Der wilde Steffen fuhr entsetzt zurück, die Hand des Gutsherrn war eisig kalt; er hatte eine Leiche gefaßt.
– Christ ist geboren! rief auch der Thürmer herab, denn die Predigt war zu Ende und die Gemeinde eilte nach Hause.
Das Messer entsank Steffens Hand; noch einmal starrte er die Leiche an; es war ihm, als schlage sie strafend das kalte Auge auf. Sein Antlitz mit beiden Händen verhüllend, stürzte Steffen fort. Niemand hatte ihn in das Haus schleichen sehen, Niemand sah ihn jetzt vor dem verödeten Stalle verweilen und durch das Fenster starren – Niemand außer dem Dornbusch. Fürchterlich bleich schaute Steffen in das Innere des Stalles; dort sah er sein Weib knien, ebenso regungslos wie die Leiche dort oben im Schlosse, nur schöner, und mild und rein wie die Unschuld, das Kind in der Krippe. Da rannte Steffen fort, sich selbst unbewußt stürzte er durch die offne Kirchthür und sank ohnmächtig an den Stufen des Altares nieder.
Der Pfarrer aber ging soeben nach Hause, um den Seinigen die Christbescheerung zu bereiten. Er kam an dem Dornbusch vorüber und sah zwei kleine Knaben unter demselben im Schnee sitzen. Sie froren und bargen ihre rothen Händchen in den Lumpen.
– Nimm sie mit Dir! sagte der Dornbusch zum Pfarrer, es sind die Kinder des wilden Steffen; sie wagen sich nicht hinein aus Furcht, daß der Vater sie schlage, wenn sie mit leeren Händen nach Hause kommen! – Nimm sie mit Dir, denn ich kann sie nicht erwärmen; ich bin ja selber arm und nackt!
Wir wissen nicht, war es der Dornbusch oder das Herz des Pfarrers, das also sprach; er aber nahm die Kinder mit sich in sein Haus.
– So; nun habe ich doch eine Sorge weniger! sagte der Dornbusch zu sich selbst. Jetzt zünden sie hier – und da – und dort schon den Christbaum an! Wie schade, daß ich dort nicht unter den Fenstern stehe, denn hier in dem öden Stalle wird's nichts zu sehen geben.
Aber der Dornbusch irrte, denn das Innere des Stalles erhellte sich alsbald mit tausendfachem Licht. Noch immer kniete das arme Weib mit geschlossenen Augen da, aber das kranke Kind es wachte und streckte lächelnd seine kleinen Arme aus; denn das Dach öffnete sich und herabschwebten, von einer Lichtwolke umgeben, zwei wunderliebliche Engel, von denen der Eine einen kleinen Christbaum mit unzähligen Lichtern, der Andre aber köstliche Geschenke trug. Und es ward warm in dem Stall und das Licht warf einen solchen Schein über die Straße, daß der Dornbusch sich verwunderte.
– Es ist doch keine Hütte so schlecht, wo heute nicht Christus wäre! sagte er.
Die Engel aber schwebten herab und während der Eine den Christbaum bescheerte, trat der Andre zu dem kranken Kinde und legte heilend seine Hand auf dessen Brust. Dann schwebten sie wieder hinauf und verschwanden; in dem Stalle aber blieb es Licht.
Inzwischen lag der wilde Steffen auf den kalten Altarstufen. Endlich kam er jedoch wieder zum Bewußtsein. Er hob den Kopf vom Stein; er hatte ein wunderbares Gesicht im Traume gehabt, denn er hatte zwei liebliche Engel gesehen, die segnend ihm zur Seite traten; und jetzt eben noch, da er erwachte, sah er sie neben sich stehen, er fühlte, wie jeder von den Engeln sein warmes Händchen in die seinige legte und sie ihn zur Kirche hinausführten.
Steffen war es, als träumte er noch, als werde er im Schlafe von den beiden kleinen Engeln vor die Kirche und zu dem Stalle geführt, in welchem er sein armes Weib, seine jammernden Kinder wußte. Willig ließ er sich führen; als er aber unter sein ödes Dach trat und er hier Alles warm, licht und hell sah, als er die Christbescheerung gewahrte, da rieb er sich die Augen, er starrte auf die Engel hinab, die ihn hierher geführt und nah an seiner Seite standen. Steffen erkannte in ihnen seine beiden ältesten Knaben, festlich und schön gekleidet, wie er sie nie gesehen.
Noch immer glaubte er, es sei ein Traum. Er hob die beiden Kinder in seine Arme; er hielt und küßte sie – – Nein, das konnte kein Traum sein!
– Christ ist geboren! rief der Wächter vom Thurm herab.
– Ja, ja, er ist geboren, und auch in mir ist er es! rief Steffen aus und mit den beiden Knaben im Arme stürzte er zu seinem Weibe; er umschlang sie, drückte sie an sich und rief: Hanna, erwache! Christ ist ja geboren!
Und sie schlug die Augen auf und schaute verwundert umher.
– Wie ist mir denn? rief sie. Bist Du es wirklich, Steffen? – – Und dieses Licht hier? – Ist es denn wahr, was mir träumte? – Zwei Engel sah ich kommen, sie trugen einen Christbaum und schöne Geschenke, und der Eine trat an die Krippe hier und legte heilend die Hand auf meines Kindes Brust! – – Ja, ja, es ist wahr! Es lebt! jauchzte sie, nahm das lächelnde Kind aus der Krippe und drückte es an die Brust. – – Es ist wahr, Steffen! rief sie, das Kind in seine Arme legend. Der Heiland ist geboren, er hat mir auch mein Kind nicht sterben lassen!
Und während sie Alle die Christbescheerung anstaunten, trat der Pfarrer hinter dem Christbaum hervor, denn er war es, der durch seine beiden kleinen Töchter die Weihnachtsbescheerung gesandt, er war es, der den wilden Steffen an den Stufen des Altars hatte hinsinken sehen, er war es, der seine Knaben festlich gekleidet und sie zu dem Vater in die Kirche geführt hatte.
– Christ ist geboren, sagte der Pfarrer, und Er will, daß er heute auch in der kleinsten Hütte nicht fehle. Wo er aber zum ersten Male eingekehrt, das ist in Eurem Herzen, Steffen; wahrt ihn dort wohl, denn Ihr wisset, es ist im Himmel mehr Freude über einen Sünder, als über neun und neunzig Gerechte! –
Und der Dornbusch schaute noch immer ins Fenster, es rauschte vor Freuden in seinen Aesten, und wie es der Kreuzdorn in jeder Christnacht thut, trieben seine Zweige purpurrothe Augen, die weinten blutige Thränen in den Schnee.
Am andern Morgen aber ging Steffen mit Weib und Kindern zur Kirche; und die Leute des Dorfes gingen in Festkleidern an dem Dornbusch vorüber, und als sie den Schnee unter ihm gleichsam mit rothen Perlen bestreut sahen, riefen sie:
– Seht nur, der Kreuzdorn hat in der Nacht rothe Blüten getragen!
– Ja, antwortete der Kreuzdorn, denn Christ ist ja geboren! Wir Dornen, wir wissen es, denn wir haben ihn ja im Tode gekrönt, und Ihr Menschen, Ihr müßt es auch wissen, denn er ward ja für Euch gekreuziget.