Es war kurz nach zehn am Vormittag. Nur wenige Gäste gab es um diese Zeit im Lokal ´Zum Haifisch´. Henry, der Barkeeper sah zum Ecktisch herüber, wo sich ein Freier anscheinend mit Tanja, der neuen Nutte, nicht über den Preis einigen konnte. Nach kurzer Zeit stand sie auf, warf ihm wohl ein Schimpfwort auf russisch an den Kopf und kam zum Tresen.
"Blödes abgewichstes Freier da", sagte sie zu Henry, in dem sie auf den Mann am Tisch zeigte und ging dann nach draußen.
Henry nickte nur und zuckte die Schultern. Was ging ihm die Streitigkeiten der Nutten mit ihren Freiern an. Sein Kopf schmerzte. Er hatte nur wenige Stunden geschlafen. Eigentlich war er froh, dass es nicht soviel Betrieb gab.
Die ´Baroness´ am Tresen steckte den kleinen Spiegel, mit deren Hilfe sie sich die Lippen geschminkt hatte, in ihre Handtasche "Gib mir noch einen Cognac. Und schütte dir auch einen ein. Dann werde ich nach Hause gehen und mich hinlegen" Sie steckte sich eine Zigarette an.
"Hast du schon die Zeitung gelesen?"
Er schob ihr das Glas Cognac zu und schüttelte den Kopf.
"Nein. Warum?"
Mit einem Zug kippte sie das Getränk herunter.
"Gestern vor Geschäftsschluss hat ein Mann den Juwelier in der Hafenstrasse überfallen. Muss sich gelohnt haben, wie die Zeitung schrieb." Henry gähnte und blickte nach draußen. Es hatte angefangen zu schneien, trotzdem es erst Anfang Dezember war. Er sah, wie Tanja auf der anderen Straßenseite mit einem neuen Freier sprach. Sie schienen sich wohl geeignet zu haben, denn er fasste sie unter dem Arm und sie zogen davon. Henry blickte einen Augenblick nachdenklich die ´Baroness´ an.
"Was ist?" fragte sie. Er fuhr mit seiner Hand über die Augen.
"Wo warst du gestern so zwischen vier und sieben?" Sie machte ein erstauntes Gesicht, weil sie seine Frage nicht verstand.
"Warum willst du das wissen? Ich war zu Hause".
Die Türe öffnete sich und eines der Mädchen kam herein, um sich aufzuwärmen.
"Bring mir einen Cognac. Saukalt draußen. Ich setze mich dahin." Henry nickte, dann wandte er sich wieder an die ´Baroness´.
"Ich war den ganzen Nachmittag bis zum Abend bei dir." Wenn es sein musste, begriff sie schnell. ein Lächeln legte sich um ihren Mund.
"So, warst du!"
Henry nahm das Getränk und brachte es zum Tisch des Mädchens. Als er zurückkam, sagte er nur:
"Ja, ich war bei dir. Kommissar Kröger wird bestimmt wohl heute noch zu mir kommen und nach meinem Alibi fragen. Du weißt doch, dass ich vorbestraft bin wegen Raub." Die Baroness zündete sich eine neue Zigarette an.
"Dann gieß uns noch mal Cognac ein. Ich kann ihn gebrauchen. Und wie geht's dann weiter?" Henry fuhr mit seiner Hand durch sein schütteres Haar.
"Komm, und vertrete mich einen Augenblick hinterm Tresen und gib mir deine Wohnungsschlüssel. Werde ein paar Fingerabdrücke von mir hinterlassen. Bin gleich wieder zurück. Ist ja nicht weit." Die ´Baroness´ kramte in ihrer Handtasche, nahm ein Schlüsselbund heraus und reichte es Henry.
"Ich habe mit ´wie es dann weiter geht´ etwas anderes gemeint." Henry lächelte.
"Klar. Doch mach dir keine Sorgen. Ich weiss, dass nichts umsonst ist." Sie erhob sich und ging hinter den Tresen. Henry nahm seine Jacke und berührte ihre Schulter.
"Bin gleich wieder zurück."
*
Hauptkommissar Kröger stand am Fenster und blickte auf den tristen Hinterhof, wo die Polizeiautos standen. Der Schnee, der einen frühen Winter versprochen hatte, war fast dahin. Nur einige weiße Inseln leuchteten schwach im grauen Einerlei. Er seufzte und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Vor ihm lagen die Fotos der gestohlenen Schmuckgegenstände aus dem Juwelierraub. Er kannte sie auswendig und hätte sie alle bis ins kleinste Detail beschreiben können. Fast fünf Wochen waren vergangen.
