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德文短篇:Die tote Zeugin

时间:2011-09-29来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: 德文短篇

Als Karl zum Fenster hinaus schaute, konnte er nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden. Sein Blick ruhte auf dem alten Turm aus dem frühen 14. Jahrhundert. In der späten Nachmittagssonne strahlte das denkmalgeschützte Bauwerk eine besondere Ruhe aus.
Zur gleichen Zeit saß Sherryll im ICE von Köln nach Frankfurt. Seit der Fertigstellung der neuen Schnellstrasse beträgt die Fahrzeit nur noch 77 Minuten. Aber sie achtete nicht auf die Geschwindigkeit. Ihre Gedanken kreisten um die Fertigstellung des Projekts. Auch sie konnte nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden.
Der Wind wehte sanft um den Turm als Karl in der Ferne leises Motorengeräusch vernahm, das sich schnell näherte. Diese Straße wurde kaum befahren, deshalb nahm er an, dass seine Tochter etwas früher zurückkam. Er war nicht gern allein, aber alle paar Tage musste ihn Karin für kurze Zeit verlassen. Er selbst verließ das Haus nur selten. Da er den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt war, war er auch dabei auf fremde Hilfe angewiesen.
Karl war seit zwanzig Jahren nicht mehr in der kleinen 3000-Seelen-Ort gewesen. Die meisten dieser Menschen kannten ihn und sie nannten ihn: "Der Mann vor dem Fenster". Er musste jedes Mal lächeln, wenn er darüber nachdachte. Er glaubte nicht, dass er als neugierig galt, aber sein Lieblingsplatz war vor dem Fenster.
Karl liebte die Natur mehr als alles andere auf der Welt. Die Stimmen der Vögel. Der herrliche Duft der blühenden Fauna. Er dachte wieder daran, was alles hätte anders laufen können.
Das Motorengeräusch war schon ganz nahe und im nächsten Augenblick tauchte ein dunkelblauer Scirocco auf. Der Motor heulte einmal laut auf.
"Das war der falsche Gang", sagte Karl leise während er beobachtete wie der Wagen am Turm vorbeirollte. Dann hörte er einen lauten Knall, der sich anhörte wie ein Schuss. Wenige Sekunden später erstarb das protestierende Geräusch der misshandelten technischen Errungenschaft.
Sekunden später hörte er wieder ein Geräusch. Die Tür des Wagens war zugeworfen worden - wütend, wie ihm sein feines Gehör verriet. Dann hörte er eine fluchende Stimme.
Die Türklingel kreischte energisch auf und als sie verstummte, brüllte Karl: "Wer ist da?"
"Entschuldigen Sie", kam die Antwort. "Mein Wagen hat mich eben im Stich gelassen. Dürfte ich bei Ihnen telefonieren?"
"In Ordnung. Ich werde Ihnen öffnen. Aber haben Sie etwas Geduld, da ich im Rollstuhl sitze, werde ich etwas länger brauchen Und ich bin auch nicht mehr der Jüngste."
Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er sich auf den Weg zum elektronischen Türöffner. Bald ertönte ein Summen und die Eingangstür wurde geöffnet.
"Wo sind Sie?", ertönte die Stimme einer jungen Frau.
"Gehen Sie einfach geradeaus", antwortete er während er die Tür öffnete. Sein Blick fiel auf eine junge hübsche Frau. Sie wirkte nervös, aber keinesfalls unsicher.
Karl war ein guter Menschenkenner. Diese Frau war nicht leicht zu verunsichern, aber dennoch musste etwas geschehen sein, was sie nervös machte. "Kommen Sie", forderte er die Besucherin mit einem einladenden Lächeln auf.
Nachdem die Frau mit dem Mechaniker telefoniert hatte, bedankte sie sich bei Karl. Doch der Mann winkte ab und stellte sich als Karl Mitterbauer vor.
"So so, etwa eine Stunde, na ja", meinte er. "Warum bleiben Sie nicht noch ne Weile hier und leisten einem alten Mann wie mir Gesellschaft. Man weiß ja ohnehin nie, wie lange so eine Reparatur tatsächlich dauert."
"Da haben Sie Recht."
