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Estnische Märchen:6. Seltene Weibestreue.

时间:2022-04-13来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Estnische Märchen
Vormals lebte ein unermeßlich reicher junger Kaufmann, der neun hundert neun und neunzig Schiffe hatte, welche unaufhörlich Waaren weithin in fremde Länder führten und von da wieder andere Waaren oder baares Geld dem Schiffsherrn zurückbrachten. Um das Tausend voll zu machen, ließ er noch ein neues Schiff bauen. Als das Schiff fertig war und eben vom Stapel gelassen werden sollte, geschah es zufällig, daß ein Hebebaum den Schiffsherrn streifte und seine Hose vom Querl bis zum Beinling aufriß. Nun ist für einen reichen Mann eine geplatzte Hose eine viel schlimmere Sache als für einen Armen, an welchem dergleichen nicht besonders auffällt — während der Allen wohlbekannte Kaufherr fürchten mußte, daß die Leute ihre Blicke auf nichts anderes mehr richten würden, als auf seine zerrissenen Hosen. Deshalb erkundigte er sich angelegentlich nach dem Wege zum nächsten Bockreiter, der den Schaden wieder gut machen könnte. Man wies ihn in ein Quergäßchen in der Nähe des Hafens, wo ein Schneider wohnte. Der kleine Nadelkönig besah den Schaden durch seine große Brille, ließ durch seinen Lehrburschen dem Kaufherrn die Hosen herunterziehen und gab diesem einen langen weiten Rock zur Bedeckung, bis die Hosen wieder zugenäht wären. Und damit dem Herrn die Zeit nicht lang würde, bat der Schneider ihn, sich so lange in ein anderes Gemach zu seinen Töchtern zu verfügen. Gott hatte den kleinen Bockreiter mit drei sehr schönen Töchtern gesegnet, von denen namentlich die jüngste eben so stattlich von Ansehn als zierlich in ihrem Wesen war. Des Kaufmannes Herz war alsbald dem jüngsten Täubchen des Schneiders zugeflogen und die Freundschaft war schon geschlossen, ehe noch die Hosen zusammengenäht waren. Als dann des Schneiders Bursche mit dem ausgebesserten Kleidungsstück eintrat, ärgerte sich der Kaufmann über die geschwinden Finger, die ihm nicht mehr Zeit gegönnt hatten, sich mit der holden Jungfrau angenehm zu unterhalten. Nachdem er die Hosen[S 37] wieder angezogen und dem Meister eine reichliche Bezahlung eingehändigt hatte, ging er noch einmal in das Zimmer der Töchter, um Abschied zu nehmen und zugleich die Jungfrauen in sein Haus einzuladen, wo nach zwei Wochen ein prächtiges Fest stattfinden würde. Die Mädchen dankten für die Ehre der freundlichen Einladung, fügten aber mit Bedauern hinzu, daß sie nicht so schöne Kleider anzulegen hätten, wie für ein solches Fest erforderlich wäre. »Die Kleider seien meine Sorge,« erwiderte der Kaufmann — »und somit bleibt es dabei, daß ich euch am genannten Tage unter meinem Dache empfange.«
 
Nach Hause gekommen, hatte er nichts Eiligeres zu thun, als vierzehn Stück des allerschönsten Seidenzeuges aus seinem Laden auszusuchen und den Töchtern des Schneiders zuzuschicken, die er dabei ersuchen ließ, sie möchten sich selbdritt aus jedem Stücke einen Anzug machen lassen, so daß jede vierzehn eigene Anzüge hätte, denn das Fest würde vierzehn Tage währen und da müßten die drei Schwestern jeden Tag ein anderes Kleid und zwar jedesmal alle drei von dem gleichen Stücke haben. Jetzt flogen einmal die Nadeln in der Stadt; in zwei Wochen sollten zwei und vierzig seidene Damenkleider mit Spitzen, Bändern und Besätzen fertig genäht sein und sollten auch den Mädchen passen wie angegossen, so daß nirgends eine fehlerhafte Falte zum Vorschein käme. Und wirklich wurde die Arbeit in der genannten Zeit fertig, denn der reiche Kaufmann zahlte doppelten Lohn für die rasche Förderung der Arbeit.
 
Als nun am ersten Abend des Bockreiters Töchter so reich geschmückt auf dem Feste des jungen Kaufmanns erschienen, da machten viele Fräulein und Demoisellen lange Gesichter, vor Neid darüber, daß sie keine so schönen Kleider hatten. Ihr Neid stieg mit jedem Tage, als des Schneiders Töchter jeden Abend in einem andern neuen Anzuge erschienen. Was aber den Neid der weiblichen Gesellschaft noch höher entflammte, war der Umstand, daß der reiche Kaufmann Niemanden so freundlich aufnahm, als des Schneiders Töchter. Am vierzehnten Abende, am Schluß des Festes, schenkte der Kaufmann der jüngsten Tochter des Schneiders eine schwere Goldkette und einen goldenen mit Edelsteinen besetzten Ring, der auf mehrere Tausend Rubel geschätzt wurde. Mit diesem Liebespfand hatte er sich der Jungfrau verlobt. Vier Wochen später wurde die glänzende Hochzeit ausgerichtet, worauf des Schneiders jüngste Tochter, jetzt die Frau eines reichen Mannes, dessen stattliches Haus bezog.
 
