Schlupps zog weiter, die Straße entlang, die durch den Wald führte, dann am Flußufer hin und freute sich, wie [43]die Sonne so hell aus dem Wasser flimmerte, wie die Vöglein sangen und wie die Blumen lieblich dufteten, brach sich einen Zweig ab und wehrte damit die Fliegen, die seine Rößlein umschwirrten. Dazwischen aber fühlte er seine Geldsäckel an, die er neben sich gelegt hatte und die gar schwer und steif waren.
»Man muß das Gras mähen, wenn es reif ist,« dachte er, »Wäre ich’s nicht gewesen, so wäre ein anderer gekommen, und die Krämer hierzulande können mir Dank sagen, daß ich ihnen die fremdländischen vom Halse geschafft habe.« An einem Wirtshause hielt er Mittagsrast, ließ sich ein gutes Essen geben und fuhr dann weiter. Unterwegs sah er eine Frau auf der Landstraße gehen, die ein Kind auf dem Arme trug und nur langsam vom Fleck kam. »Steigt auf, gute Frau,« rief er. »Seid gewiß rechtschaffen müde.« Sie nickte dankbar, ließ sich nicht lange bitten und reichte ihm das Kind zu, damit sie leichter aufsteigen konnte. Es war ein herziges Büblein von vier Jahren mit blauen Augen, blonden Löckchen und einem weißen Gesichtchen.
»Seit des Morgens vier Uhr sind wir zu Wege,« erzählte die junge Mutter. »Bin mit dem Kinde in der Stadt gewesen bei einem Doktor. Das war ein gar gelehrter Herr, alles stand bei ihm voll von Geräten und Pfannen und Tiegeln. Er besah den Kleinen von allen Seiten und sprach fremde Worte, die ich nicht verstand. Dann gab er mir ein Fläschchen mit Arznei, die war gar teuer, und verordnete, ich solle jede Woche kommen und solch eine Flasche holen, und je mehr ich holte, desto besser wäre es für das Kind. [44]Auf Speise und Trank soll ich es nicht ansehen und dem Kinde alles vom Besten und Feinsten geben und kein Hafermus, sondern nur Brei von weißem Weizenmehl. Milch aber soll es trinken den ganzen Tag, soviel es nur zu trinken vermag. Solch ein Doktor hat gut reden. Mein Mann ist ein armer Waldheger. Zu einer Kuh langt das Geld nicht, und Ziegenmilch kann das Büblein nicht vertragen. Ich möchte mir schier das Herz aus der Brust reißen für ihn und kann ihm doch nicht helfen.«
Dabei drückte sie das Kind an sich und sah ihm liebreich in die Augen. Schlupps antwortete nicht viel, weil er nicht sprechen konnte. Es saß ihm etwas in der Kehle, was ihn drückte und würgte, und er mußte an sein lieb Mütterlein denken, das ihn immer geherzt und geküßt hatte und schon so lange unter dem grünen Rasen lag. Seitdem hatte kein Mensch mehr ein lieb Wort zu ihm gesprochen, und wenn er es auch gewiß nicht wahr haben wollte, so hätte er doch gern alle seine Schätze um ein gut Mutterwort gegeben. »Macht Euch keinen Kummer weiter, liebe Frau,« sagte er endlich, »unverhofft kommt oft; wer weiß, was Eurem Kinde noch Gutes widerfährt.«
Da richtete die Frau ihren Kopf hoch und sah ihn getröstet an; denn einer Mutter klingt es wie Himmelswort, wenn man ihr etwas Gutes von ihrem Kinde sagt, und der Gedanke an eine Freude, die ihm begegnen könne, tut der Seele einer Mutter so wohl wie ein Gebet.