"Sie sind Amerikanerin, nicht wahr", sagte Karl.
"Oh, mein Name ist Sherryl Stone. Entschuldigen Sie, dass ich mich nicht vorgestellt habe." Die Frau strich sich mit den Fingern durchs Haar. "Den Akzent werde ich wohl nie los."
Karl zündete sich seine Pfeife an und sagte mit beruhigender Stimme: "Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich glaube, dass wir uns gegenseitig helfen können."
Sherryll sah verblüfft aus. "Ich verstehe nicht."
"Als Sie vor meiner Tür standen, da wusste ich gleich, es ist etwas geschehen, das Sie nervös macht. Und Sie möchten gerne darüber reden, weil Sie nicht wissen, was Sie tun sollen. Nun, möglicherweise stehen Sie vor einem Wendepunkt Ihres Lebens."
Sherrylls Verblüffung wuchs. Ihr erschien alles wie im Traum. "Woher wissen Sie das alles?"
"Ich bin ein Seher", murmelte Karl und sog an seiner Pfeife.
Das unbehagliche Gefühl der Frau wuchs. Sie wollte raus hier, das spürte Karl deutlich, aber sie blieb. Sie blieb, weil sie mehr wissen wollte.
"Der Unfall", begann Karl und holte tief Luft, wollte weiter sprechen, wurde jedoch unterbrochen.
"Das können Sie nicht wissen!", entgegnete Sherryll kopfschüttelnd. Ihre Haltung zeigte deutlich die wachsende Unruhe.
Karl schwieg. Ein Luftzug streifte sein erhitztes Gesicht. "Sherryll, Sie wurden Zeugin bei einem Unfall. Möchten Sie darüber reden?" Er beugte sich vor und sah sie emphatisch an.
Sherryll senkte den Kopf. Sie schien nach Worten zu suchen. "Ich … ich … als ich vom Stuttgarter Bahnhof wegfuhr, da …" Jetzt war die Hemmschwelle gefallen. "Nach etwa dreißig Minuten überholte mich ein Wagen. Es war ein Wagen, wie ihn sich nur Superreiche leisten können. Er fuhr mit unglaublicher Geschwindigkeit. Als ich um die nächste Kurve bog, sah ich den Wagen wieder. Er hatte sich um einen Baum gewickelt. Ich hielt an, um erste Hilfe zu leisten. Im Wrack saßen ein Mann und eine Frau. Beide waren eingeklemmt. Überall war Blut und ich kam mir so hilflos vor. Den Mann erkannte ich als Ernest Baumann, sein Bild war in sämtlichen Zeitungen."
Karl nickte nur. Ernest Baumann war ein bekannter Mann, der im Landmaschinenbau groß geworden war.
"Die beiden lebten noch. Ich musste Hilfe holen. Also hielt ich einen Wagen an. Und während der Fahrer die Sanitäter verständigte, lief ich zurück zur Unfallstelle. Die Frau war tot. Man brauchte nur in ihre Augen zu sehen. Haben Sie schon mal die Augen eines Toten gesehen?" Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr sie fort: "Der Mann aber lebte noch. Er röchelte. Blut sickerte aus seinem Mund. Ich erinnere mich an jedes Detail. Ich konnte spüren, wie es mit ihm zu Ende ging. Noch bevor die Sanitäter kamen, war auch er tot. Es war schrecklich."
"Sie sind eine starke Frau, Sherryll", sagte Karl. "Es ist schwer, so etwas zu vergessen."
Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Mann sie jedes Mal mit dem Vornamen ansprach, das gab ihr ein gewisses Gefühl der Vertrautheit. Mit einem mal kam es ihr vor, als ob sie den alten Mann seit Jahren kannte.
"Karl …" Es entstand eine kleine spannungsgeladene Pause, ehe Sherryll weiter sprach. "Sie sagten, sie wären ein Seher. Ich bin noch nie jemandem begegnet, der so wie Sie … Sie wissen schon, was ich meine. Aber wussten Sie vorher schon, dass ich kommen würde?"