Bosheit und Neid über das unerwartete Glück der Schneiderstochter machte die Leute in der Stadt fuchswild; aber den größten[S 38] Verdruß davon hatte ein verarmter Graf, dessen nicht unter die Haube gekommene Schwester gern dem Kaufmann ihre Hand gereicht und ihm statt der Mitgift den Glanz ihrer vornehmen Geburt in's Haus gebracht hätte; es wäre dann auch wohl in den leeren Beutel des Bruders manches Goldstück aus dem Vermögen des reichen Schwagers gefallen. Die Heirath des Kaufmanns hatte beider Hoffnung zunichte gemacht, was ihm der Graf nicht verzeihen konnte; er sann also im Stillen darüber nach, wie er die Verschmähung seiner Schwester an des Schneiders Eidam rächen könnte. Der Kaufmann pflegte des Abends ein Wirthshaus zu besuchen, um sich mit seinen Bekannten die Zeit zu vertreiben; hier traf er auch manchmal mit dem Grafen zusammen. Eines Abends setzte dieser dem Kaufmann einen Floh in's Ohr, indem er folgendermaßen zu reden anhub: »Ihr habt ein gar hübsches junges Weib zu Hause, ich wundere mich, wie ihr euch getraut, Abends von Hause zu gehen und die junge Frau allein zu lassen. Glaubt ihr denn an Weibestreue? Es ist sicherlich noch nirgends in der Welt vorgekommen, daß ein hübsches Weib ihrem Manne treu geblieben wäre.« Der Kaufmann erwiderte: »Ihr verläumdet meine Frau aus Neid; aber wie könntet ihr eure Rede wahr machen, wenn ich euch nach Beweisen fragen würde?« — Der Graf machte sich sogleich anheischig, seine Worte wahr zu machen, wenn ihm der Kaufmann erlauben würde, die junge Dame öfter zu besuchen. Der Kaufmann erzürnte ob des Grafen unverschämten Rede mehr, als er sich merken ließ; gleichwohl war sein Sinn zweifelhaft geworden und er machte endlich mit dem Grafen eine Wette, kraft welcher sein großes Vermögen dem Grafen zufallen sollte, wenn dieser die schmachvolle Bezüchtigung wahr machen könnte. Die Frau durfte natürlich von der Wette nichts erfahren. Nachdem die Uebereinkunft vor Zeugen geschlossen war, sollte der Graf nun sein Glück versuchen.
 
Als der Kaufmann Abends nach Hause kam, sagte er seiner jungen Frau, er müsse auf längere Zeit in Geschäften verreisen und könne wohl erst nach einigen Wochen von der langen Reise zurück sein. Alle Geschäfte des Hauses wolle er bis dahin dem Herrn Grafen anvertrauen, der deshalb noch heute einziehen werde. Die Frau äußerte, mitreisen zu dürfen, als ihr aber der Mann dies abschlug, sagte sie: »Thut was ihr wollt, ich muß mit Allem zufrieden sein.« Als der Kaufmann am andern Morgen noch manches, auf die Wette Bezügliche insgeheim mit dem Grafen besprochen hatte, machte er sich auf den Weg, von den Thränen der jungen Frau begleitet.
 
Die große Reise ging freilich diesmal nicht weit; der Kaufmann[S 39] hatte sich in der Vorstadt eine Wohnung gemiethet, wo er still wie eine Maus lebte, aber immer die Ohren gespitzt hielt, den Nachrichten über die junge Frau zu lauschen. Das keusche Weib hatte sich nach dem Scheiden des Mannes in ihre Kammer zurückgezogen, fest entschlossen, so lange der Mann von Hause fern sein würde, nirgends hin zu Gaste zu gehen, noch irgend Jemand als Gast aufzunehmen, mit Ausnahme ihrer eigenen Schwestern. Dadurch hoffte sie alles leere Geschwätz der Leute abzuschneiden. Armes Geschöpf, das die Fallstricke nicht ahnte, welche man ihr legte! Ihre Nahrung ließ sie sich täglich durch die Magd in ihre Kammer bringen, und wenn sie Sonntags in die Kirche ging, mußte das Mädchen sie jedesmal begleiten. — Nach einem Vierteljahre lief von dem Manne ein Brief ein, des Inhalts, daß das Geschäft sich weit mehr in die Länge ziehe, als er vorausgesetzt habe, weshalb es ihm durchaus nicht möglich sei, den Zeitpunkt seiner Rückkehr anzugeben. Diesen Brief übergab der Graf der Frau nicht, sondern setzte einen andern falschen Brief auf, worin der Kaufmann das lustige herrliche Leben in der Fremde rühmte und zuletzt der Frau rieth, sich mit dem Herrn Grafen die Zeit zu vertreiben, damit ihr das Warten nicht langweilig werde. Die Frau schrieb der Wahrheit gemäß zurück: »Ich lebe allein in meiner stillen Kammer, und mich verlangt auch nicht nach einem Gesellschafter, der mir die Zeit vertreibe, sondern ich bitte nur alle Tage Gott, daß er euch glücklich heimkehren lasse, meine Sehnsucht zu stillen.« Auch diese Antwort kam dem Kaufmann nie zu Gesicht; der Graf schrieb wieder einen Lügenbrief, als von der Frau herrührend, worin sie sich rühmte, daß sie alle Tage entweder in die Stadt zu Gaste gehe, oder zu Hause Gäste empfange, oder auch in des Herrn Grafen Gesellschaft die Zeit verbringe, so daß sie niemals Sehnsucht nach ihrem Manne empfunden habe. Diesen ruchlosen Betrug verübte der Graf jedesmal, wenn Mann und Frau sich einander schrieben, denn er verstand anderer Leute Handschrift so künstlich nachzumachen, daß die Eheleute nicht dahinter kamen. Als endlich der Kaufmann schrieb, er hoffe binnen einigen Wochen wieder nach Hause zu kommen, da unterschlug der Herr Graf diesen Brief und ließ das falsche Gerücht aussprengen, daß der Kaufmann in der Fremde sein Ende gefunden habe. Die arme sich für eine Wittwe haltende Frau weinte und jammerte bitterlich; ließ die Wände des Gemachs mit schwarzem Zeuge beschlagen, legte Trauerkleider an und ließ nicht einmal ihre Schwestern zum Besuch kommen; zur Kirche aber ging sie jeden Sonntag nach wie vor.[S 40]
 
