Sieben Monate Dürre. Der Boden riss in Verzweiflung auf und schrie hinauf in den Himmel. Die Bäume senkten ihre Häupter und die Flüsse zogen sich in die tiefen Höhlen der Berge zurück und warteten. Die Menschen, die hoch oben auf den schneebedeckten Gipfeln der Berge lebten, sagten: Die Wälder tragen Trauer, denn ihre Kinder sterben.
Dann kam der Regen, und mit ihm der Mann. Er kam an einem kalten, grauen Novembertag aus dem Nebel der grünen Täler. Seht das Meer in seinen blauen Augen, seht das Salz auf seiner Haut, sagten sie, er kam aus dem Wasser und schenkte uns ein Teil davon. Der Mann sagte nie, warum er gekommen war und sie fragten nicht, denn er brachte ihnen den Regen.
Nachts, wenn die Schatten der Bäume die Landschaft in schwarze Decken hüllten und der Wind in den Tälern seine Lieder sang, erzählte der Mann ihnen Geschichten. Er erzählte von einem Mann mit blondem Haar, so wie das seine bevor es aschgrau wurde. Dieser Mann würde zu ihnen kommen als Anführer und sie würden ihm folgen. Die Indianer lachten und fragten, wohin solle man sie denn führen? Hier auf den turmhohen Bergen, geschützt von riesigen Wäldern, lebten sie seit 200 Jahren. Hier seien sie geboren und hier würde der Letzte von ihnen sterben.
Der Mann lachte seinerseits und deutete auf die ausgemergelten Leiber seiner Zuhörer und die ausgefransten Stoffe, die sie trugen. "Seit langem sind eure Jagdgründe leer, eure Flüsse ausgetrocknet und eure Krieger alt und schwach.
Der Mann, von dem ich spreche, wird euch aus diesem todgeweihten Ort herausführen in ein neues, fruchtbares Tal, das hinter den Bergen des Nordens liegt." "Wann wird dieser Mann kommen, fragten die Indianer und der Mann antwortete:
"Erst müssen zwei Leben vergehen, damit seines aufblühen kann."
Die Tochter des Häuptlings hieß Al Kaela und war von außergewöhnlicher Schönheit. Ihr Haar war rabenschwarz, ihre Augen blau wie der Morgentau und ihre Haut samten wie das Fell eines Fohlens. Der Mann hatte lange Zeit alleine gelebt und es dauerte nicht lange, da verfiel er ihr. Eines Tages nahm er sie mit in sein Zelt und verbrachte die Nacht mit ihr. Der Häuptling war erzürnt über das Verhalten des Fremden. Noch am gleichen Tag wurde der Mann an eine Eiche gebunden und bei lebendigem Leib verbrannt. Als die Flammen seinen Leib umschlossen, schrie der Mann nicht. Er blickte den Häuptling mit seinen azurblauen Augen an und nur seine Lippen bewegten sich.
Niemand hörte einen Laut, aber manche glaubte die Worte "Ich werde leben" auf seinen rissigen Lippen gelesen zu haben. Am gleichen Tag starb auch die Häuptlingstochter. Niemand wusste warum, aber alle waren erleichtert, dass die Verräterin sie verlassen hatte. Sie wurde außerhalb des Dorfes unter einer riesigen Eiche, gleich am Abgrund des Berges begraben. Die Zeremonie fand unter einem feuerroten Himmel statt. Die Wolken loderten wie Eisflammen am Himmel.
Am Tag, als der Mann diese Erde verließ, tauchte ein grauer Bär in den nahe gelegen Tälern auf. Die Indianer zogen aus um ihn zu töten, aber versagten.
Niemand konnte ihn aufspüren. Einem Geist gleich, wütete er durch die Wälder. Sieben Männer waren bereits durch seine Klauen hingerichtet worden, als beschlossen wurde die östlichen Täler zur verbotenen Zone zu erklären.
Dort herrschte nun der graue Bär. Unter sich nannte die Indianer das Tal, Ort der Verlorenen. Man erzählte sich, dass Menschen die den Drang zu leben verloren hätte, dort hin wanderten um vom großen Bären erlöst zu werden.
Niemand wusste was an diesen Geschichten dran war, aber über die Jahre wurden sie zu Legenden und niemand kehrte je wieder in dieses Tal zurück.
