Einmal war ein junges Weib in den Wald gegangen, um Beeren zu pflücken. Ihr Körbchen war gerade voll und sie wollte eben wieder nach Hause gehen, als ihr plötzlich unter den Bäumen eine Gestalt in die Augen fiel, die von Ferne einem Menschen ähnelte. Als das Weib näher ging, fand es ein junges Frauenzimmer mit bleichem Antlitz, Mund und Wangen blutig, ohnmächtig unter einem Busche liegend. Unsere junge Frau eilte zur nahen Quelle, schüttete die gepflückten Beeren in die Schürze und füllte das Körbchen mit kaltem Wasser, womit sie Augen und Schläfen der Jungfrau wusch, bis diese aus ihrer Ohnmacht erwachte, die Augen weit öffnete und befremdet um sich blickte. Als sie ein fremdes Weib an ihrer Seite fand, erschrak sie anfangs, aber bald vergingen Schrecken und Furcht;[S 27] sie faßte das junge Weib freundlich bei der Hand, dankte und sagte: »Deine Güte hat heute mein Leben aus großer Gefahr gerettet! Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn du dich nicht meiner erbarmt hättest: Der schlimmste Feind unseres Geschlechts, der alte Waldesvater[14], begegnete mir heute zufällig und schlug mich halb todt, sodaß ich bewußtlos hinsank. Ohne deine Hülfe wäre ich wohl hier am Platze geblieben! Heute kann ich dir keine größere Belohnung geben als den Ring, den ich dir hier an den Finger stecke. Siehe, jetzt sind wir bis an unser Lebensende eng mit einander verbunden[15]! Wenn du das, was du jetzt unter dem Herzen trägst, einst zur Welt bringst, dann mußt du mich zu Gevatter bitten und mich sammt meinen beiden jüngeren Schwestern aufnehmen, wenn wir selbdritt zur Taufe kommen. Halte reinen Mund und laß gegen Niemand ein Wörtchen von dem heutigen Vorfalle verlauten: sollte man dich über den Ring befragen, so sage, du habest ihn im Walde gefunden.« Mit diesen Worten hatte sie den goldenen Ring von ihrem Finger gezogen und an den Finger des jungen Weibes gesteckt. Dieses bot ihr jetzt Erdbeeren aus der Schürze, die Jungfrau nahm das freundlich an und verzehrte über die Hälfte. »Du hast mich heute aus der Ohnmacht erweckt, mir Hunger und Durst gestillt — diese Wohltaten will ich dereinst an deiner Tochter vergelten, wenn sie in meine Jahre kommt und heirathet.« Unter fernerem freundlichen Gespräch waren sie aus dem Walde in's Freie gekommen, wo die dann Jungfrau Abschied nahm[S 28] und sich wieder in den Wald zurückwandte. Die Frau wollte erst noch Beeren pflücken, um ihr Körbchen wieder voll zu machen, aber der Tag neigte sich schon, und als sie die übrig gebliebenen Beeren aus der Schürze in den Korb schüttete, wurde derselbe gehäuft voll. Das schien ihr wunderbar, hatte sie doch mit eigenen Augen gesehen, daß die Jungfrau über die Hälfte der Beeren verzehrt hatte. Aber ihr Erstaunen sollte noch wachsen, als sie nach Hause kam. Als sie nämlich die Beeren aus dem Korbe in die Schüssel schüttete, fand sie die untere Hälfte mit Silbergeld angefüllt. Was hatte das zu bedeuten? Da die Jungfrau ihr verboten hatte, von dem, was im Walde mit dem Ringe geschehen war, zu sprechen, so meinte die Frau auch die Sache mit dem Gelde geheim halten zu müssen. Sie legte also das Geld auf den Boden ihrer Truhe zwischen zusammengerollte Leinwandpacken, um daran in bösen Tagen einen Nothpfennig zu haben.
