Jetzt begann für die Kinder eine herrliche Zeit. Kam eine Mutter an das Schulhaus und wollte ihrem Buben oder Dirnchen einen Weck oder einen Apfel bringen, so fand sie das Haus leer. Der Schulmeister war mit der jungen [78]Schar hinausgezogen in den Wald. Da lehrte er sie die Pflanzen und Tiere kennen und erzählte ihnen, wie in anderen Ländern die Felder bestellt werden. Da er immer offene Augen und Ohren gehabt hatte, vermochte er den aufhorchenden Kindern gar viel Lehrreiches beizubringen, so daß sie an einem Vormittag im Walde mehr lernten, als bei Säuerling in einem Jahr. War aber Regen und trübes Wetter, dann wurde im Schulhaus geschrieben und gelesen, daß allen der Kopf rauchte, denn wer nicht fleißig war, durfte bei Sonnenschein nicht mit in’s Freie und mußte nachlernen.
Dazu kam noch, daß der Schulmeister Einfältig die Kinder, denen das Lernen schwer fiel, sehr belobte, wenn sie etwas gut machten, dadurch bekamen sie Zutrauen zu sich und merkten, daß das Lernen eine Lust sein könne und keine Last, wie sie vordem vermeint. Die Eltern aber nickten einander zu und sagten: »Sollte man nicht meinen, Herzfroh sei wieder aufgestanden?«
So hielt es der neue Schulmeister ein halbes Jahr. Da wurde ihm die Zeit lang, und er sehnte sich wieder in die weite Welt. Hätte er nur einen andern gefunden, der, wie er, die Kinder in Liebe unterwies. Wo aber einen hernehmen? Sah immer im Wirtshaus die Leute an, ob der Zufall nicht einen Geeigneten herführte, aber keiner schien der Rechte. »Schulmeister,« hatte der Wirt eines Tages gesagt, »was soll Euch ein Bauernwagen? Ich habe dahinten ein Kütschlein stehen, das mir nichts nutz ist, zu dem bin ich bei einem kleinen Handel billig gekommen. Ist’s [79]Euch recht, so laßt uns tauschen. Ist uns beiden damit geholfen; denn ich hab oft Säcke in die Mühle zu fahren und mein Planwagen ist schon ein bischen zerbrechlich.«
Deß war Schlupps zufrieden, und damit seine Gäule im Stall nicht zu fett und gar krank würden, spannte er sie oft in sein neues Wägelchen und fuhr die Alten und Gebrechlichen über Land, damit sie die schöne Gotteswelt auch anders als vom Sorgenstuhl zu sehen bekämen.
Eines Tages war er allein ausgefahren. Auf dem Rückweg ließ er die Zügel hängen, und die Rößlein gingen langsam der Heimat zu. Da sah er einen Jüngling vor sich gehen, den Rücken hochbepackt mit allerlei Gerät. »Steigt ein, junger Mann,« rief er. Der Fremde ließ sich nicht zweimal bitten, zog höflich zum Dank die Sammetkappe und kletterte in den Wagen. »Seid sehr beladen,« meinte Schlupps. »Will’s meinen, Herr. Bin auch lange auf der Wanderschaft. Komme von Italien her und habe manches Schöne und Herrliche gesehen,« plauderte der junge Mann. »Bin meines Zeichens ein Maler und weit herumgekommen, um zu studieren und zu lernen.«
»Erzählt mir von Eurer Fahrt,« bat der Schulmeister, dessen Herz hoch schlug, sobald er von fremden Ländern hörte. Der Jüngling strich sich die blonden Locken aus der Stirn, sah mit den tiefen blauen Augen träumerisch in die Ferne und sagte langsam: »Herr, Herr, es ist etwas Gefährliches um das Indieweltgehen. Daheim hab ich geglaubt, schon viel zu können und es den großen Malern gleich tun zu können. Wie ich aber südwärts kam, nach [80]Venezien und Florenz, da wurde mein Herz immer schwerer, denn ich sah, daß ich ein Stümper war, wie es nur einen gab. Vor den Bildern der alten Meister dachte ich zu lernen und pinselte und zeichnete nach, so viel ich konnte. Als ich aber weiter kam in die heilige Stadt Rom und dort von Bild zu Bild eilte, war ich so unglücklich, daß ich schier meiner Kunst gram wurde. Denn sagt selbst: Ist es nicht hart, sein Herz an eine Sache zu hängen und dann zu sehen, daß man darin nie etwas Besonderes erreichen könne? Ich sah ein, daß die Malerei mir immer ein Ergötznis für frohe und trübe Stunden sein würde, aber daß ich nimmer etwas fertig bekäme, was nur dem allerkleinsten Bildchen der großen Meister gleicht. Es waren schwere Stunden, Herr, und das schöne Italien erschien mir wie der Garten des Paradieses, allwo der Engel mit dem feurigen Schwert mich hinauswies. Da packte ich endlich zusammen, was ich gemalt hatte und wanderte wieder zurück in meine Heimat. Könnte ja mein Gewerbe dort ausüben und würde wohl kaum einer merken, daß ich kein großer Meister bin; denn sie sind der Malerei unkundig und es gefällt ihnen leicht, was recht aussieht und bunte Farben hat. Aber mir ist es verleidet.«
»Da geht’s Euch mit Eurem Handwerk, wie mir mit meinem,« nickte Schlupps. »Bin hier Schulmeister und tät’s gern an den Nagel hängen.«
»Was,« rief der junge Mann, »ist’s möglich? Das ist Euch zuwider? Gibt’s denn eine größere Freud, als die Kinder zu unterweisen, ihnen alles Schöne zu geben, das [81]man gesehen hat und vielleicht einen, der ein Meister werden kann, auf den rechten Weg zu führen? Seht, Herr,« fuhr er fort und seine Augen leuchteten. »Das hab ich mir als das Beste vorgestellt, der Jugend den Sinn und die Augen auftun. Aber so geht’s. Mit dem, was er hat, ist der Mensch nie zufrieden.« »Da mögt Ihr recht haben, junger Mann,« sagte Schlupps; »wir sind hier bei meinem Hause angelangt. Kommt herein und nehmt fürlieb.« Damit half er dem Gast vom Wagen und wies die Magd an, ihm ein Stübchen und ihnen beiden einen Imbiß zu richten.
