So zog Schlupps durch die Lande, beobachtete die Menschen und bekam es manchmal überdrüssig, ihr Treiben anzuschauen. Sah er sie doch allerorten die gleichen Torheiten vollführen, und mehr als einmal konnte er der Versuchung nicht widerstehen, sie seine Launen und seinen Spott fühlen zu lassen. Nur der Müßiggang wurde ihm allmählich [55]verleidet. Er hätte gern ein rechtschaffen Gewerbe angefangen und konnte sich doch nicht dazu entschließen; denn das Schreinerhandwerk war ihm zuwider und etwas anderes, das ihm Freude machte, wußte er nicht.
Eines Tages kam er in einen Flecken, in dem die Häuser gar sauber aussahen, die Gassen ordentlich gehalten waren. Man mußte nicht fürchten, daß einem die Gäule die Beine in den Löchern brachen und daß der Schlamm bis in den Wagen hineinspritzte. An den Fenstern standen in Scherben Nelkenstöcke oder Blaublümlein, und hinter den blinkenden Scheiben lugten fröhliche Mädchengesichter hervor. »Hier ist gut sein,« dachte Schlupps. »Hier liegt die Freude auf der Gasse und scheinen gar gute Leute im Ort.« Da hörte er aus einem Hause Weinen und Wehklagen, stieg vom Wagen ab, band sein Rößlein an einen Baum und schlich sich näher, um durch die Fenster zu spähen, was es denn Trauriges gäbe. Wie er so hinblickte, sah er eine Menge Kinder, große und kleine, auf Bänken sitzen und merkte, daß er vor dem Schulhause stand und die Kleinen vom Schulmeister unterwiesen wurden. Der war ein langer, hagerer Mann, mit einem Gesicht wie ein Raubvogel, die Nase stand ihm wie ein gekrümmter Schnabel heraus. Er trug ein blaues Wams mit goldenen Knöpfen, auf dem Kopfe hatte er ein klein Käppchen, unter dem eine mächtige Perücke hervorsah, in der Hand aber eine lange Gerte, mit der schmitzte er über die Bänke herüber.
Aber eins wollte Schlupps nicht recht in den Sinn und erschien ihm sonderbar. An der Seite zum Fenster zu, wo [56]das Licht hineinfiel, saßen Kinder, Knaben und Mädchen, denen man ansah, daß sie guter Leute Kind waren und daheim alles voll und viel hatten, denn die Jöppelchen waren von echtem Tuch, und die Mädchen trugen Schürzen und Jäckchen gar nett und zierlich; einige hatten Häubchen auf dem Kopfe, die mit Gold verputzt waren, wie man sie zum Kirchgang anlegt. An der Wand entlang auf den Bänken aber saßen Buben und Dirnchen, die wohl sauber, doch ärmlich angezogen waren, mit Holzschuhen an den Füßen. Die Spenzer und Röckchen hatten Flicken in allen Farben, auch waren die Schürzen von grobem Stoff und arg verwaschen, und der erfahrene Mann sah bald, daß hier die armen Häusler- und Taglöhner-Kinder saßen. Wenn eines von ihnen sich bewegte, fielen die Holzschuhe von den Füßen und klapperten auf dem Boden, denn es war Sommer und da sparte man gern die Strümpfe, die noch den langen Winter halten müssen.
»Den Schulmeister muß ich mir einmal in der Nähe betrachten,« dachte der Neugierige, fuhr in das Gasthaus, gab Pferde und Wagen dort ab und ging in den Kramladen, wo man allerlei einkaufen konnte.
»Gute Frau,« sagte er zu der Alten, die ihn frug, was er begehre. »Habt Ihr eine große Hornbrille, dieweil meine auf der Fahrt zerbrochen ist?« – »Mein’, daß ich eine hab! Ein Fremder, der mich nicht bezahlen konnte, hat sie mir als Pfand dagelassen. Er ist aber nimmer wiederkommen, also daß ich sie wohl verkaufen kann.«
Damit fing sie an, nach der Brille zu suchen, die sie irgend [57]wo gut versteckt hatte, und nachdem sie alle ihre Ware durchwühlt, und Brot, Käse, Tücher, Schnupftabak, Zunder, Strümpfe und Gewürz herausgenommen und wieder in die Gefache gelegt hatte, fand sie endlich die Brille. Die war gar groß und bedeckte dem Käufer die halbe Stirn und die halbe Wange.