Alle List und Betrügerei, die der Graf bis jetzt angewandt, war vergeblich gewesen, es war ihm nicht möglich geworden, mit des Kaufmanns Frau zusammen zu kommen oder eine nähere Verbindung anzuknüpfen; ebenso wenig hatte er ein Beweisstück, auf welches er die Frau hätte bezichtigen können. Da entschloß er sich, es noch einmal mit List zu versuchen. Er ließ eines Tages die Frau durch ihr Mädchen bitten, sie möchte eine Kleiderkiste über Nacht in ihrer Kammer verwahren, bis er sie am nächsten Morgen wieder wegbringen lasse, denn es sei sonst nirgends im Hause Raum für eine Kiste. Die Frau, welche sich keiner Arglist versah, willigte ein. Der Graf war aber selber heimlich in die Kiste geschlüpft und auf diese Weise in die Kammer der Frau gelangt. Beim Schlafengehen hatte die Frau eine goldene Kette vom Halse genommen und auf den Tisch vor dem Bette gelegt; es war die Kette, die der Mann ihr bei der Verlobung geschenkt hatte, deshalb trug sie dieselbe Kette täglich am Halse. Als sie in der Nacht ruhig schlief, kroch der Graf ganz sachte aus der Kiste, raffte die goldene Kette vom Tische, steckte sie in die Tasche und eilte sich wieder in die Kiste zu verstecken, mit welcher er dann später fortgetragen wurde. — Die gestohlene Kette sollte dem Kaufmanne bezeugen, daß seine Frau die Ehe gebrochen und die Kette als Liebespfand geschenkt habe. Als die Frau am Morgen aufstand, hatte sie in ihrem Herzenskummer der goldenen Kette nicht weiter Acht gehabt, wiewohl sie sonst immer des geliebten Mannes Geschenk umzulegen pflegte.
 
Als sie am Nachmittag zufällig zum Fenster hinaus auf die Straße sieht, sieht sie den für todt gehaltenen Gatten zurückkommen. Augenblicklich reißt sie die schwarzen Trauerbehänge von den Wänden, läuft in Freudenthränen ausbrechend ihrem Eheherrn entgegen und fällt ihm um den Hals. Der Kaufmann, fremd und kalt wie Eis, giebt keine frohe Regung zu erkennen, da er die Freude der Frau für ein trügerisches Blendwerk hält; der Herr Graf hatte ihm einen Floh in's Ohr gesetzt, der ihm keine Ruhe mehr ließ. Die Frau wollte sogleich in die Küche eilen, um für den von der Reise kommenden Gemahl Speise zu bereiten, allein dieser wehrte es ihr, da er selber für das Abendessen sorgen wolle.
 