Ein halbes Jahr nach der beschriebenen Beerenlese war sie in die Wochen gekommen und hatte ein Töchterlein zur Welt gebracht. Als der Tag des Tauffestes herankam, machte es der Mutter schwere Sorge, daß sie der fremden Jungfrau Wohnort nicht erfragt hatte. Sie wußte nun nicht, wohin die Botschaft senden. Der Taufgäste Schlitten hielten vor der Thür, mit den Fiemerstangen zur Pforte gekehrt — man wollte eben in die Kirche fahren. Die Mutter schaute mit thränenden Augen auf des Kindes Trägerin, bedauernd, daß die fremde Jungfrau nicht eingeladen war. Da hört sie vom Hofe her Glockengeklingel, und siehe! ein hübscher deutscher Schlitten mit zwei Pferden fährt zur Pforte herein; drei in Pelze gehüllte Frauenzimmer sitzen im Schlitten. »Ihr seid schon auf dem Wege zur Kirche«, — ruft eine der Jungfrauen aus dem Schlitten heraus — »verliert keine Zeit. Unser Kutscher wendet und dann fahren wir mit einander zur Kirche; wir können die Mutter des Täuflings begrüßen, wenn wir zurückkommen.« — Obwohl nun die Wöchnerin drinnen diese Worte nicht hörte, so dachte sie doch gleich, daß die drei Fremden im deutschen Schlitten Niemand anders sein könnten als die schon früher angemeldeten Gevatterinnen, denen aber keine weitere Einladung geworden war. Das Herz, am Morgen noch so kummervoll, wollte ihr jetzt vor Freude springen! Doch that es ihr leid, daß die lieben Gäste trockenen Mundes vom Taufhause zur Kirche gefahren waren und sie konnte die Rückfahrt kaum abwarten, um ihnen den geziemenden Imbiß vorzusetzen. Zum Glück ahnte ihre Seele nichts von dem Streite, den indessen in der Kirche die Ge[S 29]vatterinnen wegen des dem Kinde beizulegenden Namens hatten. Als der Prediger fragte, was dem Kinde für ein Name beigelegt werden solle, antwortete eine der fremden Jungfrauen: »Masikas« (Erdbeere)! — »Wie sagtet ihr?« — fragte der Prediger — »Marie oder Martha oder Margret?« — »Masikas« war abermals die Antwort. Der Vater des Kindes und die Gevattern sahen sich einander verwundert an und Niemand wußte, was er von der Sache halten sollte. Der Geistliche aber sagte streng: »Ich bitte, macht hier keine Späße, saget ernsthaft, was für einen Namen das Kind bekommt, oder ich taufe es mit einem Christennamen, ohne euch weiter zu befragen.« Jetzt wurden auch der Jungfrau Wangen roth vor Zorn und sie erwiderte mit gehörigem Nachdruck: »Gott hat die Menschen, die Thiere und die Pflanzen auf die Erde gesetzt, aber keinem Geschöpfe hat er Namen gegeben, sondern das haben die Menschen gethan. Wer darf mir verwehren, dem Kinde einen Taufnamen beilegen zu lassen nach meinem Gefallen?« — »Glaubt ihr mir mit Gewalt beizukommen?« fragte der Prediger nicht minder erzürnt. »Wenn ihr mich so leicht zu beherrschen vermeint, so will ich euch erstens in's Gedächtniß zurückrufen, wer ich bin, und zweitens auch fragen, wer ihr seid, und ob ich euch überhaupt ordnungsmäßig als Pathe des Kindes annehmen darf?« — Ohne ein Wort zu sagen, zog die stolze Jungfrau ein Blatt Papier aus dem Busen und gab es dem Prediger zu lesen. Dieser wurde, als er es las, bleich wie der Tod und stammelte mit erschreckter Stimme: »Verzeiht, verzeiht, geehrte hochgeborene —« allein die Jungfrau hob drohend den Finger und sagte: »Still, still! taufet das Kindlein, wir haben weiter nichts zu reden!« — Der Geistliche taufte das Kind und gab ihm den Namen Masikas, doch zitterten dem Manne die Hände, während er die heilige Handlung vollzog. Die stolze Jungfrau hatte das Kind über die Taufe gehalten und dann dem Geistlichen eine Goldmünze und dem Küster einen silbernen Rubel eingehändigt, was die anderen Gevattern deutlich gesehen hatten. Alsdann fuhr man zum Taufhause zurück. Unterwegs berechneten die Bauerfrauen, wie groß wohl das Pathengeschenk für Mutter und Kind ausfallen möge, da schon so reichliche Taufgebühren bezahlt worden waren.