»Was bin ich dafür schuldig?« fragte Schlupps. »Zahlt mir die Zeche, die der andere schuldig geblieben ist. Es waren zwei Kreuzer und drei Heller.« Deß war er zufrieden, strich sich die Haare nach beiden Seiten der Stirn glatt, ließ sich von der Frau ein Stück Kreide geben und fuhr damit über die Scheitel, also daß diese weiß aussahen und die schwarze Farbe nur wenig durchschimmerte; dann setzte er die Brille auf und hatte jetzt das Aussehen wie ein hochgelehrter Herr.
»Ist eine Schule am Ort?« fragte er die Frau, die hin und her gegangen war, in der Küche die Suppe verrührte, die Katze vom Milchtopf jagte und auf das Gebahren des Fremden wenig acht gab; denn sie war schon alt und kümmerte sich nicht mehr viel um andrer Leute Tun. »Will’s meinen,« sagte sie. »Ist der Schulmeister schon lange im Dorf?« »Ach nein, Herr, der ist erst kurze Zeit da, und ist leider nicht so wie unser alter, der vor einem Jahr gestorben ist. So einer kommt nicht wieder.« »Erzählt mir von ihm,« bat der Fremde, denn er merkte, daß er jetzt das gefunden hatte, wovon zu erzählen ihr Herz erfreute.
Auf all seinen Fahrten hatte er eines wahrgenommen: daß auch der Verschlossenste redselig wird, wenn er von dem [58]sprechen kann, was ihm im tiefsten Herzen sitzt. Und weil Schlupps die Gabe besaß, an jedem das herauszufinden, was ihm das Beste dünkte, so wußte er jedermanns Vertrauen zu gewinnen und lernte den Menschen in die Seele schauen. Nun sagte er: »Liebe Frau, ich habe von Eurem Schulmeister gehört; aber von Euch, die Ihr ihn gut gekannt habt, möchte ich noch mehr wissen.«
»Ja, wie soll ich Euch den beschreiben?« besann sich das Weiblein. »Fünfzig Jahre hat er seines Amtes gewaltet. Wie er kam, lag das Dorf im Argen. Der vor ihm war, hatte kaum vermocht, die wilden Buben zu zügeln und die Mädchen zur Ordnung anzuhalten. Aber der konnte es, keiner wußte wie. Bei dem vorigen ruhte der Bakel nimmer, und es regneten nur so die Strafen. Oft kam es, daß eine ganze Reihe Kinder vor der Kirche hinknien mußten, zur Schande der Eltern; denn das war damals der Brauch so, Herr. Jetzt hörte das mit einem Male auf. Wie er eigentlich hieß, wußte keiner. ›Nennt mich Herzfroh,‹ sagte er, wenn man seinen Namen wissen wollte. Ich glaube, er war weit her und ohne Anverwandte.
Manche sagten, er sei ein Grafensohn, und von Hause verstoßen, andere, er habe nicht wollen Mönch werden und sei daheim entwichen – niemand wußte etwas Genaues. Aber die Kinder hatten ihn bald lieb, und wenn sie sonst mit Heulen und Zähneklappern in die Schule gingen, so war es jetzt für sie eine Lust und Freude. Selbst die Kleinsten quälten die Eltern, sie sollten sie zu dem guten Schulmeister schicken.
[59]War ein besonders böser Bub unter der Schar und drohte dem der Vater, er wolle seine Rute an ihm zerschlagen, dann holte ihn der Herzfroh in sein Haus, behielt ihn da einige Zeit bei sich, und kehrte der Junge heim, dann erkannte keiner den Unwilligen von vordem wieder.« »Hatte er denn Weib und Kind?« fragte Schlupps. »Ach nein,« entgegnete sie. »Das war es auch, daß manche meinten, seine Lieben seien ihm gestorben, und er habe sich deshalb hierher geflüchtet, wo ihn keiner kannte, und es mag wohl etwas derart gewesen sein, denn er nahm sich besonders der Waisen an, und die hatten an ihm Vater und Mutter.