Als die Zeit dazu herangekommen war, wurde eine hölzerne Schüssel mit einem Mehlbrei aufgetragen, in welchem zwei hölzerne Löffel staken. Die Frau machte große Augen und wußte nicht, was sie davon halten solle. Der Kaufmann aber sagte mit bekümmertem Ernste: »Heut' Abend wollen wir uns aus der Breischüssel zum[S 41] letzten Male satt essen, denn das ist Alles, was mir von meinem großen Vermögen geblieben ist. Morgen sind wir Bettler, die nicht das Stück Brot haben.« Weinend bat die Frau, ihr zu sagen, durch welches unvermuthete Unglück sie mit einem Male arm geworden wären. »Dieses Unglück hast du selbst verursacht,« — erwiderte der Mann — »deine Versündigung gegen die eheliche Treue hat uns so weit gebracht, daß wir zum Bettelstabe greifen müssen. Wo ist deine goldene Kette, die ich dir als Verlobungspfand schenkte?« Erst jetzt bemerkte die Frau, daß die Kette sich nicht an ihrem Halse befand; sie sprang erschreckt vom Tische auf und lief in ihre Kammer, die vergessene Kette zu holen, fand sie aber dort nicht. Sie wollte jetzt die Kette suchen, aber der Kaufmann hinderte es und sagte: »Laß nur die leeren Grimassen, womit du mich zu täuschen suchst! Ich weiß, daß du selbst die Kette verschenkt hast, die jetzt dein Galan besitzt.« Was konnte da der Frau ihr Leugnen helfen und ihre Vertheidigung? Der ruchlose Graf fand mit seiner goldenen Kette überall mehr Glauben, denn die Menschen glauben viel leichter das Böse als das Gute; konnte er doch auch vor Gericht seine Worte durch dieses Beweisstück erhärten und obendrein beschwören, daß er eine Nacht in der Kammer der Frau zugebracht habe. — Ohne also auf die Vertheidigung der Frau weiter Rücksicht zu nehmen, fällte das Gericht schließlich den Spruch: die ehebrecherische Frau solle auf einem Schiffe in die hohe See hinaus gefahren und dort vom Schiffe in's Meer geworfen werden den Fischen zur Speise. Der Kaufmann aber solle zur Strafe für seine leichtsinnige Wette und Andern zur Abschreckung auf Lebenszeit in's Gefängniß gesetzt werden. Ueber den leichtsinnigen Mann hatte das Gericht ein angemessenes Urtheil gesprochen, allein der schuldlosen Frau fügte das weltliche Gesetz schweres Unrecht zu. Dem Grafen wurde das Vermögen des reichen Kaufherrn zuerkannt. Dieser Unglückliche erbat für seine Gattin noch die einzige Gnade, daß sie vor der Ertränkung in ein getheertes Gewand eingenäht würde, und daß ihr zwanzig in den Gürtel eingenähte Golddukaten mitgegeben würden, damit die Leute bei dem an's Land geworfenen Leichnam das Geld fänden und ihm dafür ein Grab bereiteten. Das Gericht gewährte diese Bitte.
 
So wurde der einst reiche Kaufherr in Ketten in's Gefängniß gebracht, während seine unschuldige Gattin auf einem Schiffe viele Meilen weit in die See geführt und dann über Bord geworfen wurde. Das aus getheertem Zeuge gemachte Obergewand blähte sich hoch auf wie eine Blase und hielt die unglückliche Frau über Wasser. Die[S 42] unbarmherzigen Schiffsleute riefen lachend: »Mit der Zeit wird das Wasser schon seine Beute schlucken!« kehrten um und dachten nicht weiter an das arme Geschöpf, das wie eine wilde Gans auf den Wellen dahin schwamm.
 
Gottes Wege waren nicht die der irrenden Menschen. Seine Huld ließ nicht zu, daß ein schuldloses Wesen in der Tiefe des Meeres versinke, sondern wies auf wunderbare Weise den Weg der Rettung. Die Meereswellen mußten die in ein getheertes Gewand eingenähte Frau drei Tage und drei Nächte auf dem Rücken tragen und endlich in einem fernen fremden Lande an's Ufer schleudern. — Obgleich die Frau sehr ermüdet war, als sie auf's Trockene kam, vergaß sie doch nicht, Gott, der sie aus Todesnöthen errettet hatte, für seine wunderbare Hülfe zu danken. Dann warf sie sich auf den Rasen, um zu schlafen, sich von der durch das lange Treiben auf dem Wasser verursachten Erschöpfung zu erholen und ihre Lebenskraft für die kommenden Tage neu zu stärken. Noch hatte sie die Augenlider nicht geschlossen, als sie zwei Raben auf hohem Fichtenwipfel so reden hörte: »Da liegt jetzt« — sagte der erste Vogel — »ein unglückliches Geschöpfchen am Strande, welches die kurzsichtigen Menschen ausgestoßen haben. Die Arme wird hier, wo keine Menschen wohnen, doch zuletzt umkommen, obwohl sie sich gar leicht retten könnte.« — »Wie denn?« fragte der andere Vogel. »Siehe,« erwiderte der erste Plauderer — »obgleich die Arme sehr ermüdet scheint, sollte sie doch ihre letzte Kraft zusammen nehmen und rechts am Ufer weiter gehen, da wohnt ein frommer Dorfgeistlicher, der sie freundlich aufnehmen und ihren ermatteten Körper stärken würde. Hat sie sich dann einige Tage ausgeruht und ihre Kräfte erfrischt, dann könnte sie in die große Stadt gehen, die nicht weit von da liegt und wo die Leute Mangel an Wasser leiden, weil ein böser Zauberer vor vielen hundert Jahren alle unterirdischen Wasseradern festgemacht hat, so daß in die Brunnen kein Wasser kommt, als was die Regenschauer dem Schooße der Wolken entlocken. Und doch wäre es eine Kleinigkeit, den Bewohnern der Stadt Trinkwasser zu schaffen.« »Wie denn das?« fragte der andere Rabe. »Sieh nur,« erwiderte der erste — »mitten auf dem Markte liegt ein großer grauer Granitblock, welcher alle Quelladern deckt und schließt. Es bedürfte weiter keiner Arbeit, als diesen Verschluß-Block heben zu lassen, dann würden die Quellen aus der Tiefe reichliches Naß ergießen. Und derjenige könnte reichen Lohn verdienen, welcher der Stadt Wasser verschaffte. — Aber diese arme Frau könnte noch mehr Ehre und Glück finden,[S 43] wenn sie in die Königsstadt ginge und dort des Königs einzigen Sohn gesund machte, den bis jetzt weder Doctoren noch Wundärzte heilen konnten. So liegt der arme Jüngling schon sieben Jahre im Bette und findet nirgends Hülfe, weil menschlicher Verstand seine Krankheit nicht erkennen kann. Und doch könnte der Königssohn leicht gesunden, wenn ihm die rechte Arznei gegeben würde.« »Was für Kräuter könnten denn seinem Uebel abhelfen?« fragte der andere Vogel. »Es wäre eine Kleinigkeit, ihn gesund zu machen« — ließ sich der Sprecher weiter vernehmen. — »Es wäre dazu nichts weiter erforderlich, als in der Domkirche an die dritte Bank, rechts vom Altare, zu gehen und dort die Diele aufzubrechen, unter welcher ein Mäusenest liegt. Wenn das Nest sammt den Jungen herausgenommen, in einem Grapen oder Kessel gekocht, und die Flüssigkeit dann durch ein Tuch geseiht und in Flaschen gegossen würde, so wäre die Arznei fertig[20]. Jeden Morgen und Abend ein Löffel voll von dem Mäusekraft-Trank dem Kranken eingegeben und mit derselben Flüssigkeit die Brust eingerieben, würde den Kranken in einigen Tagen gesund machen.« — Wohl sehr schade ist es, daß in unseren Tagen weder Stadt- noch Land-Aerzte die Vogelsprache verstehen, welche sie manches Mal auf den richtigen Weg bringen könnte, wenn ihr eigener Kopf ihnen nicht mehr aushelfen will. Und auch manchem eingebildeten Naseweis, der menschliche Belehrung verschmäht, könnten durch die Rede der Vögel vernünftigere Gedanken in sein einfältiges Gehirn kommen. — Doch fahren wir jetzt in unserer Erzählung fort.
 