Im Festhause angekommen, ging die stolze Jungfrau sofort die Taufmutter zu begrüßen, fiel ihr um den Hals, streichelte ihre Wangen und sagte, mit dem Finger auf die anderen Jungfrauen deutend: »Meine jüngeren Schwestern, die ich zur Taufe mitzubringen versprochen hatte. Wir geloben dir alle drei, für dein Töchterlein zu[S 30] sorgen, falls Gott dich aus dieser Welt abrufen sollte, ehe noch das Kind herangewachsen ist.« Sodann händigte jede der Jungfrauen der Mutter des Kindes ein goldenes Schächtelchen ein mit den Worten: »In diesem Schächtelchen sind die Pathengeschenke für's Töchterchen, zeige sie Niemandem, du selbst kannst sie schon besehen, aber verliere die kostbaren Dinge nicht.« Wohl bat man jetzt die vornehmen Jungfrauen, sie möchten sich zu Tisch setzen, um sich zu stärken, aber sie wollten weder essen noch trinken, sondern verließen nach herzlichem Abschiede von der Mutter das Fest und fuhren in ihrem prächtigen Schlitten davon.
Die Gäste brannten vor Begier zu erfahren, wer die stolzen Jungfrauen gewesen, und was wohl in den goldenen Schächtelchen enthalten wäre. Dieses Verlangen konnte ihnen freilich Niemand befriedigen. Selbst der Vater des Kindes wurde unruhig, als er nach dem Aufbruch der Taufgäste von seiner Frau keine nähere Auskunft erhielt. Er wollte nicht glauben, was ihm seine Frau der Wahrheit gemäß versicherte, nämlich daß ihr die wunderbaren Fremden eben so unbekannt seien wie allen Uebrigen. Einige Tage später ging er heimlich an die Truhe, um die Goldschächtelchen zu besehen, damit er erführe, was für ein kostbarer Schatz in der goldenen Hülle stecke. Er fand nichts weiter als drei kleine Steinchen[16] in jeder Schachtel. Obgleich er über diesen Fund einigermaßen verwundert war, sprach er doch gegen Niemand davon.
Die kleine Masikas war sieben Jahre alt geworden, als ihre Mutter plötzlich schwer erkrankte, so daß man schon nach einigen Tagen keine Hoffnung mehr haben konnte. Die Kranke sehnte sich, vor ihrem Tode noch das heilige Abendmahl zu nehmen, und so wurde der Geistliche herbeschieden. Diesem erzählte sie, was ihr vor der Geburt ihrer Tochter im Walde mit der fremden Jungfrau begegnet war. Der Geistliche tröstete sie: »Darüber sei ruhig! aus diesem Zusammentreffen kann deiner Seele kein Schaden erwachsen, und auch deiner Tochter wegen kannst du ruhig sterben, die Gevatterinnen werden für die Erziehung derselben schon Sorge tragen.« Nachdem sie Gottes Gnadenmahl, Brot und Wein, genossen hatte, segnete sie ihr Töchterlein, nahm Abschied und entschlief. Am Tage nach der Begräbnißfeier kam die vornehme Gevatterin und wollte ihre Pathe als Pflegling mit sich nehmen; aber der Wittwer mochte sich von der Tochter nicht trennen und bat, sie ihm zur Freude und zum[S 31] Troste noch zu lassen. Auf sein Bitten wurde ihm das Kind gelassen, aber die Jungfrau sagte: »Eine von uns Schwestern wird jeden Tag kommen, nach der kleinen Masikas zu sehen.« So geschah es auch wirklich; täglich kam eine Jungfrau, um das mutterlose Kind zu sehen, und brachte ihm schöne Kleider, süße Kuchen und vielerlei hübsche Spielsachen.