Eine Magd führte ihm Haus. Gegen jeden war er freundlich. Den Frauen schenkte er Setzlinge für ihre Blumenstöcke, die Männer unterwies er, wie sie ihre Obstbäume pflegen sollten, und als die Eltern sahen, wie sauber und ordentlich ihre Kinder wurden, wie sie auf sich hielten, da wollten sie hinter den Kindern nicht zurückstehen, und so kam Zucht und Ordnung in unser Dorf. Wie dann die Kleinen, die er großgezogen, heranwuchsen und selbst Kinder hatten, da war es schon leichter mit dem Schulehalten. Und wenn der Schulmeister in ein Haus trat, da war es jedem, als käme sein leiblicher Vater zu ihm. Dabei tat er den Leuten nichts besonderes, nahm von keinem etwas an, schenkte aber den Armen, was er entbehren konnte. Für ihn gab es keine größere Freude, als wenn ein Bauer sagte: ›Schulmeister, ich hab ein Schwein geschlachtet und den Armen ein Teil Würste gegeben um Euretwillen.‹ Dann [60]strich er am Sonntag Nachmittag unter der Linde die Fiedel, und die Buben und Mädel sangen dazu. Denn das wollte er haben. Singen mußte alles und froh sein. ›Fröhlich lachen schafft halbe Arbeit,‹ meinte er. Nun ist er tot, und jedem fehlt er. Die Kleinsten sind gar am übelsten dran.«
»Warum denn die?« fragte Schlupps, der aufmerksam zugehört hatte. »Seht,« sagte sie flüsternd, »da ist jetzt ein Neuer, der ist gar herb und grandig und ganz anders, wie Herzfroh war. Die Reichen setzt er gesondert von den Armen. Nie hört man bei ihm in der Schule lachen, und wenn die Kleinen ihn kommen sehen, springen sie von der Gasse fort und verstecken sich hinter der Haustür. Wenn der Herzfroh einmal gescholten hat, dann geschah es aus lauter Liebe und Güte und tat wohl. Wenn der aber nur vorbeigeht an einem Haus, wird die Milch im Keller sauer von dem Gewitter, das in seinem Gesicht steht. Und Ihr sollt sehen, Herr, unser Dorf bleibt nimmer wie es ist. Wo die Kinder unfroh sind, kann nichts gedeihen und entsteht bald Zank und Unfrieden. Ist mir nur um meine armen Kindeskinder leid, das Lenerl und der Hansi, die gar so lustige Gemüter haben und jetzt sich nimmer zu lachen getrauen. Aber da klag ich dem Herrn meine Kümmernisse und gehen ihn doch nichts an. Er meint gewiß, ich wäre ein schwatzhaft Weib.«
»Nicht so, liebe Frau,« sagte Schlupps. »Wißt, ich bin ein berühmter Gelehrter und weiß von Kindererziehung gar viel. Ich war in mancherlei Landen, hab aber immer [61]gefunden, daß Lachen dem Menschen gedeiht und eine Gottesgabe ist wie das liebe Brot. Wer den Kindern das Frohsein verkümmert und läßt sie in Mißmut aufwachsen, dem gebührt, daß er in der tiefsten Hölle sitzt und nimmer herauskommt. Gehabt Euch wohl, gute Frau!«
Damit ging er fort und stracks auf das Schulhaus zu, klopfte an und trat ein. »Verzeiht, Herr Kollege,« sagte er. »Ich komme von weit her. Mein Name ist Neunmalgescheit, bin Professor in Padua und will in Deutschland die Schulmeisterei aus dem Grunde studieren. Da hat man mich zu Euch gewiesen und mir gesagt, daß Ihr, der Schulmeister Säuerling, einer von denen seid, die es am besten verstünden. So erlaubt, daß ich zuhöre, wie Ihr es macht und laßt Euch durch mich nicht stören.«
Der Schulmeister verneigte sich bei dieser Anrede unaufhörlich und wußte nicht, wie ihm geschah; denn er war heute gar nicht zum besten aufgelegt, weil er seinen grünen Tag hatte.
So nannten es die Kinder, wenn sie in die Schule kamen und sahen, wie er mit zusammengekniffenen Lippen grün und gelb im Gesicht in dem Schulzimmer hin- und herlief und jedem Kinde, das hereintrat, einen Hieb mit der Gerte austeilte. An solchen Tagen mußten sie still sitzen, ihre Tafeln vollkritzeln und durften den ganzen Tag kein Wort sprechen. Er sprach auch nicht und rannte nur immer auf ein- und derselben Planke am Boden auf und nieder; trat nicht rechts und nicht links und warf zornige Blicke auf die Kleinen.
[62]Hatte er aber seinen roten Tag, dann stand er schon vor dem Schultor, die Kinder zu erwarten, hochrot im Gesicht und dann schrie und wetterte er auf die Kleinen ein, daß ihnen Hören und Sehen verging und sie vor Angst nicht antworten konnten. Er nahm sich auch nicht die Zeit, sie zu unterweisen, sondern schrie und tobte nur immer ärger. So kam es, daß keines etwas lernte, weder die Dummen noch die Gescheiten, und alle unwissend geblieben wären, hätten sich nicht manche Eltern erbarmt und die Kinder im Lesen und Schreiben angelernt, und diese zeigten es wieder den andern.