Nachdem die unglückliche Frau die Raben-Weisheit vernommen hatte, schlief sie ein. Auf wunderbare Weise ließ Gottes Güte ihrem Körper im Schlaf neue Kraft zuströmen; obwohl sie drei Tage ohne einen Bissen Nahrung gewesen war, fühlte sie doch beim Erwachen weder Müdigkeit noch Hunger. Der klugen Vögel Zwiegespräch fiel ihr alsbald ein; doch konnte sie sich nicht klar machen, ob sie das wachend oder träumen erlebt habe. Da ihr aber nichts Besseres übrig blieb, wollte sie es mit dem angegebenen Wege versuchen. Mit größter Mühe erreichte sie vor Abend des Predigers Haus, wo die guten Menschen sie freundlich aufnahmen und pflegten. Nach einigen Tagen fühlte sie sich stark genug, weiter zu wandern. Der Prediger und die Hausleute baten sie, noch einige Tage bei ihnen zu Gaste[S 44] zu bleiben, denn sie war ihnen allen lieb geworden; aber sie wollte ihnen nicht länger zur Last fallen, sondern dankte für die genossene Wohlthat, nahm Abschied und macht sich dann auf den Weg, um der Anleitung der Vögel gemäß ihr Glück weiter zu versuchen. Da die Wegweisung der Raben sich das erste Mal bewährt hatte, so richtete sie ihre Schritte nach der wasserbedürftigen Stadt. Da fiel es ihr ein, daß, wenn sie in Weiberkleidern die Stadt beträte, die Leute wohl nicht viel von ihrer Einsicht halten würden. In der guten alten Zeit duldete man noch nicht das Gegacker der Henne, wie in unseren Tagen, wo der Hahn wohl selber rühmt, wie hübsch sein Schätzchen schon gesungen, als es erst drei Spannen hoch war, weshalb er das sangreiche junge Huhn selbst auf den Markt trägt und ruft: »Kommt und hört, wie hübsch mein Hühnchen singt.«
 