Nach einem Jahre beschloß der Wittwer eine andere Frau zu nehmen. Drei Tage vor der Hochzeit kam die älteste der Jungfrauen und sagte: »Masikas darf nicht länger bei dir bleiben, ich will sie heute mit mir nehmen. Du bekommst wohl eine zweite Frau und kannst mit der Zeit wieder Vater werden, aber Masikas findet keine zweite Mutter wieder. Alles was wir bis jetzt der Pathe geschenkt haben, bleibe dir und deiner jungen Frau, nur die drei goldenen Schachteln, welche wir am Tauffeste dem Kinde schenkten, muß ich mitnehmen.« Der Mann sträubte sich zwar nach Kräften dagegen, allein es half ihm nichts. Weinend bat die kleine Masikas: »Ich will zur Taufmutter gehen!« und der Vater mußte endlich nachgeben. Er ging der geheimnißvollen Jungfrau eine Strecke weit nach, um zu sehen, wo denn ihre Behausung liege, die ja doch nicht sehr entfernt sein konnte, da täglich eine der Jungfrauen gekommen war, nach dem Kinde zu sehen. Die vornehme Jungfrau schritt, das Kind an der Hand, auf jenen Wald zu, in welchen die verstorbene Mutter als junge Frau gegangen war um Beeren zu pflücken, und wo sie das erste Mal mit der Jungfrau zusammengetroffen war. Als die Jungfrau nun mit dem Kind an einen großen Felsblock gelangt war, der am Saume des Waldes frei dalag, entschwand sie plötzlich den Blicken des nachsehenden Mannes, als wäre sie unter die Erde gesunken. Zwar eilte der Mann an den Ort, ging viele Male um den Stein herum, suchte nach Fußstapfen und stampfte von Zeit zu Zeit mit der Ferse gegen den Boden, ob er nicht eine glückliche Stelle finde; aber alle Mühe war vergeblich, weder das Kind noch die Taufmutter bekam er zu sehen. In Gesellschaft seiner jungen Frau vergaß er dann allmählich das Töchterlein seiner verstorbenen Frau.
Wir müssen jetzt von dem Lebenslaufe der kleinen Masikas erzählen. Unweit des bezeichneten Felsblockes lag drei Spannen tief unter dem Rasen eine Fliese, eine Klafter breit und anderthalb Klafter lang, die sich beim richtigen Drauftreten wie eine Kellerluke aufthat, den Ankömmling hereinließ und dann augenblicklich wieder zufiel. Das geschah mit so wunderbarer Geschwindigkeit, daß, wer von weitem zusah, nicht daraus klug ward, sondern meinte, daß der[S 32] noch eben sichtbare Mensch plötzlich entweder unter den Boden gesunken oder unsichtbar in die Luft gefahren sei. Bestärkt wurde man in dieser Meinung noch dadurch, daß nirgends ein Streifen oder sonst eine Spur auf dem Rasen zurückblieb, vielmehr war die Rasendecke wie aus einem Stücke gegossen. Unter der Fliesendecke befand sich eine breite, aus edlem Gestein gehauene Treppe, welche weiter in die Tiefe führte. Die Stufen hinabsteigend, gelangte die kleine Masikas mit ihrer Taufmutter auf einen schönen Hof, in welchem ein aus Glas aufgeführtes Gebäude stand; das war die Wohnung der Jungfrauen, man nannte sie den Sitz der Grottennymphen[17]. Hier befanden sich viele dienende Frauenzimmer, welche allerlei feine weibliche Handarbeit fertigten. Auch die kleine Masikas wurde in solchen Handarbeiten unterrichtet, wiewohl sie sonst nicht wie eine Dienerin gehalten, sondern wie ein verwöhntes deutsches Kind, dem es an nichts fehlt, aufgezogen wurde. Ihre Taufmütter sorgten für sie und liebten sie mit mütterlicher Zärtlichkeit. So erreichte sie das Alter von sechzehn Jahren und war nun zu einer schönen Jungfrau aufgeblüht.