Sieben Wochen waren nach der Hinrichtung des Mannes vergangen. Dann , am ersten Tag der achten Woche, fand ein kleiner Junge, der Neffe des Häuptlings, ein Baby in braune Decken gehüllt, auf dem Grabe Al Kaelas.
Der Junge lief erschreckt zu seinem Onkel und erzählte ihm von seinem Fund.
Als der Häuptling das Baby sah, schrie er einen Fluch hinaus in den Himmel, denn das Kind hatte blondes Haar.
Am gleichen Abend trafen sich die Ältesten um über die weitere Vorgehensweise zu beraten. Der Häuptling wollte das Kind ertränken um die Schande, die seine Tochter über ihn gebracht hatte, endgültig zu tilgen .Al -Tarek der Weise versuchte ihn zu beschwichtigen. Die Götter wollen offenbar nicht, dass dieses Kind stirbt, hätten sie es sonst aus dem dunklen Grabe seiner toten Mutter geholt? Die anderen Ratsmitglieder stimmten Al-Tarek zu. Es wurde beschlossen, das Kind aufzunehmen und großzuziehen, als wäre es einer der ihren. Erst an seinem 17. Geburtstag sollte ihm seine Herkunft und Bestimmung offenbart werden. Er sollte keinen Namen erhalten, da er der Auserwählte war und nur die Götter ihn taufen durften. Er wurde unter die Obhut seine Großmutter gestellt, die sich liebevoll um ihn kümmerte. Sie kämmte sein blondes Haar, badete ihn und nähte ihm Kleider, als wäre es ihr eigenes Kind. Und der Junge erkannte in ihren gütigen Augen, die Augen seiner Mutter, die er nie gesehen hatte.
Schnell wuchs er zu einem kräftigen Jungen heran, der gerne mit seinen Freunden durch die Wälder streifte und kleine Vögel oder Eichhörnchen jagte.
Er jagte, ritt und kämpfte wie ein Indianer und doch fühlte er sich fremd.
Er liebte seine Familie über alles, besonders seine Großmutter war ein Teil seines Herzens, aber sein Blick sehnte sich nach dem Horizont. Die Fremde lockte ihn und seine Seele schrie nach Freiheit.
An einem warmen Sommernachmittag erreichte er sein 17 .Lebensjahr und wurde vor den hohen Rat der Ältesten zitiert.
" Du bist keiner von uns, mein Junge, dein Vater war ein Weißer, sagte Al-Tarek. Er erzählte dem Jungen seine Geschichte, aber dieser verstand nicht.
" Ich lebe wie ein Indianer, ich spreche wie ein Indianer, also bin ich einer" Al -Tarek lächelte." Du wirst immer etwas Besonderes bleiben, mein Junge. Du bist von den Göttern auserwählt unser Volk zu führen. In einer Woche wird unser Volk aufbrechen, mit dir an der Spitze, genau wie es dein Vater prophezeit hat, fuhr Al-Tarek fort.
"Wer sagt, dass mein Vater Recht hatte? Ihr sagt selbst er wäre ohne Ehre gewesen." "Die Götter haben dich aus dem Grab gerettet. Das ist Beweis genug. Du wirst uns führen."
"Ich weiß nicht wohin ich euch führen könnte" "Die Götter werden es dir sagen " erwiderte Al-Tarek.
"Ich fühle mich dieser Aufgabe nicht gewachsen, sagte der Junge.
"Du kannst nicht wählen, diese Mission wurde dir in die Wiege gelegt" "Ich entscheide über mein Leben" "Dein Leben war dir vorherbestimmt, noch ehe du geboren warst; lehne dich nicht gegen die Götter auf."
Der Junge schwieg.
"Die Versammlung ist beendet. Bereite dich auf deine Aufgabe vor!" Der Junge stürmte aus dem Zelt. Tränen rannen über sein Gesicht. Er fühlte, dass sie ihn sein ganzes Leben lang belogen hatte und sein Hass stieg ins Unermessliche. Innerhalb von Sekunden war er zu einem Fremden geworden in seiner eigenen Familie.
Er beschloss noch in der gleichen Nacht, das Dorf, sein Volk zu verlassen.
Er packte seine Sachen und schlich sich im Schutz der dunklen Schatten aus dem Dorf. Mit schnellen Schritten durchlief er den Wald. Das Gras war noch feucht vom Tau. Äste und trockene Blätter knisterten unter seinen Stiefel.