Die Frau kaufte sich also Mannskleider und gab sich das Ansehn eines Mannes. Sie schnitt ihre langen Haare kurz am Kopfe ab, zog einen Rock an, band einen rothen Gürtel um die Hüften und zog das bunte Hemd über die Hosen, so daß sie ganz wie ein Russe aussah. Als sie nach einigen Tagen in die Stadt kam und in einem Wirthshause ein Quartier bezog, fand sie auf dem Eßtische mancherlei Getränke, Branntweine und Weine, Bier und Meth, aber kein Tropfen Wasser war zu sehen. Sie bat, man möge ihr ein Glas Wasser bringen. »Geehrter Herr, ihr könnt in unserer Stadt alle Arten von Getränk haben, um euren Durst zu löschen, aber frisches Wasser können wir euch auch um den höchsten Preis nicht geben: Wasser müssen wir in der heißen Zeit von weitem herführen, wie eben jetzt, wo Gott keinen Regen giebt.« »Warum lasset ihr keine Brunnen graben?« fragte die als Mann verkleidete Frau. Der Gastwirth erwiderte: »Brunnen haben wir von Alters her genug gegraben, aber es kommt kein anderes Wasser hinein als was der Regen hineinbringt. Unsere Obrigkeit hat schon Unsummen daran gewendet, und hat auch demjenigen eine große Belohnung verheißen, der Wasser in die Brunnen leiten würde, aber wenn auch von überall her viel geschickte Brunnenmeister kamen, um ihr Glück zu versuchen, so hat doch keiner von ihnen Wasseradern gefunden.« — Die Frau sagte: »Die Sache scheint sehr wunderbar! Ich will Nachmittags in eurer Stadt umhergehen, vielleicht finde ich zufällig Pflanzen, welche auf eine Wasserader weisen.« »Das wird wohl vergebliche Mühe sein,« — meinte der Gastwirth — »doch könnt ihr ja immerhin euer Heil versuchen.«
 
Die Kaufmannsfrau schlenderte nun aus einer Straße in die andere, bis sie auf den Markt kam. Da fand sie den großen grauen[S 45] Granitblock, wie es die Raben in ihrem Gespräche angegeben hatten; und da nun so die beiden ersten Verkündigungen wahr geworden waren, so wuchs ihr der Muth, den Wasserkerker zu erschließen. Sie ging zum Oberhaupt der Stadt, gab sich für einen Brunnenmeister aus und versprach der Stadt Wasser zu schaffen, wenn man ihr soviel Arbeiter und Werkzeuge geben würde, wie es die Sachlage erfordere. Das Stadtoberhaupt aber bedachte, welchen Geldaufwand die fruchtlose Arbeit schon verursacht hatte und sprach deshalb die Bitte aus, den vergeblichen Versuch lieber zu unterlassen. Der Brunnenmeister ließ sich aber nicht so leicht irre machen, sondern sagte: »Gebt mir fünfzig oder sechzig Arbeiter und die nöthigen Werkzeuge, wie Stangen, Stricke und dergleichen, so mache ich mich verbindlich, eurer Stadt soviel Wasser zu schaffen, daß Menschen und Thiere genug haben.« — Das Stadtoberhaupt verlangte jetzt ein Pfand von solchem Werthe, daß es alle Ausgaben decke, wenn die Arbeit den verheißenen Nutzen nicht bringe. Die Frau entgegnete: »Geld habe ich jetzt gerade nicht soviel, um das Pfand zu hinterlegen, aber ich mache mich anheischig, für jeden Arbeiter fünfzig, oder wenn ihr wollt, hundert Tage zu arbeiten, wenn ich euch das versprochene Wasser nicht liefere. Falls ich aber meine Versprechungen erfülle, dann zahlt ihr mir die Belohnung, welche ihr für die Auffindung von Wasser öffentlich ausgeboten habt.« Auf diese Bedingung hin wurde der Vertrag geschlossen.
 
Nachdem die Vorbereitungen beendigt waren, begab sich die Frau mit fünfzig Arbeitern auf den Markt: eine ungeheure Volksmenge zog hinterdrein, um das Wunderwerk mit anzusehen. Die Frau Meister ließ zuerst hart um den Block herum Gräben ziehen, dann starke Balken als Hebel unter den Block schieben, Stricke mit dem einen Ende an die Balken befestigen, mit dem andern um den Block legen, und als nun die Männer auf das gegebene Zeichen mit einem Male aus Leibeskräften anzogen und aufwanden, ging der Block in die Höhe. Und o Wunder! zischend ergoß sich ein breiter Wasserstrahl unter dem Blocke hervor. — Freudengeschrei erscholl aus dem Munde von Tausenden. Das Stadtoberhaupt und die anderen obrigkeitlichen Personen traten näher und füllten Becher und Kannen mit frischen Wasser, das klar, kühl und erquickend war. Alle, die das Wasser schmeckten, rühmten es einstimmig und die klugen Doctoren erklärten, es sei der Gesundheit sehr zuträglich. Da nun der Brunnenmeister sein Versprechen erfüllt hatte, wurde ihm die für das Auffinden von Wasser ausgesetzte Belohnung unweigerlich ausgezahlt[S 46] und überdies folgten ihm die Dankes- und Segenswünsche der Bewohner nach.
 
Jetzt brauchte die Frau nicht mehr zu Fuße zu gehn, sondern konnte in einer Kutsche mit sechs Pferden fahren, wenn sie wollte. Sie fuhr alsbald in die Königsstadt. Als sie mit Dank gegen Gott dessen gedachte, wie der Vögel Anleitung sie unverhofft auf den Weg des Glückes geführt hatte, beschloß sie zugleich sich andere Kleider zu besorgen, weil denn doch die russische Bauerkleidung für einen Doctor nicht paßte. Sie ließ ihr Haar anders ordnen und kaufte sich einen Anzug, wie ihn die städtischen Aerzte zu tragen pflegen. Als sie dann nach einigen Tagen die Residenz des Königs erreichte, miethete sie in einem vornehmen Gasthof eine Wohnung und gab sich für einen Arzt aus, der aus weiter Ferne gekommen sei.
 