"Nein", gab Karl bereitwillig Auskunft. "Erst als ich Sie sah. Es fällt mir schwer, es zu erklären. Es ist eine Art Gedankenübertragung. Ich spüre die Unruhe in den Menschen, kann ihre Ängste fühlen, aber das bedeutet nicht, dass ich Gedanken lesen kann." Doch manchmal konnte er es, das sagte er ihr aber nicht. Es wäre nicht klug gewesen, gerade jetzt, wo Sherryll im Begriff war, ihre Beklemmung abzulegen.
"Als Sie sagten", flüsterte Sherryll, "ich stünde vor einem Wendepunkt meines Lebens, was meinten Sie damit?"
Karl dachte angestrengt nach. "Ich weiß es nicht. Das ist der dunkle Punkt. Er ist gefährlich wie ein schwarzes Loch. Ich kann Sie nur beschwören, vorsichtig zu sein."
"Sie machen mir Angst."
"Das war nicht meine Absicht. Aber seien Sie vorsichtig."
Kurz nachdem die Frau sich verabschiedete fühlte er wie Furcht in ihm aufstieg. Es war wie die Angst vor einem Phantom, etwas das man nicht bekämpfen konnte. Der schwarze Punkt - er war nicht sicher - aber er glaubte, es wäre der Tod. Er schloss die Augen. Wirre Bilder geisterten durch seinen Kopf. Die Körpertemperatur stieg und plötzlich riss er die Augen auf. Sie starrten ins Leere. Er flüsterte: "Ich habe den Tod gesehen. Jetzt weiß ich es."
Karl nahm das Telefonbuch. Wie hieß die Frau? Sherryll … hm … Er hatte sie immer mit dem Vornamen angesprochen. Sherryll … Sherryll Stone, das war es. Aber wo wohnte sie? Sie hatten nicht darüber gesprochen. Egal, sie war Amerikanerin - und eine Frau mit dem Namen Sherryll Stone konnte in Deutschland nicht allzu schwer zu finden sein.
Karl nahm den Hörer von der Gabel und wählte die Nummer der Polizei. Schon nach dem ersten Klingeln wurde abgehoben.
"Karl Baumann spricht hier. Ich habe einen Mord zu melden. Heute wird Frau Sherryll Stone ermordet. Sie ist …"
"Wie bitte?"
"Ich sagte, heute wird Frau Sherryll Stone ermordet!"
"Wollen Sie mich verarschen?", zischte die Stimme am Telefon.
"Nichts läge mir ferner. Ich sage die Wahrheit." Karl bemühte sich ruhig zu bleiben. "Sherryll Stone ist Amerikanerin. Sie war heute bei mir und ich habe ihren Tod gesehen."
"Ach, Sie sind ja verrückt."
"Ein Unbekannter wird in ihre Wohnung eindringen und …" Plötzlich war die Leitung tot. Der Polizist hatte aufgelegt.
Karl war verzweifelt. Er blätterte ohne Hoffnung im Telefonbuch. Ergebnislos. Verbittert biss er sich auf die Lippen. Das Telefonbuch fiel zu Boden.
Der Computer! Hilflos starrte er das Gerät an. Jetzt ärgerte er sich, dass er es stets vehement ablehnte, sich damit zu befassen. Karin versuchte unermüdlich, ihn dazu zu überreden.
Im Computer befand sich ein elektronisches Telefonbuch - es würde ein leichtes sein, Adresse und Telefonnummer herauszufinden. Aber er musste warten, bis seine Tochter zurückkam. Wertvolle Zeit würde dadurch verloren gehen. Zeit, die über Leben und Tod entscheiden konnte.
Mehr als zwei Stunden vergingen, ehe seine Tochter nach Hause kam. Aufgeregt erzählte Karl ihr, was vorgefallen war und nur wenige Minuten später wusste er, was er wissen musste. Es war wirklich ein Kinderspiel gewesen. Für die Zukunft nahm er sich vor, mit Karins Computer so etwas wie Freundschaft zu schließen.
Karin reichte ihm das Telefon und er wählte die Nummer. Nach mehrmaligem Klingeln wurde abgehoben. "Inspektor Hektor!", ertönte die Stimme eines Mannes.