Der Schultheiß hatte schon einmal mit dem Pfarrer Rücksprache gehalten, daß ein anderer Lehrer ins Dorf sollte. Der Geistliche aber war mit der Zucht des Lehrers sehr einverstanden. Ihn freute es, wenn die Kinder in der Kirche still, mit gesenktem Kopfe dasaßen und nicht wagten, die Augen aufzuschlagen. Er wußte nicht, daß die Furcht vor dem Schulmeister sie so brav machte; denn Säuerling stand in der Nähe der Kinderbänke und drohte jedem, der sich rührte, mit Schlägen.
Bei dem Grafen aber durfte man sich gar nicht beklagen; denn der hatte dem Schulmeister die Stelle verliehen und ließ sich in seine Sachen nicht dreinreden. »Für die Dorfkinder ist der gut genug,« sagte er auf alle Vorstellungen und Bitten; denn er war froh, ihn los zu sein. Ein Vetter hatte ihm den Mann zugeschickt und ihn gebeten, ihm zu einem Auskommen zu verhelfen; und so hatte der Herr Graf es versucht, ihn als Schulmeister für seine eigenen [63]Kinder zu nehmen. Aber die konnten sich in die Art des Mannes nicht finden. Sie waren gewohnt, ungebunden und frei zu sein, und so kam Säuerling an die Stelle von Herzfroh. Schlupps gab acht auf den Unterricht, wie es der Lehrer mit den Kindern machte. Er lief hin und her, warf eine Frage auf, gab dann eines nicht Antwort, so frug er das zweite und so fort. Er erklärte nichts, und es schien ihm ganz gleich, ob sie das Gefragte verstanden oder nicht.
Dann hieß er die Kinder aufstehen und führte sie in den Hof hinab. Da hatte er platt auf den Boden Fäden gespannt, auf denen mußten die Kinder einzeln entlang gehen, eines hinter dem andern. »Seht, Herr,« sagte er, »das ist die Hauptsache im Unterricht, daß jedes lernt, nur nach der Schnur laufen, nicht abbiegen, noch rechts und links, und immer die Augen auf mich gerichtet halten.«
Trat aber eines der armen Würmchen mit einem Fuß über die Schnur, dann wetterte der Lehrer und schlug auf es ein. »Wenn es nach mir ginge, wären im ganzen Orte solche Schnüre gezogen,« meinte Säuerling zu seinem Gaste, »und jeder sollte lernen, darauf gehen, daß es eine Lust wäre. Seht unser Dorf an,« fuhr er fort, »wie es ausschaut. Der eine hat sein Haus rot gemalt, der andere blau; die eine Dirne hat Nelken am Fenster und die andere Blauveiglein. Sieht der Ort nicht aus wie ein Hänfling?« »Wie meint Ihr, daß Euer Dorf aussehen müsse?« fragte der Professor Neunmalgescheit ernsthaft.
»Weiß wie der Tag und schwarz wie die Nacht. Die Häuser [64]schwarz wie die Erde; denn die ist ein Jammertal, und die Fenster weiß vom Sonnenlicht; denn das soll hineinscheinen und die Menschen in all ihrer Schlechtigkeit beleuchten, daß sie sehen, wie erbärmlich sie sind. Und ich setze es auch noch durch. Unter meinem Vorgänger ist gar viel Unfug eingerissen, das muß ich umwandeln.«
»War gewiß ein jung Blut?« meinte Schlupps entschuldigend.
»Nein, das ist es gerade,« ereiferte sich Säuerling. »Alt war er schon und hielt doch noch die Leute zum Singen an und zur Kurzweil. Als ob der Mensch dazu auf der Welt wäre. Ich werde ihnen aber schon die rechte Art beibringen, und wenn sie sich auch widersetzen. Kann ich bei den Großen nichts erreichen, so sollen die Kleinen anders werden. Wie ich es für Recht halte, muß es in der Welt zugehen. Alles schön geordnet. Die Reichen für sich und die Armen für sich. Die Alten allein und die Jungen abseits. Eingeteilt sollten sie werden. Wie das Gerät in einem Schrank darf nichts durcheinander gehen, jedes für sich und Alles nach der Schnur.«
»Recht habt Ihr, Schulmeister,« gab Schlupps bedächtig zurück. »Hab das schon lange gemeint und bin nur froh, daß ich einen finde wie Ihr seid. Schade, daß der liebe Herrgott Euch bei der Erschaffung der Welt nicht hat fragen können. Wie viel Ungelegenheit und Unruh wäre da erspart geblieben! Wirklich, Ihr seid ein grundgelehrter Mann.«
[65]Säuerling lächelte zum ersten Male. Das Lob tat ihm gar wohl. Hatte bis jetzt selten ein solches gehört.