Die Ankunft eines berühmten Arztes aus weiter Ferne drang rasch zu des Königs Ohren. Er schickte seine Diener in den Gasthof und ließ den Doctor zu seinem kranken Sohne bitten. Als der Doctor kam, redete er ihn so an: »Ich bin ein großer König, aber bei allem Ansehn und Reichthum ein unglücklicher Vater. Mein einziger Sohn siecht schon sieben Jahre lang auf dem Krankenlager dahin und Niemand kann ihm helfen; obgleich die berühmtesten Ärzte meines Landes und fremder Länder die verschiedensten Arzeneimittel versucht haben, konnten sie doch sein Uebel nicht heilen. Mit tiefem Kummer sehe ich, wie mein liebes Kind mit jedem Tage rascher dem Grabe sich nähert.« Der neue Arzt bat, den Kranken sehen zu dürfen, worauf er in dessen Gemach geführt wurde. Der kranke Königssohn im Bette sah mehr einem Schatten als einem menschlichen Wesen ähnlich; daß er athmete, war das einzige Lebenszeichen, sonst hätte man ihn für eine Leiche halten können. Der Doctor sagte: »Weil sich die Krankheit so sehr in die Länge gezogen hat, ist die Behandlung sehr schwierig geworden, doch gebe ich die Hoffnung noch nicht ganz auf.« Er versprach dann die nöthigen Arzeneien zu bereiten und nach einigen Tagen die Behandlung zu beginnen.
 
Am andern Tage ging der vermeintliche Doctor, die herrliche Domkirche zu besehen, wie denn jeder Fremde diese schönste Zierde der Stadt in Augenschein nimmt. Nachdem er die Kirche von außen und von innen genugsam betrachtet hatte, zählte er die dritte Bank rechts vom Altar ab, brach die Diele auf, fand dort das von dem Raben angegebene Mäusenest mit den Jungen, band Alles in sein Schnupftuch, brachte die Diele wieder in Ordnung und eilte in seine Wohnung zurück. Hier machte er sich in aller Stille daran, den[S 47] Gesundheitstrank zu kochen, und ließ ihn dann ein Weile stehen, ehe er die Flüssigkeit durch ein Tuch seihte, worauf er sie in eine Flasche goß. Nach einigen Tagen ging er wieder zum kranken Königssohn, gab ihm einen Löffel voll von dem Krafttrank ein und rieb ihm die Brust damit. Die Kraft des Wundertranks war so stark, daß der Kranke um Mittag zu essen verlangte und ihm auch die vorgesetzte Speise zum ersten Male schmeckte. Der König war über das Verlangen nach Speise anfangs erschrocken; er hielt dasselbe für ein krampfhaftes und meinte, die Todesstunde sei gekommen, in welcher zuweilen die schwersten Kranken Eßlust zeigen. Da aber der weibliche Doctor nichts dagegen hatte, so wurde des Kranken Begehr erfüllt. Als der Königssohn nach dem Essen einige Stunden geschlafen hatte, war sein Aussehen beim Erwachen freundlicher und er sagte, daß er sich stärker fühle. Schon am andern Tage richtete er sich allein im Bette auf, am sechsten Tage aber fühlte er sich stark genug, aufzustehen und sich auf einem Stuhle niederzulassen.
 
Während er so saß, fielen seine Blicke häufig auf den jungen Doctor, den der alte König nicht eher ziehen lassen wollte, als bis der Sohn sich vollständig erholt habe. Eines Tages sagte der Königssohn seufzend zum Doctor: »Es thut mir herzlich leid, daß Gott euch nicht ein Frauenzimmer hat werden lassen. Mir ist in meinem Leben noch kein schöneres Antlitz vorgekommen als das eurige — ich würde euch gewiß freien, wenn ihr ein Weib wäret.« Der Doctor erwiderte: »Seid zufrieden mit dem, was Gott gemacht hat, und danket ihm dafür, daß ihr von schwerer Krankheit genesen seid. Ihr könnt euch jetzt, da ihr wohlauf seid, jeden Tag aus den edelsten Geschlechtern eine Lebensgefährtin wählen.«
 
Des Königs Freude über die glückliche Wiederherstellung seines Sohnes war grenzenlos. Er hätte dem Arzte gern das Zehnfache der versprochenen Belohnung gezahlt — der Arzt aber lehnte diese Gnade ab und verlangte keinen größeren Lohn als ein Stück Land in der Gegend des Reiches, wo seine Geburtsstadt stand, und wo der Gatte gefangen saß, wenn ihn der Tod nicht befreit hatte. Die Bitte wurde nicht nur ohne Weiteres zugestanden, sondern der König befahl auch, die Grenzen des geschenkten Landstriches so weit auszudehnen, daß beinahe der vierte Theil des Reiches an Land und Leuten des Doctors Erbeigenthum wurde. Nach einigen Tagen war die Schenkungsurkunde gerichtlich ausgestellt und mit dem königlichen Insiegel bekräftigt. Dann verließ der neue Grundeigenthümer des Königs Palast, nahm dankend Abschied und schlug den Weg nach seinem künftigen Wohnsitz ein.[S 48]
 