Es war wie ein Stich mitten ins Herz. Karl fühlte wie ihm kräftige Hände die Kehle zudrückten und er dachte: Es ist zu spät. Sie ist tot. Ich habe versagt. Niemals in seinem Leben hatte er sich so verloren gefühlt. Für einen Augenblick war er weit weg. Ihm wurde schwindlig. Seine Kinnlade klappte auf und zu.
"Hallo, sind Sie noch da?", tönte die Stimme aus der Leitung.
"Ich bin zu spät gekommen", sagte Karl mit leiser Stimme.
"Wie bitte? Wer sind Sie und wovon sprechen Sie?"
"Mein Name ist Karl Mitterbauer. Sherryl Stone ist tot. Ich bin zu spät gekommen."
Für einen Moment wurde es still in der Leitung. "Sie ist tatsächlich tot. Ungeheuerlich, wie können Sie davon wissen?"
Karl erzählte ihm von seiner Begegnung mit der jungen Frau. Als er geendet hatte, sagte der Inspektor: "Bleiben Sie wo Sie sind. Ich komme sobald es mir möglich ist bei Ihnen vorbei."
"Das ist kein Problem", erwiderte Karl und legte auf.
"Papa, du solltest dir keine Vorwürfe machen", versuchte Karin ihn zu beruhigen.
Ohne seine Tochter anzublicken sagte er verbittert: "Sie könnte noch leben, wenn ich schneller reagiert hätte."
Karin gab sich geschlagen. Sie kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, dass weitere Einwände sinnlos waren. Mit dem Kopf durch die Wand. Er war zu alt, um ihn noch ändern zu können.
Karl hatte das TV-Gerät eingeschaltet und wählte gerade die Kanäle durch. Seine Tochter sah es mit Erleichterung. Es würde für ein wenig Ablenkung sorgen. Als sie das Zimmer verließ, lief gerade N24 auf dem Bildschirm.
Das Bild von Ernest Baumann war eingeblendet. Der Sprecher leierte seinen Text wie einstudiert herunter. Aber was er da zu hören bekam, erstaunte ihn doch sehr: " … tödlich verunglückt. Wie ein Unfallzeuge aussagte, war Herr Baumann sofort tot, seine Frau starb wenige Minuten später …"
Das konnte doch nicht sein! Die Frau starb zuerst, während ihr Mann noch eine Weile lebte. Das war Sherrylls Aussage gewesen, er erinnerte sich ganz deutlich. Warum sollte sie lügen?
Karl schüttelte den Kopf. Diese Frau war keine Lügnerin. Es ist unmöglich, über seinen Schatten zu springen. Dieser Unfall und der Mord. Instinktiv wusste er, dass es hier einen Zusammenhang geben musste. Warum musste Sherryll Stone sterben? Er versuchte, des Rätsels Lösung zu finden, doch sie blieb beharrlich verborgen. Die Zusammenhänge würde er erst später erkennen.
Karl schreckte hoch als ihn Karins Stimme weckte. Der Fernseher war aus. Seine alten Knochen schmerzten etwas, wegen der unbequemen Lage, in der er geschlafen hatte.
"Papa, ein Inspektor Hektor ist hier. Er möchte mit dir sprechen." Karin gab die Tür frei und der Beamte trat ein. "Tut mir leid, wenn ich ungelegen komme", sagte er zur Begrüßung.
"Schon gut. Ich glaube, ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu sagen. Da werden Sie staunen."
Hektor zog die Augenbrauen hoch. "Na, warten wir es ab."
"Bitte setzten Sie sich, Inspektor."
Der Beamte rückte sich einen Stuhl zurecht und setzte sich.
"Wie ist sie gestorben?", wollte Karl wissen.
"Selbstmord. Sie steckte sich den Lauf einer Pistole in den Mund und drückte ab. Grauenvoller Anblick."
Sekundenlanges Schweigen folgte. Karl entging völlig wie Hektor ihn beobachtete. "Das kann nicht sein. Es war ein raffinierter, als Selbstmord getarnter Mord!"
"Dafür gibt es keinerlei Hinweise. Keine Anzeichen für einen Kampf. Sie hat sich auf die Couch gelegt, den Lauf der Pistole in den Mund gesteckt und abgedrückt."