»Eigentlich bin ich nicht zum Schulmeister bestimmt gewesen,« sagte er vertraulich. »Mein Vater war Schuster und hat mich in seinem Handwerk unterwiesen, ließ mich immer die Stiefel für die Arbeitsleute machen, die er auf den Märkten feil hielt, weil es keiner so gut wie ich verstand, alles über einen Leisten zu arbeiten. Das Schusterhandwerk war mir aber verleidet, weil es mich verdroß, daß ich für rechts und links einen besonderen Stiefel machen mußte und das Verschiedenerlei mich ärgerte. Deshalb ging ich zu einem Bader in die Lehre und mußte alle Leute einseifen, dieweil er mit dem Messer kratzte. Dies Geschäft gefiel mir schon besser. Das geschah immer gleich, sodaß kein Unterschied dabei war. Ob Alt ob Jung, alle mußten stillsitzen, wie ich befahl. Da starb der Bader. Das Scheren mit dem Messer verstand ich nicht, denn es ist ein gar schweres Handwerk. So nahm mich ein Magister in sein Haus, unterwies mich, der ich nur notdürftig lesen und schreiben gelernt hatte, in seiner Kunst. Dafür mußte ich die alten Pergamente, die er hatte, ausklopfen, daß sich kein Staub hineinsetzte. Wie auch der eines seligen Todes verblich, vermachte er mir seine Bücher und seine Perrücke. Letzteres tat mich am meisten freuen, dieweil mein Schädel wenig bewachsen war.
Mein Vater hatte aber einen Kunden, einen Grafen, der oft zum Magister gekommen war, um von ihm die Kunst des Goldmachens zu erlernen. Haben Tag und Nacht daran [66]studiert, wollt’ aber nichts gelingen. Dieser Graf wies mich her an unsern hochmögenden Herrn, und so bin ich hier, um in die Bauernschädel Ordnung zu bringen und sie zu rechten Menschen zu erziehen.«
»Habt Ihr kein Weib, Schulmeister?« fragte Schlupps.
»Nein,« war die Antwort, und Säuerling machte ein Gesicht, das aussah wie sein Name.
»Ist es tot?« forschte Doktor Neunmalgescheit. »Nein. Davongelaufen ist mir’s.« Die Sache war aber so: Säuerling hatte ein Weib gehabt, das war eines Tages auf und davon gegangen und zu seinem Vater zurückgekehrt. Als der Richter ihr Vorstellungen machte, daß ein braves Eheweib bei ihrem Gatten zu bleiben und eine gute Ehe zu führen habe, erklärte sie ihm, eine Ehe mit einem fromm gesinnten braven Manne wolle sie wohl führen; einer aber, der alles besser wissen wolle als der liebe Gott selber, habe keinen Glauben. Denn Gott habe die Menschen verschieden gemacht, ihr Mann aber wolle alle nach einem Muster. Wer anders sei als er, wäre in seinen Augen ein schlechter Mensch, und da sie eine Frau und kein Mann sei, so könne sie auch nicht denken wie Säuerling und ihre Art nicht ablegen und verleugnen. Er solle sich zum Frommsein bekehren und was Gott geschaffen habe als recht annehmen, dann wolle sie zu ihm zurückkehren. Da er sich aber nicht ändern wollte und bei seiner Art verharrte, blieb sie bei ihrem Vater und gedieh von nun an wie ein Apfel am Baume, den die Sonne bescheint, während sie vorher war wie eine Schlehe, die im Schatten gewachsen war.
[67]Der Richter merkte, daß er einer Weiberzunge nicht gewachsen sei, gab ihr im Grunde recht, sprach mit Säuerling und suchte ihn umzuändern. Wies ihm nach, daß Gott wohl gewußt, warum er so vieles auf der Welt verschieden gemacht habe, und riet ihm, daß er doch versuchen solle, mit den Menschen in Güte auszukommen. Aber da stieß er auf den Unrechten; denn der Ehemann konnte keine Widerrede vertragen und ereiferte sich sehr, wenn ihn jemand tadeln wollte.