»Zeigt mir morgen bei Tageslicht Eure Bilder, Herr Maler,« bat er. »Hab’ eine Freude an solchen Sachen.« Das war dem Gast lieb zu hören: denn wenn ihm selbst seine Arbeiten auch nicht immer gefielen, so erfreute es ihn doch, wenn andere Wohlgefallen daran hatten. Wie sie nun am Morgen die Bilder besahen, und Schlupps sich vorstellte, daß es Orte gäbe, so schön wie die auf der Leinwand, wo Schlösser und Burgen, blaue Seen und Schneeberge zu sehen waren, da wuchs seine Sehnsucht in die Welt schier übermächtig. Am meisten gefiel ihm ein Bild, das einen Fürstensohn darstellte, mit blassem Gesicht, dunklen Augen und schwarzen Haaren.
»Dies Bild habe ich in Florenz gemalt,« sagte der Maler. »Ein Meister, der schon lange verstorben ist, hat es angefertigt, und weil ich die Augen des Konterfeis nimmer vergessen konnte und immer zu dem Bild zurückkehren mußte, habe ich es nachgemalt, so gut es ging, und es ist mir nicht übel gelungen.« Damit legte er es in seine Mappe zurück. [82]»Dank Euch auch, Schulmeister, für die Unterkunft. Will heute noch weiter wandern und sehen, wo ich mein Nest aufschlage,« fuhr er fort. »Hier,« sagte Schlupps und faßte ihn bei der Hand. »Hört mich an. Ihr kommt zu gelegener Stunde. Ich muß fort und habe nur auf einen gewartet, der mein Amt übernimmt. Bleibt Ihr an meiner Stelle und unterweist die Kinder. Nennt Euch ›Wegwart;‹ denn das sollt Ihr jetzt sein. Ein Wärter, der ihren Weg bewacht. Und denkt nicht, daß dies Handwerk zu schwer für Euch sein werde. Übt Eure Malerkunst an ihnen aus, dann wird es am besten gehen, und wollt nur statt auf Leinwand auf die Seelen der Kleinen Eure Bilder malen. Nehmt alle Farben: das Grün der Treue, das Rot der Freude, das Gelb des Neides; aber nur so viel davon, als das Herz braucht, um Neid auf alles Gute und Schöne zu bekommen und es nachzuahmen. Vergeßt auch nicht das Schwarz des Hasses gegen alles Böse und Unrechte. Und wenn Ihr das Grau der Trauer auflegen müßt, dann setzt das Blau der Hoffnung dazu und laßt dazwischen das zarte Violett nicht fort. Denn wie die Dämmerung zwischen Tag und Nacht steht, so ist in den Herzen oft ein Schwanken von Leid zur Freude und es braucht von einem zum andern einen Übergang. Mischt dann zu allem das Weiß der Klarheit und Wahrheit und glaubt mir, daß an den Bildern, die Ihr auf die Art macht, der liebe Herrgott seine Freude hat. Werdet dann ein so verdienstvoller Maler wie die großen, die Ihr bewundert, wenn auch kein Ehrenzeichen um Euren Nacken hängt.«
[83]Da stand der junge Maler eine Weile still und nachdenklich; dann hob er die Hand und rief: »So hat es Gott gewollt, Schulmeister, daß er mich herwies, Euren Platz will ich wohl annehmen. Wenn Ihr aber in die Welt ziehen müßt, so erweist mir eine Liebe und nehmt das Bild mit, das Euch so gefallen.«