Sein Gang war sicher und zielgerichtet. Der Mond wies ihm den Weg. Der Schrei der Eule gab ihm Beistand. Er hatte keine Angst mehr. Er bewegte sich in Richtung der östlichen Täler, wo, nach alten Legenden, der graue Bär hauste; der letzte Zufluchtsort für verlorene Seelen. Bei sich trug er nur die Kleider an seinem Leib und einen selbstgeschnitzten Bogen. Sein langes, blondes Haar hatte er, mit einem Streifen roten Stoffs, nach hinten gebunden. Er reiste mehrere Wochen, durchquerte reißende Flüsse und stille Bäche. Die Wälder waren groß, die Berge hoch und die Täler tief.
Nach sieben Monaten, entdeckte er am Horizont einen grauen Berg und er wusste, er hatte sein Ziel erreicht. Vor ihm erstreckte sich das Tal der Verlorenen. Langsam ging er weiter. Er folgte dem Lauf eines Baches, der ihn über mehrere Grasbewachsene Hügel führte. Zwischen uralten, turmhohen Eichen und mannshohen Gestrüpp schlängelte sich das Gewässer mitten durch das riesige Tal.
Das Rascheln der Blätter im Wind, wies ihm den Weg durch die Kathedralen der Natur. Riesigen, zu Eis erstarrten, Wellen gleich, schossen die Berge vor ihm in die Höhe und zwangen ihn dazu in nördliche Richtung weiterzuwandern.
An einem ausgetrockneten Flussbett schlug er sein Lager auf. Es war an diesem Abend, an dem die Sonne tief über der goldenen Silhouette der Gipfel hing, als er zum ersten Mal den Schrei des Bären vernahm. Der Wald verstummte augenblicklich. Der Wind legte sich. Kein Rascheln im Unterholz.
Kein Pfeifen der Vögel. Kein Plätschern eines Baches. Der Schrei wehte durch das Tal wie ein Sturm und die Natur erstarrte in Demut.
Noch in der gleichen Nacht machte sich der Junge auf den Weg, immer in die Richtung aus der der Schrei zum ihm hallte. Er lief durch die einsamen Tempel der Wälder, bis seine Beine schmerzten und seine Lungen brannten. Dann rastete er für wenige Stunden. Jeden Abend hörte er das Gebrüll des Bären, immer die gleiche Zeit, immer der gleiche Ort, aber er schien nicht näher zu kommen.
Aber der Junge gab nicht auf. Sieben Jahre verfolgte er den Bären durch die menschenleeren Schluchten und dunkle Wälder und aus dem Jungen von einst wurde ein Mann. Und langsam vergaß er, warum er hergekommen war. Die Trauer verging und machte Platz für Ehrgeiz und Stolz. Die Jagd wurde zum Selbstzweck. Er wollte den Bären finden, was dann passieren würde, würde sich zeigen. Schließlich fand der Bär ihn.
Blutrot und drohend hing die Sonne über den Wipfeln der Bäume. Ein lauer Wind ließ die Gräser wie Wellen im Meer wogen. Die Vögel zwitscherten über ihm in den Ästen. Dann verstummten sie und der Mann wusste, die Zeit war reif. Bald darauf hörte er schwere Schritte durch das Unterholz krachen. Die Erde erzitterte leicht unter seinen Füssen. Der Mann bewegte sich nicht. Er nahm einen starken Geruch wahr. Es war der Geruch des Todes, der ihn langsam umschloss. Der Mann stand still, einer Statue gleich, und wartete. Er fühlte weder Furcht noch Freude. Seine Augen schlossen sich zu Schlitzen. Seine wettergegerbten, rauen Hände ballten sich zu Fäusten. Er wurde eins mit den Bäumen und Pflanzen. Sein Geist war frei .Er war bereit zu sterben.
Mit donnerndem Gebrüll brach der graue Bär aus dem Unterholz und betrat mit stampfenden Schritten die Lichtung auf der der Mann sein Lager aufgeschlagen hatte. Zwei einsame Seelen trafen sich im Nirgendwo. Ein Bär, größer als ein aufgerichteter Mensch, mit silbergrauem Fell, das in der Mittagsonne funkelte und ein Mann in ausgefransten Kleidern und langen, ungepflegten Haaren. Mensch und Tier sahen sich an und erkannten einander.
Der Mann sah in die schwarzen, ausdruckslosen Augen des Tieres und sah keine stumpfe Mordlust, keinen tödlichen Instinkt, sondern Spott und Hohn und wahrscheinlich auch Hass.