Also ließ ihn der Richter gehen und dachte sich sein Teil. Daher kam es, daß Säuerling nicht in der Heimat geblieben war, sondern auswärts ein Unterkommen gesucht hatte. »Wißt Ihr, Schulmeister,« nahm der Herr Neunmalgescheit das Wort, »Ihr tut mir leid, daß Ihr hier sitzen müßt. Ihr gehörtet an einen andern Platz, und weil ich sehe, was für ein Mann Ihr seid, will ich Euch ein Geheimnis anvertrauen.« Säuerling spitzte die Ohren und sagte: »Da bin ich sehr begierig, Herr Kollege. Ist mir eine Ehre, daß ein so großer Gelehrter sich zu mir herabläßt.« »Das kommt, weil Ihr bei meinesgleichen gewesen seid und habt dürfen die alten Pergamente bewachen. Hättet Ihr in sie hineingeschaut, wäre Euch noch manches klarer im Kopfe geworden, und Ihr wüßtet, wie man es dazu bringt, die Welt nach seinem Willen zu lenken. Hier ist nicht der Ort, über Dinge zu sprechen, die Unberufene nicht hören dürfen. Heute Abend, wenn es dunkelt, kommt auf den Kirchhof hinaus, da können wir von erhabenen Geheimnissen reden, und ich will Euch zu Eurem Glücke verhelfen.«
[68]Damit nickte er recht stolz und hochmütig, als hätte er alle Gelehrsamkeit der Welt in sich und verließ das Schulhaus. Säuerling aber war wie benommen von dem, was er gehört hatte, so daß er wie im Traum umherging und vergaß, die Kinder zu prügeln, ja, es nicht einmal merkte, als eines heimlich lachte. Das Sünderlein steckte rasch den Kopf unter die Bank und harrte vergeblich seiner Schläge. Kaum erklang die Vesperglocke, so liefen die Kinder fort und wußten nicht, wie ihnen geschehen war. Solch einen Nachmittag hatten sie lange nicht erlebt.
Am Abend, als es dunkel wurde, schlich ein Mann auf den Gottesacker, trat hinter einen großen Leichenstein und wartete. Wartete auf einen, der lang und schmal wie ein leibhaftiger Schatten zwischen den Gräberreihen dahin schlich und ängstlich um sich schaute. Denn so tapfer Säuerling vor seinen Kindern war, wenn es galt, sie zu dreschen, so feige fühlte sein Herz, wenn er allein war. Er fuhr daher erschreckt zurück, als der zuerst Gekommene auf ihn zuschritt und ihm feierlich winkte.
»Ach, Ihr seid’s, Herr Professor,« atmete der Schulmeister auf. »Dachte schon, ein Geist wäre es.« »Der könnte Euch nichts anhaben,« versicherte Schlupps lächelnd, »dieweil Geister am liebsten mit ihresgleichen zu tun haben und merken würden, daß Ihr nicht zu ihnen gehört. Aber kommt her, daß niemand wahrnimmt, was ich Euch anzuvertrauen habe.« Damit führte er Säuerling tief hinten an die Mauer und hieß ihn auf einen umgestürzten Leichenstein niedersitzen.
[69]»Wißt,« hub er an, »ich habe viel alte Pergamente durchstudiert und wollte wissen, wie man es fertig bekommt, die Menschen nach seinem Willen zu lenken und sie sich untertan zu machen. Da entdeckte ich denn, daß einst vor tausend Jahren hier im Walde ein weiser Mann etwas vergraben habe.«
»Horcht,« unterbrach ihn Säuerling. »Hört Ihr nicht die Hunde bellen? Oh, es ist furchtbar, wenn sie so zu aller Tag- und Nachtzeit heulen und kläffen. Wißt, daß mir nichts so zuwider ist, als bellende Hunde und krähende Hähne. Die machen ihr Maul immer zur Unzeit auf, statt ordentlich an bestimmten Tagesstunden zu schreien.« »Hört zu, Schulmeister, und unterbrecht mich nicht. Also hier im Walde hat besagter Mann etwas vergraben: Ein Knäuel, aufgerollt aus Bindfaden. Die Stelle habe ich gefunden; aber ausgraben darf ich es nicht; denn es muß ein Mensch sein, der nie Unrecht getan hat, nie Böses von den Menschen gedacht und ihnen immer Gutes erwiesen. Ein solcher kann, wenn er das Knäul aufrollt, die ganze Welt damit umspannen und hat dann Macht über alle Seelen. Ergreift es aber ein Unwürdiger, so kommt der Satan in Hahnengestalt mit dem Gebrüll eines wütenden Hundes und jagt den vermeintlichen Weltbezwinger in die Hölle hinab. Nun seht, Schulmeister, ich bin ein sündiger Mensch, der schon manchem Unrecht getan hat. Ihr aber scheint besser zu sein denn ich, und so frage ich hiermit feierlich und rufe den Mond und die Sterne als Zeugen an: Seid Ihr der Mann, das Knäul zu heben? So will ich Euch die Stelle [70]zeigen und nichts dafür verlangen, als was Ihr mir gutwillig gebt. Ihr aber werdet Herr der Welt, und niemand darf Euch etwas verweigern.«