"Sie könnte durch ein schnell wirkendes Gift getötet worden sein - und dann wurde sie erschossen", wandte Karl ein.
"Alle Türen und Fenster waren verschlossen. Wie hätte dieser Unbekannte in die Wohnung eindringen können, ohne ein Schloss oder eine Fensterscheibe zu beschädigen."
"Sie könnte ihren Mörder selbst eingelassen haben."
Der Inspektor nickte. "Das wäre möglich. Aber wie ist er rausgekommen? Die Wohnungstür war von Innen verschlossen."
Karl überlegte einen Augenblick. "Hatte die Wohnungstür ein modernes Sicherheitsschloss oder ein altmodisches, wie das hier?" Er deutete auf die Tür.
Der Blick des Beamten folgte Karls Hand. "Es war ein solches."
Karl musste grinsen.
"Ich werde Ihnen etwas zeigen", sagte Karl. Dann rief er nach seiner Tochter und bat sie um eine Haarnadel. Er bog das Stückchen Draht zurecht. Es war erstaunlich wie geschickt seine Finger waren. Anschließend vergewisserte er sich, dass der Schlüssel an der Innenseite festsaß.
Er bewegte den Rollstuhl aus dem Zimmer. "Inspektor, würden Sie die Tür schließen", bat er.
Nachdem die Tür geschlossen war, trat die zurechtgebogene Haarnadel in Aktion. Nach etwa dreißig Sekunden knackte es im Schloss. "Jetzt versuchen Sie die Tür zu öffnen!", rief Karl.
Die Klinke wurde niedergedrückt, aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Der Inspektor drehte den Schlüssel im Schloss und ließ Karl wieder ein.
"Dieses Problem wäre gelöst", meinte der alte Mann während er wieder ins Zimmer rollte. "Wenn Sie das fragliche Schloss untersuchen, dann würde es mich nicht überraschen, wenn es frische Kratzer aufweist."
Hektor sah voller Bewunderung in Karls Gesicht. Der alte Mann konnte deutlich spüren, dass er immer noch nicht überzeugt war. Während sich der Inspektor wieder setzte, sagte er: "Lassen wir das Spielchen mit der Haarnadel einmal beiseite. Ich werde das näher untersuchen. Um auf Ihre ersten Worte zurückzukommen, Herr Mitterbauer: Sie sagten doch, Sie hätten eine Neuigkeit für mich. Ich würde staunen."
Karl schien Hektor nicht gehört zu haben. "Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?"
"Nein danke, ich bin im Dienst. Nun lassen Sie mich mal staunen."
Karl grinste. "Ich habe Ihnen ja schon am Telefon einiges erzählt. Aber jetzt muss ich etwas weiter ausholen, damit Sie verstehen, worauf ich hinaus will. Der tödliche Unfall der Baumanns hat damit zu tun. Frau Stone wurde Zeuge des Unfalls. Sie schien sehr nervös, als sie hier ankam und mich um Hilfe bat. Wir sprachen über den Unfall und sie sagte, die Frau wäre ein paar Minuten vor ihrem Mann gestorben. Nachdem ich Sie angerufen hatte, sah ich im Fernsehen durch Zufall das Bild von Ernest Baumann. Und was ich da hörte, war schon erstaunlich, muss ich Ihnen sagen. Man sagte, Ernest wäre vor seiner Frau gestorben, das habe ein Zeuge ausgesagt. Können Sie sich das erklären?"
"Nun, vielleicht hat Ihre Zeugin gelogen", wandte der Inspektor ein.
"Warum sollte sie das tun? Nein, Inspektor, diese Frau war keine Lügnerin."
"Dann hat sie sich eben geirrt. Vergessen Sie nicht, das viele Blut, das Röcheln der Sterbenden. Da wäre ein Irrtum nichts Ungewöhnliches."
Karl schüttelte den Kopf. "Unmöglich, sie war eine besonnene Frau - eine Karrierefrau, wie man so schön sagt."
"Auch in diesen Kreisen soll es schon vorgekommen sein."
Karl atmete tief durch. "Nun nehmen wir einmal an, sie hat sich nicht geirrt. Warum sollte der andere Zeuge lügen."