Sicher, heiße Spuren gab es, doch keine Beweise, die zu einer Festnahme reichen würden. Henry, sein Hauptverdächtiger hatte, wenn auch kein so hundertprozentiges, doch ausreichendes Alibi. Die ´Baroness´! Er hatte die Stadt verlassen, um sich ein wenig bei seiner Mutter zu erholen, die auf dem Lande eine kleine Pension betrieb. Kröger seufzte wieder; Erholung, ja, die könnte er auch gebrauchen. Und den Kommissar Glück. Einen Augenblick blieb er noch sitzen und betrachtete wieder die Fotos der Schmuckstücke. Tolle Stücke waren ja darunter. Er dachte an seine Frau, die so was wohl auch gerne tragen würde. Besonders das goldene Herz, eingefasst in Brillianten. Oder die goldenen Uhr, deren Punkte für die Stunden in kleinen Diamanten ausgelegt waren. Er legte die Fotos in die Schublade zurück. Gegen Vier kam sein Assistent Brenner.
"Mist", fluchte er, "meine ganzen Füße sind nass. Sauwetter." Kröger erhob sich.
"Kannst mich heute Abend ´Zum Haifisch´ begleiten. Freiwillig natürlich.
Gebe einen aus"
Brenner blickte erstaunt. So kannte er seinen Chef gar nicht.
"Ja, warum nicht. Bisschen entspannen. Zumal Gerda mit den Kindern bei ihrer Mutter ist. Kommt erst morgen wieder. Doch warum ´Zum Haifisch´?
Kröger fuhr sich mit der Hand durch das müde Gesicht.
"Weiss auch nicht so richtig. Hab nur so ein Gefühl für..." Er stockte, als müsse er überlegen.
"Ach, einfach nur so. Und ein wenig schauen, was die Jungens und Mädel da so treiben. Treffen uns um Acht vor der Kneipe. Muss noch zur Gerichtsmedizin gehen." E zog sich den Mantel über, hob kurz die Hand und verließ den Raum.
*
Die Kneipe war nicht so voll, wie es Kröger erwartet hatte. Hinter dem Tresen stand jetzt 'Bully' der Schwarze aus den Staaten, der hier vor einigen Jahren in der Stadt hängen geblieben war. Kröger hob kurz seine Hand.
"Bring uns zwei Bier"
Er zeigte mit der Hand zu einem der leeren Tische. Bully grinste. Er grinste fast immer, als wolle er Reklame für seine weißen Zähne machen. Am Tresen saßen einige, wohl Freier, mit den Mädchen. Sie setzen sich.
Brenner schaute Kröger aufmerksam an.
"Chef, Sie haben etwas. Ich kenne Sie zu lange, um mich zu täuschen." Dieser trommelte leise mit seinen Fingern auf die Tischplatte.
"Stimmt, Brenner. Eigentlich hatte ich gehofft dass..." Kröger unterbrach sein Sprechen, denn in diesem Moment öffnete sich die Türe und die ´Baroness´ trat ein. Sie schien beim Friseur gewesen zu sein. Die Haare, jetzt kurz geschnitten, standen ihr gut.
"Was haben Sie gehofft?", fragte Brenner.
Kröger antwortete nicht, sondern folgte der ´Baroness´ mit seinen Augen.
Bully brachte die beiden Biere und stellte sie auf den Tisch.
"Auf Rechnung des Hauses".
Kröger ginste leicht.
"Du weisßt doch, dass die schon der Versuch einer Beamtenbestechung ist. Für die 'Baroness' einen Cognac. Frag sie, ob sie uns Gesellschaft leistet." Bully machte ein gespielt erstauntes Gesicht.
"Schau, schau, die Polizei auf Abwegen. Werde es ihr ausrichten".
Kröger wandte sich an Brenner.
"Was ich gehofft habe? Dass die 'Baroness' heute auftaucht." Brenner schaute Kröger mit Erstaunen an.
"Um ihr einen Cognac zu spendieren?"
Kröger sah, wie Bully mit der ´Baroness´ redete und zu ihnen herüberzeigte.
Die ´Baroness´ lächelte, klopfte Bully leicht auf die Wange und kam zu ihrem Tisch. Kröger stand auf und rückte ihr den Stuhl zurecht.
"Ich kann Ihnen aus ihrem Mantel helfen" Die 'Baroness' lächelte spöttisch.
"Neue Taktik der Polizei?"
Kröger lächelte zurück, während Brenner verständnislos dasaß. Als die ´Baroness´ sich umdrehte, prangte glänzend und unübersehbar auf ihrem tiefen Ausschnitt ein goldenes Herz, umrandet mit Diamanten.
´Wenn es um Schmuck geht´, dachte Kröger, ´werden viele Frauen schwach und scheinen den Verstand zu verlieren.´ Und aus seinen Augen leuchtete Jägerstolz. Er wandte sich an Brenner.
"Ich glaube, unser Juwelenfall ist abgeschlossen!" Die 'Baroness' erblasste vor Schreck.