Es waren nicht die Augen eines Bären, es waren die Augen seines Vaters, der für ihn gestorben war vor genau 24 Jahren.
Der Bär brüllte. Ein Schwarm Krähen erhob sich erschreckt in die Lüfte. Der Mann spürte den heißen, stinkenden Atem des Tieres, das einst sein Vater war, auf seinem Gesicht. Er roch den Atem des Todes und spürte Hass in sich wachsen. Hass auf einen Vater, der ihn verlassen hatte und ihm diese unmögliche Aufgabe als einziges hinterlassen hatte.
Der Bär brüllte abermals. "Du hast versagt, schienen seine kohlschwarzen Augen zu sagen " das hier, ist nicht, wofür du bestimmt bist.
Mit ungeahnter Geschwindigkeit stürmte er auf seinen Sohn zu. Und der Mann hätte schwören können, die Augen Tieres wären azurblau geworden. Die graue Pranke traf ihn an den Schläfen. Er wurde zu Boden geschleudert. Ein stechender Schmerz bohrte sich in seinen Kopf. Bald darauf spürte er eine Flüssigkeit über sein Gesicht laufen. Er sprang auf die Beine und torkeltet unsicher nach hinten, bis er an einen Baum gestützt zum Stehen kam.
Der Bär setzte erneut zum Angriff an. Der Mann zog ein Messer aus seinem Stiefel.
Warf. Der Bär schrie auf. Es klang fast menschlich. Der Mann wusste nicht ob er getroffen hatte. Er hatte die Lichtung bereits hinter sich gelassen und rannte durch das dichte Unterholz. Er hoffte, die Hecken würden das Tier bremsen. Die spitzen Äste bohrten sich in seine Haut.
Das Blut lief ihm übers Gesicht und schmerzte in seinen Augen. Seine Lungen brannten wie Feuer, aber hinter sich hörte er die Bestie näher kommen. Das Tier preschte wie eine Eisenbahn durch den Wald, riss alles mit sich, was sich ihm den Weg stellte. Mäuse, Füchse und Eichhörnchen versteckten sich in ihre Löcher. Adler und Habicht schwangen sich in die sicheren Höhen des Himmels und die Bäume selbst schienen in Ehrfurcht erstarrt zu sein.
Pflanzen, Sträucher und Hecken beugten sich dem Willen der Bestie.
Der Mann rannte einen Abhang hinunter. Er rutschte, drohte hinzufallen, fing sich wieder und stolperte weiter. Durch das dichte Blätterdach über ihm fielen nur vereinzelte Sonnenstrahlen. Eine bedrückende Schwärze bereitete sich um ihn aus, je tiefer er in den Wald eindrang.
Der Blutverlust ließ ihn schwächer werden. Graue Punkte tanzten vor seinen Augen. Er hatte Mühe durch das hohe Gras zu kommen. Hinter sich hörte er das Schnaufen des Tieres, das bald jedoch von einem anderen Geräusch überdeckt wurde: dem Tosen eines Flusses. Der Mann lebte seit vielen Jahren in den Wäldern und er kannte die steilen, steinigen Hänge des Grünen Flusses. Bald darauf wurden seine Befürchtungen bestätigt. Er saß in der Falle. Noch wenige Meter und vor ihm würde sich ein Abgrund auftun. Es blieb keine Zeit zum Nachdenken. Er schloss die Augen und lief weiter. Von einer Sekunde zur nächsten verschwand der Boden unter seinen Füssen .Wind. Stille.
Dann Kälte. Wasser verschlang seinen Körper. Er prallte auf den Grund des Flusses. Hilflos wurde er mitgerissen von den Wassermassen. Verzweifelt versuchte er den Kopf über Wasser zu halten, ohne Erfolg .Schließlich umschloss ihn erlösende Schwärze.
Als er aufwachte, lag er frierend am Rande des Flusses. Langsam versuchte er aufzustehen. Sein Körper wurde von einem Hustanfall geschüttelt. Geschwächt ließ er sich wieder auf die Knie fallen .Seine Kopfwunden hatte aufgehört zu bluten. Aber beim Aufprall in den Fluss, hatte sich ein spitze Stein in seinen Oberschenkel gebohrt. Er schloss die Augen, zählte bis drei, und zog dann die abgebrochene Spitze, die noch in seinem Schenkel steckte, heraus.