Als sich die Frau demselben näherte, fielen ihr mancherlei Gedanken und Gefühle schwer auf's Herz, wenn sie sich die Vergangenheit zurückrief und überdachte, wie sie als Kind in Dürftigkeit aufgewachsen, dann plötzlich im Hause des Kaufmanns reich gewesen sei, und endlich solche Trübsal erlebt habe. Doch Reichthum und Trübsal waren ohne ihre Schuld über sie gekommen, und ihr Gewissen fühlte sich nicht beschwert. — Sie trug noch immer männliche Kleidung und wollte sie auch nicht eher ablegen und sich zu erkennen geben, als bis Alles geordnet wäre. Vor ihrem früherem Hause ließ sie die Kutsche halten und durch einen Diener anfragen, ob sie da wohl auf einige Tage eine Wohnung miethen könne. Der gegenwärtige Besitzer, der uns wohlbekannte Graf, obwohl jetzt durch schnöden Betrug steinreich geworden, war doch äußerst geldgierig und suchte, wo er konnte, seinen Mammon zu vermehren. Er war darum gleich bereit, dem reichen fremden Herrn eine Wohnung zu vermiethen, als ihm der hohe Preis, den er unverschämter Weise forderte, unweigerlich zugestanden wurde.
 
Die Frau legte am folgenden Tage eine reiche Männerkleidung an und erschien vor der Obrigkeit, wo sie den königlichen Schenkungsbrief vorzeigte und sich als Grundherrn zu erkennen gab. Man kann leicht denken, daß der neue Gebieter mit großer Ehrerbietung und Unterwürfigkeit empfangen wurde. Sein erster Befehl lautete dahin, den vormals reichen Kaufmann, der vor Jahren wegen leichtsinnigen Wettens in's Gefängniß gesetzt worden, sowie den Grafen, der dessen Vermögen erhalten, desgleichen die Magd, welche damals bei der Frau des Kaufmanns gedient habe und jetzt beim Grafen diene — diese drei Personen vorzuführen. Der Befehl wurde sofort vollzogen.
 
Der in der langen Haft schwach und bleich gewordene Kaufmann hatte schon graues Haar bekommen und einen langen Bart, der ihm bis zur halben Brust reichte. Hände und Füße waren gefesselt und ein zerfetztes Gewand bedeckte seinen Leib. Der Herr Graf trat stolzen Schrittes in den Gerichtssaal; für ihn, den reichen, hochgeborenen Mann, gab es wohl keinen Grund zur Furcht. Der neue Grundherr befahl sogleich, dem bis dahin gefangen gehaltenen Kaufmanne die Fesseln abzunehmen und sie dem Grafen anzulegen. Obwohl die Gerichtsherren einander verwundert ansahen, wagte doch keiner ein Wort gegen die Anordnung des gebietenden Grundherrn vorzubringen. Jetzt fragte die in Männerkleidung dastehende Frau den Grafen: »Bekennet, wie ist damals die goldene Kette der Kaufmannsfrau in eure Hände gekommen?« Der Graf erwiderte mit schamloser[S 49] Frechheit: »Die Frau schenkte mir die Kette als Liebespfand.« — Darauf wurde die Magd in Ketten gelegt und in's Verhör genommen; sie sollte erklären, wie es sich mit der Kette verhalte. Die erschrockene Magd deckte nun den ganzen Betrug auf. Hierauf fällte das Gericht den Spruch, daß der Graf und die Magd auf Lebenszeit in's Gefängniß kommen sollten und zwar wurden sie in denselben Thurm gebracht, in welchem der Kaufmann bis jetzt gesessen hatte.
 
Nachdem so die Uebelthäter ihren verdienten Lohn erhalten hatten, entfernte sich die Frau, legte ihre Frauenkleider an und gab sich ihrem Manne zu erkennen. Der Kaufmann bereute voll Scham sein Vergehen und wagte nicht zu seiner Frau, die er ohne ihr Verschulden verstoßen und in den Tod geschickt hatte, die Augen aufzuheben. Die liebende Frau aber, welche ihrem Manne die am Altare gelobte Treue stets rein bewahrt hatte, verzieh ihm all' sein Unrecht. Darauf segnete der Geistliche ihre Ehe zum zweiten Male ein und es wurde eine stattlichere Hochzeit gefeiert als die erste war. Aber der Vater der Frau, der alte Schneider, schlief schon im Grabe und hatte den Freudentag, wo seine verläumdete Tochter wieder zu Ehren kam, nicht mehr erleben sollen. Vom Tage der zweiten Hochzeit an lebte das Paar glücklich bis an's Ende und dem Kaufmann stieg niemals wieder ein Zweifel an der Treue seiner Frau auf. Und glücklich darf man den Mann preisen, der eine fromme Frau gewonnen hat, deren Leben so klar dahinfließt, wie ein Quellbach, auf dessen Grunde nicht Schlamm noch Schutt gefunden wird. 
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