»Wie weit habt Ihr’s noch?« fragte Schlupps. »Noch reichlich zwei Stunden,« gab sie zurück, »gerade das Tal [45]entlang, in dem Walde, den Ihr in der Ferne seht, steht mein Haus.« »Das trifft sich gut,« meinte er, »das ist mein Weg, und so kann ich Euch bis dahin fahren.« Die Rößlein liefen tapfer zu; denn ihr Herr hatte an ihnen nie den Hafersack gespart. Der Bursche ließ sich von der Frau erzählen, wie sie und ihr Mann lebten und erkannte immer mehr, daß sie ein braves, schlichtes Gemüt war, von den Menschen nur Liebes und Gutes dachte und sich von Keinem etwas Böses vermeinte. »Du sollst in deinem Glauben nicht zu schanden werden,« dachte er.
Endlich, die Sonne ging schon nach Westen zu, langten sie an dem Häuschen an. Schlupps sprang herunter, nahm der Frau das Kind ab, das eingeschlafen war, und trug es in’s Haus. Sie konnte nicht genug Worte des Dankes finden und bat ihn dringlich, bei ihr Rast zu halten und ihrem Heim nicht die Ruhe zu rauben, holte Brot und Ziegenkäse herbei und bat ihn, fürlieb zu nehmen.
»Wüßt’ ich nur, wie ich Eure Guttat vergelten kann,« überlegte sie. »Wart’, ich hab’s. Geduldet Euch eine Weile; ich bin bald zurück.«
Als sie fort war, untersuchte Schlupps das Zimmer, in dem alles vom Einfachsten war. Tische und Bänke waren aus sauber gescheuertem Tannenholz, die bunte Truhe barg für jeden der Eheleute ein Gewand und auf dem Sims über der Ofenbank lag in ein sauberes Tuch geschlagen die Bibel. Die nahm der Bursche rasch herunter, schlug sie auf, blätterte darin und legte zwischen die Seiten je ein Goldstück, so daß jetzt das heilige Buch nicht nur mit goldener Rede, [46]sondern auch mit goldener Münze gespickt war. Dann legte er das Buch wieder an seinen Platz und setzte sich an den Tisch. »Hier nehmt,« sagte die Frau noch außer Atem, »bin ein bischen rasch die Kellertreppe hinuntergesprungen. Hab mich besonnen, daß unten ein Fläschchen alten Weines liegt, den der Herr Graf meinem Manne geschenkt hat, als er krank war. Ich bitt’ Euch, erweist mir die Gefälligkeit und nehmt’s. Wir sind so etwas doch nicht zu trinken gewohnt. Es ist mir nur arg, daß ich denk, Ihr müßt so heimatlos umher ziehen und habt nicht Weib und Kind und keine Mutter, wie Ihr mir sagtet. Nehmt’s mit, und wenn Ihr draus trinkt, vergeßt nicht mein Kind und mich. Sagt mir auch Euren Namen, daß ich Euch in mein Gebet einschließen kann.«
Dem Gesellen war es ungewohnt, seinen richtigen Namen zu nennen und er sagte langsam: »Heinz Kurzweil.« Dann nahm er das Fläschchen, das eine absonderliche Form hatte, platt und breit war, so daß er es in eine Tasche seines Kittels stecken konnte.
»Ich danke Euch,« sagte er und reichte ihr die Hand. »Bleibt gesund beieinand, und wenn einmal ein armer Handwerksbursch oder sonst ein Heimatloser bei Euch anklopft, dann seid gut zu ihm.«
»Das will ich wohl,« beteuerte sie, »und jetzt hab ich noch eine Bitte an Euch, Heinz. Laßt mich Euch segnen, wie Euch Eure Mutter gesegnet hätte.« Da kniete der Bursche nieder, und die junge Frau legte ihm die Hände auf das Haupt, sprach ein Vaterunser und fügte eine Bitte um sein [47]Wohlergehen hinzu, und Heinz war es, als sei er wieder ein klein Kind, das daheim im Bettchen läge, von Mutterliebe betreut. Denn allen Mutterhänden ist ein Zauber eigen, und wenn sie einem Menschen die Stirn berühren, sieht er die Kindheit wieder auferstehen, wo er auch immer sei.