»Der Mann bin ich!« rief Säuerling und streckte seine Hand hoch. »Nie habe ich Unrecht getan; denn ich bin die Gerechtigkeit selbst. Die reichen und armen Kinder habe ich gesondert, weil Gott die Menschen unterschiedlich geschaffen hat und man ihnen immer seinen Willen vor Augen halten soll. Böses habe ich nie besonders von ihnen gedacht; denn ich weiß, daß die Menschen von Grund aus böse sind, und so habe ich sie nur für das angesehen, was sie sind und nie etwas dazu getan. Gutes habe ich ihnen erwiesen; denn ich hab’ sie von Tand und Lustigkeit abgehalten und sie hingewiesen auf das, was allein ewig bleibt, – – auf die Trauer und die Unlust an der Welt. Und so,« schloß er, »hätte der Herr Professor können keinen Gescheiteren finden als mich. Als Dank aber will ich ihm meine Stelle vermachen. Da kann er in meinem Sinne weiter wirken und die Kinder unterweisen.«
»So steht dem Werke nichts mehr im Wege,« sprach der Herr Professor aus Padua. »Findet Euch morgen gegen Mitternacht hier ein. Alles Nötige werde ich mitbringen. Bereitet Euch vor durch Buße und Reue, falls Ihr noch eine Sünde auf dem Gewissen habt.« »So sündenrein wie ich ist niemand,« erwiderte Säuerling. »Aber jetzt tut mir die Liebe und geleitet mich zu meiner Behausung. Denn die Hunde bellen, wenn ich an den Häusern vorbeigehe, und Ihr wißt, das kann ich nicht vertragen. Bald will [71]auch die Sonne aufgehen und die Hähne beginnen zu krähen.« »Geht nur allein, Schulmeister,« sagte Schlupps, »langsam über den Friedhof, stoßt an keinen Leichenstein, daß kein Nachtgespenst aus seiner Ruhe aufgeschreckt wird und Euch an den Kopf springt. Denn wißt, es gibt auch falsche Geister, die dem Menschen in den Kopf springen und nimmer herausgehen. Dann haltet Euch genau in der Mitte der Straße, seht nicht rechts und links um Euch, bis Ihr in Eurem Bette liegt. Das Weitere kommt morgen.« Und der Schulmeister schlich zitternd und angstvollen Herzens fort, sah sich nicht um und war froh, als er in seinem Bette lag und die Decke über den Kopf ziehen konnte. Am liebsten hätte er gar keine Schule gehalten; da das nicht anging, ließ er die Kinder kommen und suchte ihnen heute nur Freundlichkeiten zu erweisen. Er forderte sie auf fromme Sprüche zu sagen und erzählte ihnen dann, daß er dereinst die Welt beherrschen und zu hohen Ehren gelangen würde. Dann entließ er sie, schloß das Schulhaus ab und erwartete mit Ungeduld den Abend.
Indessen war Schlupps auch nicht faul gewesen. Als er den Kirchhof verlassen hatte, setzte er die Brille ab und begab sich in das Wirtshaus. Am andern Morgen erkundigte er sich, ob nirgends Hunde zu verkaufen seien. »Das wohl,« beschied ihn der Wirt. »Geht nur hinaus auf den Anger, wo der Schäfer weidet, der hat solche zu vergeben. Sag Euch aber gleich, daß es bissige Tiere sind, die man nicht frei herum laufen lassen darf und die keinem gehorchen außer ihrem Herrn.«
[72]Das war Schlupps gerade recht. Er ging zu dem Schäfer hinaus und fand ein Männchen mit faltigem Gesicht und verschmitztem Ausdruck. Neben ihm saß ein kleines Mädchen. »Ist das Euer Jüngstes, Schäfer?« fragte er. »Jawohl, Herr; die andern sind noch in der Schule.« »So, so, hab’ da hineingeguckt, gefällt mir gar nicht, Euer Schulmeister; bin zwar selber einer, möcht’ aber keine Kinder um mich haben, die nicht lachen und froh sind.« »Ihr seid mein Mann,« rief der Schäfer. »Wollte Gott, wir hätten einen wie Ihr seid und wären den Sauertopf los.« »Dazu könnt Ihr kommen,« lachte der falsche Schulmeister. »Hab einen gar feinen Plan und wenn Ihr, Schäfer, mir helft, so sollt Ihr den Griesgram bald vom Ort haben.« »Da bin ich dabei. Sagt, was Ihr begehrt.« »Ich brauche nichts, als zwei oder drei bissige Hunde, die bellen, wenn man sie in den Schwanz kneift, und einen Hahn. Ein paar Buben sind auch vonnöten.« Dann weihte er den Schäfer in seinen Plan ein, und der Hirte versprach ihm lachend, alles auf das Pünktlichste zu besorgen.