Da sagte eines Tages die älteste Taufmutter zu ihr: »Meine liebe Masikas! Die Zeit ist da, wo wir uns trennen müssen. Hoffen wir aber von der Güte unseres Gottes, daß die Trennung nicht lange dauern werde. Wenn alles glücklich abläuft, so kommen wir wieder zusammen und dann kann uns nichts mehr trennen, als der Tod. Zwei treue Diener und deine drei goldenen Schächtelchen mußt du mitnehmen; in den Schächtelchen findest du alle Bedürfnisse, deren du auf der langen Reise nicht entrathen kannst.« Nachdem sie dem Mädchen noch mancherlei Unterweisung in Betreff der Reise ertheilt, eröffnete sie ihr zuletzt, daß sie nach drei Tagen aufbrechen müsse. Wohl empfand Masikas großes Herzeleid, aber nicht geringer war die Betrübniß der Taufmütter, als die Stunde des Scheidens kam. Sie wollten in Thränen zerfließen, als sie ihre Pathe umarmten und ihr Kuß auf Kuß gaben. Endlich wurden die beiden Diener gerufen, bejahrte Männer, welche Masikas vorher nie gesehen hatte, und es wurde ihnen bedeutet, daß sie das Mädchen auf der Reise zu beschützen hätten. So machte man sich denn auf den Weg; Masikas trug das kleine Körbchen, in welchem sich die goldenen Schächtelchen befanden.
Sie waren eine Weile im Walde vorwärts gegangen und des Mädchens Abschiedsthränen waren trocken geworden, da sagte der eine[S 33] ihrer Begleiter: »Wir können nun doch den langen Weg nicht zu Fuße zurücklegen.« Masikas fragte: »wo sollen wir denn Pferde hernehmen?« Der Mann erwiderte: »Pferde und sonstige Reisebedürfnisse stecken in eurem Korbe in den goldenen Schächtelchen.« Masikas sah ihn zweifelhaft an, als wollte sie den Sinn dieser Spottrede herausbringen. Aber der Mann sagte ganz ernsthaft: »Nehmt ein Steinchen aus dem Schächtelchen, so werden wir alsbald Wagen und Pferde haben.« Obgleich das Mädchen keinen Glauben daran hatte, that sie doch nach des Mannes Geheiß, nahm eins der Steinchen, wie es ihr gerade in die Finger kam und übergab es dem Manne. Dieser blies drei Mal darauf und sagte: »Kutsche mit vier Pferden vorgefahren!« Augenblicklich stand die Kutsche mit den Pferden da. Masikas ward als Herrschaft in die Kutsche gesetzt, der eine Mann setzte sich als Kutscher auf den Bock, der andere als Lakai hinten auf, und dann ging die Reise rasch vorwärts. Die Sonne stand schon hoch im Mittag, als der Kutscher fragte, ob sie nicht Appetit verspüre. Masikas erwiderte: »wir haben keinen Mundvorrath von Hause mitgenommen!« »Aber doch die Steinchen,« — versetzte der Lakai hinter der Kutsche — »gebt nur wieder eins her!« Masikas reichte ein Steinchen hin, der Mann blies wieder darauf und rief: »Her gedeckter Tisch mit Speisen!« — Augenblicklich stand ein gedeckter Tisch mit köstlichen Speisen vor Masikas. Sie aß sich satt und gab dann den Dienern soviel sie begehrten. Darauf blies der Mann abermals auf den Tisch und plötzlich verschwand Alles und das Steinchen flog der Masikas in die Hand zurück. Am Abend ging es mit dem Nachtessen ebenso, und darauf wurde ein anderes Steinchen in ein Bett mit Kissen verwandelt, auf welchem das Fräulein die Nacht über von der Anstrengung der Reise ausruhte. Ganz so geschah es die folgenden Tage, so daß es ihnen an nichts mangelte — nur wurde der Masikas auf der weiten Reise die Zeit lang; sie wünschte sich weibliche Gesellschaft. Mehr zum Spaße als in Absicht nahm sie ein Steinchen zwischen die Finger, blies darauf wie sie es bei den Männern gesehen, und rief: »Zofe herbei!« Augenblicklich saß ein feines Mädchen neben ihr. Warum hätte Masikas nun nicht in der schönen Kutsche weiter fahren mögen, da sie vom Morgen bis zum Abend sich angenehm unterhalten konnte!