Der Inspektor dachte einen Augenblick nach. "Ich habe keine Ahnung."
Karl rieb nachdenklich an seinem Kinn. "Als mein Onkel starb war die ganze blutsaugerische Verwandtschaft zur Testamentsverlesung geladen. Ich habe ihre habgierigen Blicke noch heute in Erinnerung. Jeder einzelne von ihnen wäre imstande gewesen, einen Mord zu begehen, nur um seinen Erbteil zu vergrößern."
Hektors Miene verfinsterte sich. "Herr Mitterbauer, die Geschichte Ihres Onkels steht hier nicht zur Debatte."
Karl hob den Kopf, aber nicht um seine Überlegenheit zu demonstrieren. Der Inspektor mochte ein pflichtbewusster Mann sein, doch dieser Fall schien seinen geistigen Horizont deutlich zu übersteigen. Karls Schlussfolgerung war nahe liegend.
"Von dem Mann, der ich früher einmal war, ist nicht mehr viel übrig", sagte Karl. "Aber mein Verstand arbeitet noch genauso wie damals. Sie erlauben doch, dass ich rauche?" Ohne auf die Reaktion Hektors besonders zu achten, griff er nach seiner Pfeife. Während er sie entzündete, sah er wie es in dem Beamten arbeitete.
"Kommen Sie endlich zur Sache", forderte der Inspektor den alten Mann ungeduldig auf.
Der Pfeifenkopf glühte während der alte Mann den Rauch gegen die Decke blies.
"Nehmen wir das Baumann-Imperium, das ja immerhin sehr beträchtlich ist. Wenn nun wie Frau Stone erzählte, der Mann seine Frau überlebte, erbte theoretisch erst er, dann starb er nach wenigen Minuten - und es erben seine Angehörigen und die Erben seiner Frau gehen leer aus. Jemand aus der Verwandtschaft der Frau suchte den anderen Zeugen auf und überredete ihn, seine Aussage dahingehend zu ändern, dass die Frau ihren Mann um wenige Minuten überlebte. Eine Zahl mit vier bis fünf Nullen dran, zumal es sich um Euro handelt, ist für viele Leute ein überzeugendes Argument. Die Person widerruft. Womit der große Unbekannte aber noch nicht gewonnen hat, es gibt ja noch eine Zeugin: Sherryll Stone. Als er sie jedoch mit seiner Idee konfrontierte, weigerte sie sich. Die bedauernswerte Frau musste sterben, weil sie unbestechlich war."
Karl sah im Gesicht des Inspektors echte Bewunderung. Doch er sonnte sich nicht unter der Anerkennung. Ein funktionierender Verstand und ein gute Kombinationsgabe war für ihn das normalste der Welt.
"Nun werde ich mir diesen Zeugen mal zur Brust nehmen."
"Tun Sie das, aber denken Sie an die unbegrenzte Macht der Psychologie. Schlagen Sie den Feind mit seinen eigenen Waffen und nutzen Sie Ihre Schwächen. Sie müssen sich auf Ihre Schwächen konzentrieren, denn genau dort wird er Sie angreifen, dadurch wird er schwächer und Sie werden stärker. Die Vietkong-Kämpfer waren wahre Meister. Sie beherrschten alle Tricks. Einmal sah ich wie sie einen Mann an einen Pfahl banden und exakt alle fünf Minuten tropfte ein eiskalter Wassertropfen aus einer Öffnung in der Decke, genau auf seinen Kopf. Was glauben Sie, wie lange Sie das aushalten können?"
Der Inspektor ging nicht darauf ein, voller Ehrfurcht sagte er: "An Ihnen ist ein erstklassiger Kriminalbeamter verloren gegangen." Dann wandte er sich um, als er an der Tür angelangte, sagte er noch: "Sie sind ein Vietnam-Veteran, nicht wahr?"
"Oh Inspektor, ich bin nur ein Mann voller Geheimnisse, weiter nichts. Wer oder was ich war, spielt heute keine Rolle mehr."
Hektor ging.
"Auf Wiedersehen, Herr Inspektor! Und denken Sie daran, was ich Ihnen gesagt habe. Nützen Sie Ihre Schwächen!"
 

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