Ein Schmerzenschrei löste sich aus seiner Kehle. Erschöpft ließ er sich auf den nassen Sand fallen. Als er zu zittern anfing, zog er seine nassen Kleider aus und begann humpelnd die Umgebung nach Brennholz abzusuchen.
Außerdem musste er einen Verband für seine Wunde finden. Schließlich fand er einen Strauch Latktialbeeren. Er zerstampfte sich mit seiner Faust auf einem Stück Borke und strich die entstandene Paste auf seine Wunde. Anschließend riss er ein Streifen Fell aus seinem Mantel und verband die Wunde. Dann machte er sich auf den beschwerlichen Rückweg zu seinem Lager.
Er humpelte leicht, aber die Schmerzen wurden schwächer. Langsam erklomm er die steile Böschung. Die Nacht brach herein. Der knöcherne Mond schien hell über den kargen Gebirgsketten. Die Waldgeister wiesen ihm den Weg, denn er war einer von ihnen. Ihr Flüstern leitet ihn durch die dunklen Passagen des Waldes, wo weder Mond- noch Sonnenschein je Eingang gefunden hatten. Und die Bäume hielten schützend ihre starken Ästen über ihn, dass ihm kein Leid geschehen möge.
Noch in der gleichen Nacht erreichte er sein Lager.
Er legte sich auf den Waldboden und schlief zwei Tage und zwei Nächte. Als er am dritten Tage aufwachte, fand er in ein einer Mulde, neben sich, Nüsse und Beere, die die Eichhörnchen, Mäuse und Vögel für ihn gesammelt hatten.
Er aß schnell. Dann begann er die Umgebung nach passendem Holz für seine Pfeile abzusuchen. Er schliff kleine Steine bis sie spitz und scharf wurden und band sie dann mit Stofffetzen an die leichten und dünnen Äste die, er vorher gesammelt hatte.
Er löschte das Lagerfeuer, band seine Habseligkeiten zu einem Bündel zusammen und packte es sich auf den Rücken und verließ sein Lager für immer. Aus dem Mann, der einst ein Junge war, wurde ein Jäger. Die Spuren des Bären waren unübersehbar. Der gewaltige Körper hatte eine Schneise in die Wälder geschlagen. Sie führte nach Osten, in Richtung der kahlen Gebirgsketten am Horizont. Dort lag das Ziel des Jägers. Er kam nur langsam voran, da sein Bein kaum Belastungen standhielt. Mehrmals am Tag musste er kurze Ruhepausen einlegen.
Um ihn herum veränderte sich langsam die Vegetation. Der Wald lichtete sich.
Nur noch vereinzelt traf er die hohen Eichen an, die sonst das Landschaftsbild prägten. Es wurde kälter. Der Boden bestand nicht mehr aus weicher Erde, sondern war mit harten, trockenen Gräsern übersät. Ein starker Wind kam auf. Nach verlassen des tiefen Waldes, verschwand die Schneise, die der Bär geschlagen hatte. Aber der Jäger hatte keine Mühe, die Fußspuren des Tieres im Gras zu finden. Die Berge am Horizont wurden immer größer.
Bald wanderte er für Stunden in ihrem Schatten. Er durchquerte kahle Wüsten, steinige Einöden und reißende Flüsse.
Nach sieben Wochen fiel der erste Schnee und der Jäger hatte Mühe die Spuren des Tieres unter dem Eis zu finden. Da kam eine Waldeule zu ihm geflogen, setzte sich auf seine Schulter und flüsterte ihm den Weg ins Ohr. Der Jäger nickte dankbar und setzte seinen Weg fort. Von diesem Tag an, brauchte er nur noch dem Vogel nachzuwandern. Die Eule führte ihn hoch hinauf auf die Gipfel der Berge. Der Jäger kämpfte sich durch metertiefen Schnee. Aber noch immer war der Gipfle nur ein kleiner, unerreichbarer Punkt am grauen Himmel.
Die Eule brachte ihm tote Kaninchen und Mäuse, die er briet oder auch roh verschlang.
Dann, an einem der freundlicheren Tage, an denen kein Schneesturm tobte und die Wolkendecke aufriss und helles Blau durchscheinen ließ, entdeckte der Jäger einen einzelnen Baum, hoch über ihm, auf einem kleinen Felsvorsprung. Er wusste dort im Felsen befand sich das Lager des Bären. Er kletterte langsam weiter. Würde der Bär ihn entdecken, bevor er den Felsvorsprung erreicht hatte, wäre er verloren. Er konnte nicht gleichzeitig kämpfen und sich festhalten. Über ihm kreiste die Eule, sein einziger Begleiter, und beobachtete die Geschehnisse. Sie konnte ihm nicht mehr helfen.