Als man eines Morgens vom Nachtlager aufbrach, sagte der Kutscher zu Masikas: »Heute kommen wir zum Hofe eines berühmten Weisen; da müsset ihr hineingehen und genau darauf achten was für Anweisung der alte Weise euch geben wird. Seinem Geheiße müssen[S 34] wir in allen Stücken nachkommen, sonst wird es mit dem, was wir vorhaben nichts. Eins der Steinchen müßt ihr heute zum Geschenk für den Weisen verwenden, damit wir freundlich aufgenommen und gut berathen werden.« — Noch vor Abend langten sie bei dem Weisen an; die Männer mußten ihm einen schweren, halb mit Silber, halb mit Gold gefüllten Sack bringen, der aus einem der Steinchen hervorgerufen war. Der Weise sagte, nachdem er die Hand der Masikas betrachtet hatte: »Eure Reise führt morgen in einen dichten Wald, und da werden euch drei Thiere entgegenkommen, erstens eine Hirschkuh, dann ein alter Wolf und endlich ein Bär. Suchet diese wilden Thiere zu locken, so daß sie an sich kommen lassen und leget dann jedem derselben sein Zeichen an, damit ihr sie das nächste Mal erkennet, wenn ihr wieder mit ihnen zusammentrefft. Der Hirschkuh legt einen seidenen Gürtel an und dem Wolfe einen ledernen Riemen um den Hals, dem Bären aber steckt euren Ring, der euch aus eurer seligen Mutter Habe noch geblieben ist, an die Vorderpfote. Nach drei Tagen wird eine gräuliche wüthende Schlange auf euch eindringen, da könnt ihr euch nicht anders retten, als daß ihr ein Steinchen in einen Nord-Adler verwandelt und euch sammt euren Dienern auf den Rücken desselben setzet, er wird euch mit Windesschnelle bis unter die Wolken hinauftragen, wohin die Schlange euch nicht folgen kann. Kutsche und Pferde wird sie allerdings verschlingen, aber das schadet euch weiter nichts. Dieser Bissen wird auch ihr letzter sein, sie verendet sieben Tage darauf und dann kommen Pferde und Wagen wieder aus ihrem Rachen heraus. Was weiter geschieht, bleibe jetzt noch ungesagt, denn auch euren Taufmüttern in der Grotte wird Glück zu Theil werden.«
Am anderen Tage kamen unsere Reisenden in einen dichten Wald, wo sich Alles so begab, wie es der Weise vorausgesagt hatte. Zuerst kam ihnen die Hirschkuh, sodann der alte Wolf und zuletzt ein Bär entgegen. Masikas lockte die Thiere eins nach dem anderen zu sich und heftete dann jedem sein Zeichen an: der Hirschkuh einen blauen Seidengürtel, dem Wolfe einen Lederriemen um den Hals, und dem Bären steckte sie ihren von der Mutter ererbten Ring an die Vorderpfote. Der Bär leckte ihr wie zum Danke die Hand und lief brummend in den Wald zurück. Viel gräßlicher war, was ihnen nach drei Tagen begegnete. Schon von weitem hörte man ein Sausen und Rauschen als würde das schwerste Heufuder am Boden hingeschleift. Endlich wurde des Schlangenkönigs[18] Kopf mit goldener Krone sicht[S 35]bar, aber in demselben Augenblicke hatte Masikas ein Steinlein in einen Nord-Adler verwandelt, setzte sich mit ihren drei Dienern auf seinen Rücken und der Vogel trug sie hoch in die Lüfte. Von da oben sahen sie, wie die ungeheure Schlange Wagen und Pferde hinunterschluckte, als wären es junge Mäuslein gewesen. Sieben Tage flog der Nord-Adler mit seiner Last in Wolkenhöhe weiter; die Nächte schlief er auf dem Wolkenrande[19] und die auf seinem Rücken Sitzenden litten an Nichts Mangel, da ihnen die Steinchen in den Goldschächtelchen der Masikas alles gewährten was sie brauchten.