Als nun der erste Schaufelwurf erklang, kniff der Schäfer einen Hund in den Schwanz, daß er heulte, und Säuerling hielt erschreckt mit Graben inne. »Das ist ein schlimmes Zeichen,« flüsterte Schlupps. »Solltet Ihr in Eurem Gewissen doch nicht so rein sein, daß der Teufel eine Mahnung gibt?« »Wüßte kein Unrecht, das ich je begangen,« stöhnte Säuerling. »So grabt weiter!«
Beim zweiten Schaufelstich klang das Heulen stärker. Beim dritten war es so arg, daß dem Grabenden die Hände zitterten und er nur mühsam den Griff festhielt; aber er ließ nicht los und fuhr fort zu schaufeln. Da schlug der jüngste Bube mit dem Feuerstein Funken, brannte den Zunder an, entzündete die Pfeife, daß sie glühte und zog an, bis mächtige Rauchwolken heraus kamen. »Um Himmelswillen! der Teufel,« flüsterte Schlupps. »Seht, wie seine Augen glühen, wie sein Atem dampft!« Unbemerkt war der kleine Junge näher geschlichen, hatte in die Grube ein Stück brennenden Zunder und eine Handvoll Hobelspäne geworfen, [76]sodaß eine Flamme hochschlug. Säuerling ließ die Schaufel fallen und fuhr entsetzt zurück. Schlupps aber war hinter einen Baum getreten und brüllte mit verstellter Stimme: »Wer wagt es, meine Höllengeister zu beschwören? Bist du es, Sündhafter, der Trübsal in die Welt bringen will und die Menschen zu mutloser Traurigkeit verleitet? Wehe dir! Jetzt bist du mir verfallen!« Der Hahn auf dem Baume, der die Flamme hatte leuchten sehen, meinte nicht anders, als die Sonne ginge auf und fing an zu krähen. Da ließ ihn der Bub frei. Er flog hinab, gerade auf Säuerlings Kopf und hackte mit dem Schnabel in dessen Perücke; der Schäfer aber ließ die Hunde los, die sich wütend auf den Schulmeister stürzten. Der warf entsetzt die Schaufel hin, rannte davon und meinte nicht anders, als der Teufel sei ihm auf den Fersen, lief und lief immer weiter bis er Abends in einer fremden Gegend anlangte und nicht wußte, wo er war.
Dort bat er die Leute, ihn um Gotteswillen aufzunehmen, und da sie meinten, einen Armen vor sich zu sehen, der eine Schuld abzubüßen habe und landflüchtig sei, und Mitleid mit ihm spürten, wenn er immer rief, der böse Geist verfolge ihn, ließen sie ihn im Dorfe wohnen. Sie gaben ihm eine alte Hütte und ließen ihn die Gänse auf die Weide treiben. Verwiesen es auch den Kindern, darüber zu lachen, wenn der fremde Mann erzählte, daß er einmal Schulmeister gewesen sei und Macht über die ganze Welt besitzen sollte, daß ihm aber Unrecht geschehen sei, ihm, der sein Lebtag die Gerechtigkeit selbst war.
[77]Schlupps verließ mit dem Schäfer den Wald und ließ sich Handschlag darauf geben, daß keiner im Dorf erfahren solle, auf welche Art sie den Schulmeister los geworden seien. Der Schäfer versprach, Wort zu halten und seine Buben desgleichen; denn sie wollten beide einmal Schäfer werden, und einem solchen vertrauen die Menschen oft gar viel. Muß er sie doch heilen, wenn sie krank sind, und erfährt von vielen Schmerzen, innerlich und äußerlich, die den Menschen plagen und die er sonst keinem anvertraut. Als am andern Morgen die Kinder in die Schule kamen und kein Lehrer da war, gingen sie heim und freuten sich. Der Schäfer aber flüsterte geheimnisvoll dem und jenem zu, daß wohl der Teufel den Schulmeister geholt habe; es sei aber nur eine Ahnung; sicher wisse er es nicht. Weil aber die Menschen Vermutungen immer um so lieber glauben, je unwahrscheinlicher sie sind, so stand bald im Dorfe fest, daß den Säuerling der Teufel geholt habe, und Niemand weinte ihm eine Träne nach.
Statt seiner aber erbot sich Schlupps, die Stelle anzunehmen; nannte sich aber nicht mehr »Neunmalgescheit,« sondern »Einfältig;« »denn,« sagte er, »wer lehren will, muß ein einfältig Gemüt haben und selbst lernen wollen.«