Eine Woche vor Ostern fuhr ich mit dem Zug von Köln nach Bonn um mir im Haus der Geschichte eine aktuelle Ausstellung anzusehen.
Ich freute mich über das leere Abteil, das ich vorfand, und vertiefe mich in den Katalog über die Ausstellung.
Nach einiger Zeit schaute ich zufällig auf und sah in der gegenüberliegenden Gepäckablage einen grünen Karton stehen.
Na ja, dachte ich, bleibst du doch nicht mehr lange allein, denn bald wird wohl jemand kommen, dem dieses gehört.
Plötzlich hörte ich ein Klingelgeräusch und als es das zweite Mal bimmelte, war mir klar, dass da in dem Karton wohl ein Handy sein musste.
Doch dann hörte das Läuten auf und ich las weiter.
Nach ein paar Minuten begann das Schellen wieder und ich wurde wütend, dass derjenige, dem diese Sache gehörte, immer noch nicht zurück war.
Ich überlegte, was ich tun sollte. Den Zugbegleiter rufen und ihm sagen, dass hier ein herrenloser Karton mit einem klingelnden Handy steht?
Ab besten ist, sagte ich mir, ich nehme das Telefon heraus und erkläre dem Anrufer, dass der Besitzer des Kartons noch nicht hier ist.
Ich nahm also den Karton mit den zwei Halteschleifen aus Kordel und setzte ihn vorsichtig auf den Sitz neben mir.
Als ich dann aber hineinschaute, bekam ich einen gewaltigen Schrecken. Der Karton hatte keinen Deckel und drinnen sah ich eine kleine Kunststoffkiste, auf deren Oberseite ein grünes Lämpchen blinkte.
Das ist eine Bombe, war mein erster Gedanke, und ich wagte nicht, das noch immer läutende Handy anzufassen.
Ich stürzte aus dem Abteil und stieß auf dem Gang fast mit einem Schaffner zusammen.
"Eine Bombe!", schnaufte ich, und ich war so aufgeregt, dass ich nur noch stottern konnte: "Da drinnen … da ist eine Bombe!"
Der Zugbegleiter wich einen Schritt zurück und blickte mich ungläubig an.
"Na, dann wollen wir mal sehen", sagte er und ging selbstbewusst, aber doch vorsichtig auf den Karton zu.
Als er sich im nächsten Augenblick wieder umdrehte, sah ich durch die Glastür, dass er mit zittrigen Fingern aus seiner Tasche irgendein Gerät nestelte und erregt mit jemanden sprach.
Dann kam er aus dem Abteil heraus und sagte zu mir und zu den Leuten, die inzwischen neugierig im Gang stehen geblieben waren: "Bitte, bewahren sie Ruhe! Gleich kommt jemand, der wird klären, was da drin ist."
Ich merkte plötzlich, dass der Zug sein Tempo verlangsamte, und als ich zum Fenster rausschaute, sah ich das erste Hinweisschild vom Bahnhof Bonn.
Kaum stand der Zug, da stürmte auch schon ein kräftiger Mann mit einem kleinen schwarzen Köfferchen herein.
Schnell öffnete der Zugbegleiter die Abteiltür und der Mann besah sich den Karton.
Während ich und die anderen gebannt dem Mann zuschauten, wie er so etwas wie ein Stethoskop auspackte, schubste mich plötzlich jemand von hinten einfach zur Seite und eine Frau schrie wütend: "Lassen Sie mich gefälligst durch, ich will meine Sachen holen!"
Der Mann, der gerade dabei war, ein Abhörgerät anzusetzen, drehte sich erstaunt um, musterte die Frau von oben bis unten und sagte dann im barschen Ton: "Wie heißen Sie und was ist hier drin?"
Die Frau zuckte zusammen.
"Ich bin Maria Winter und da sind ...", begann sie zu stottern, "da sind doch meine Osterküken drin."
"Was?", lachte jetzt der Mann. "Was soll der Quatsch!"
"Das ist kein Quatsch, das ist ein Brutkasten!", entgegnete sie aufgebracht und war mit zwei Schritten am Karton.
Vorsichtig hob sie den Deckel von dem kleinen Kunststoffkasten ein wenig an und sagte zu dem Mann: "Gucken Sie schnell da mal rein!"
Es dauerte einige Sekunden, ehe der verdutze Mann schallend lachte und rief: "Da sind ja tatsächlich Eier drin."
Er schüttelte erleichtert den Kopf und fragte die Frau: "Was machen Sie denn mit so etwas?"
"Das will ich Ihnen und den anderen auch ..." Sie stockte, drehte sich um und rief allen die neugierig zugeschaut hatten, sehr selbstbewusst zu: "Damit Sie es wissen, das ist ein Geschenk für meinen kleinen Enkel Tobi. Der kann dann sehen, wie aus den Eiern zu Ostern Küken rausschlüpfen!"
Einige Leute klatschten laut Beifall. Die Frau aber, klemmte sich den Karton unter den Arm und verschwand mit einem triumphierenden Lächeln.