das Geld entgegen. "Grüß Egon von mir, und wünsche ihm gute Besserung."
"Danke." sagte Simone und wandte sich zum Gehen.
Mit einem grellen Blitz, der das Gewitter ausstach und ohrenbetäubendem Krachen explodierte der Speisesaal. Ein mit irrsinniger Wucht fliegender Splitter durchbohrte die Brust des durstigen Jungen, der seine neue Fanta noch nicht bekommen hatte. Der abgerissene Arm einer alten Dame traf ihn am Kopf, aber das spürte er nicht mehr, genauso, wie die Dame den Verlust nicht mehr bemerkte.
Simone hatte es nicht mehr ganz bis zur Tür geschafft. Ihr Bruder würde seine Cola nicht bekommen. Simone wurde von der Detonation in Stücke gerissen.
Die Druckwelle zerstörte Scheiben in einem großen Radius, das Hotelgebäude selbst zögerte einen Augenblick, bevor die Mauern zum Teil zusammenfielen. In der folgenden Stille hörte man nur das leise Knistern eines hungrigen kleinen Feuers, das sich seinen Weg nach mehr Nahrung suchte.
"Verdammte Scheiße!" flüsterte der Mann am Steuer des grauen Wagens. Das Auto hatte in der Druckwelle einen Satz rückwärts gemacht, sein Kollege hatte sich dabei den Kopf gestoßen. Er hielt die Kamera in der Hand und starrte auf den Trümmerhaufen, in dem die beiden amerikanischen Kollegen oder das, was von ihnen übrig sein mochte, lagen. Er drückte den Knopf an seinem Funkgerät und wiederholte für die Einsatzzentrale laut und deutlich: "Verdammte Scheiße."