Nur noch wenige Meter. Das Brüllen des Bären ertönte über ihm und hallte durch die menschenleeren Täler. Der Jäger beschleunigte seinen Aufstieg.
Seine Hände zitterten leicht und sein Atem kam nur stoßweise. Der Bär würde dort oben auf ihn warten .Höchsten 4 Quadratmeter Bewegungsfreiheit, rechnet der Jäger. Sein Bogen würde bei einem Nahkampf kaum etwas nützen. Er zog ihn über den Kopf und warf ihn hinunter in die Tiefe. Den Köcher mit den Pfeilen behielt er.
In diesem Augenblick, kaum einen Meter vom Felsvorsprung entfernt, tauchte der Kopf des grauen Bären über ihm auf. Das Tier gab keinen Laut von sich.
Ganz so, als hätte es ihn erwartet. Der Jäger erstarrte. Er klammerte sich an die Felswand um nicht nach hinten zu fallen. Jetzt ist es aus, sagte der Jäger sich. Er schloss die Augen und wartete auf den tödlichen Prankenhieb.
Würde er nicht sofort sterben, würde der Sturz in die Tiefe den Rest besorgen. In diesem Augenblick durchbrach ein schriller Schrei die Stille und die Waldeule stürzte aus dem Himmel. Mit ihren scharfen Krallen bohrte sie sich in den Kopf der Bestie. Diese bäumte sich auf und schlug mit ihren Pranken nach dem Vogel, der sich längst wieder in eine sichere Höhe gebracht hatte. Die paar Sekunden reichten dem Jäger. Er sprang auf den Felsvorsprung, einen Pfeil in der rechter Hand, und bereitet sich auf den Angriff vor.
Es begann zu regnen. Ein starker Wind wehte über die Hänge, als der Bär sich aufrichtete einen markerschütternden Schrei ausstieß. Diesmal war der Jäger jedoch schneller, noch ehe der Bär sich wieder auf seine Vorderläufe fallen ließ, sprang der Mann nach vorne und rammte den Pfeil, mit einer einzigen, kraftvollen Bewegung, in die Brust des Tieres. Blut spritzte auf Hände und Gesicht des Mannes. Regentropfen vermischt mit Blut rannen über seine Kleidung. Der Bär, keineswegs tödlich verletzt biss zu. Sein Kiefer zermalmte die Schulter des Jägers, der sich nicht schnell genug zurückziehen konnte. Der Mann schrie in wilder Verzweiflung auf. Tränen des Schmerzes rannen über sein Gesicht als er sich nach hinten fallen ließ. Auf allen vieren, nach hinten kriechend, versuchte er sich in Sicherheit zu bringen.
Der Bär ließ jedoch nicht von ihm ab und verfolgte ihn. Der Mann fand auf dem schmalen, nassen Felsvorsprung kein Versteck. Orientierungslos kroch er hin und her. Schließlich gelang es ihm sich aufzurichten. Der Bär kam auf ihn zugerannt. In einem Moment größter Verzweiflung, stürzte sich der Jäger auf den Bären, umschloss ihn mit seinen Armen , wie Ringkämpfer es tun und versuchte ihn mit letzter Kraft auf den Boden zu pressender Bär , der nicht auf einen solchen Angriff gefasst war , strauchelte, verlor das Gleichgewicht und fiel auf seinen Gegner. Der Aufprall hatte den Beckenknochen des Mannes zermalmt. Er konnte nicht mehr aufstehen. Mit seinen Händen zog er sich zu dem alten Baum, der dort oben Wind und Wetter strotzte.
Unter seinem uralten Stamm lag er nun und wartete auf den Tod. Der Bär kam näher. Der Regen rann über die kahlen Äste des Baumes und lief in langen Rinnsalen den Stamm hinunter. Es sah aus als ob der Baum weinen würde. Der Mann blickte hoch in das Geäst über ihm, während Regentropfen sein Gesicht rein wuschen. Als er die Augen zum letzten Mal schloss, hallte ein Donnerschlag durch die Felsschluchten.
Ein einziger Satz kam über seine blutigen Lippen: "Siehe hoch in den Himmel, Vater, die Wälder tragen Trauer, denn ihr Kind stirbt."