Und während der Wirt endlos weiter erzählte, wurde dem Hauptmann klar, dass Ali Baba nichts von seiner Geschichte weitergegeben hatte, sondern im Gegenteil die Räuber heimlich irgendwo verscharrt haben musste. Und dass jemand, der so etwas tat noch geheimnisvoller und gefährlicher als eine Schlange sein musste.
So vermischte sich sein Hass mit Furcht und wurde größer und größer. Und der Räuberhauptmann mietete einen Laden und brachte dort hin Tuch aus seiner Höhle, das er zum Verkauf anbot. Er ordnete alles wie ein richtiger Kaufmann, setzte sich dann vor den Laden und hielt nach Kunden Ausschau.
Schon nach wenigen Tagen hatte er sich einen guten Kundenstamm erworben und durch seine neue Höflichkeit erwarb er sich hohes Ansehen. In diesen Tagen lernte der Hauptmann auch einen Verwandten Ali Babas kennen. Er hieß Abdullah und war ein netter junger Mann.
Ali Baba und Abdullah waren einander nahe, denn sie waren ähnlich vom Charakter, hatten beide ein fröhliches Gemüt. Auch äußerlich sahen sie einander ähnlich. Beide hatten sanfte Augen und weiche Locken, doch Abdullah konnte, wenn man ihn reizte, wild wie ein Leopard werden.
Auch Abdullah hatte kein einfaches Leben gehabt. Er war ein armer Holzfäller gewesen, doch während Ali Baba hier versucht hatte, sein Glück zu machen, war Abdullah in die Welt gezogen. Viel hatte er in der Fremde erlernt, nur der Reichtum war nicht eingetreten. So war er immer noch bescheiden an Gütern, als er in seine Heimat zurückkehrte.
Ali Baba, der nach Kasims Tod viel Geld geerbt hatte, bot seinem Verwandten Unterstützung an, der aber hatte es abgelehnt, und sich so nach und nach ein wenig Reichtum selbst erarbeitet. Ali Baba betrachtete seinen Verwandten mit großer Achtung, der aber vergaß die Hilfsbereitschaft seines Verwandten nie.
So besuchte Abdullah Ali Babasehr gerne. Nicht nur die Freundschaft der beiden Männer war der Grund, es lag auch an Mardschana, der schönen Sklavin. Abdullah liebte und schätzte diese schöne und kluge Frau und liebte es, in ihrer Nähe zu sein.
Auch Mardschana schien ihn gerne zu mögen. Doch sie blieb zurückhaltend, denn ihr Herz und ihre Treue gehörten einzig und allein Ali Baba, ihrem Herrn. Doch sah sie wohl, dass Ali Babas Herz allein an seiner Frau hing. Abdullah dagegen erinnerte sie an Ali Baba. Das verwirrte sie noch mehr, besonders dann, wenn die beiden zusammen standen und in der gleichen Weise miteinander scherzten.
Abdullah war auch der junge Mann, den der Räuberhauptmann kennen lernte. Sie beide hatten einander viel zu erzählen, denn sie waren beide weit gereist. Abdullah durch seine Wanderfahrten, Kwadschah Hassan durch sein Räuberleben. So plauderte Abdullah gerne mit dem Fremde, auch wenn er ihm immer ein bisschen düster erschien, und er hin und wieder daran zweifelte, ob der Fremde wirklich mit Tüchern handelte und wirklich so reich war.
Eines Tages saßen der Räuberhauptmann und Abdullah wieder zusammen, als Ali Baba Abdullahs Laden betrat. Der Hauptmann zuckte zusammen, als er Ali Baba erblickte, denn er erkannte ihn sofort. Ali Baba dagegen erkannte sein Gegenüber nicht. Er war nun bartlos und braun und nicht wie früher bärtig und bleich.
Ali Baba unterhielt sich eine Weile mit den Beiden. Dann ging er wieder. Kaum war er gegangen, fragte der Hauptmann und bemühte sich dabei, seine Stimme unter Kontrolle zu haben: „Wer war dieser Mann? Ist er Kaufmann, wie ich? Er interessiert mich sehr.“
„Das war Ali Baba, mein Vetter, ein äußerst liebenswerter und reicher Mann, der von allen Menschen geschätzt wird.“„Dein Vetter?“ Der Hauptmann war nun wirklich verblüfft. „Genau“, erwiderte Abdullah. „Mein Vetter und mein väterlicher Freund, bei dem ich oft zu Gast bin.
Er war einst ein armer Holzfäller, bis er reich wurde. Niemand weiß, warum. Und dann erbte er auch noch das Vermögen seines Bruders. Dazu erbte er auch noch Mardschana, die schönste und klügste Sklavin des Morgenlandes.“ „Interessant“, entgegnete der Hauptmann. „Ich würde ihn zu gerne einmal kennen lernen. Er war mir auf den ersten Blick sympathisch.“
„Das kann ich verstehen“, erwiderte Abdullah. „Du hast einen guten Blick für Menschen. Nichts ist einfacher für mich, als dich mit ihm bekannt zu machen. Er ist sehr gastfreundlich und wird dich sicher gerne einladen.“
Als Abdullah beim nächsten Mal bei seinem Vetter zu Gast war, erzählte er ihm von Kwadschah Hassan. Er schilderte ihn als reichen und weit gereisten Händler, der mit schönen Tüchern, Brokaten und Teppichen handele. Ali Baba war gern bereit, den Mann kennen zu lernen.
Als Kwadschah Hassan dann bei Ali Baba zu Gast war, aß und trank man fröhlich miteinander. Ali Babas Frau erstrahlte in schönem Glanz und zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Auch Mardschana war zu Gast, doch hing sie an Abdullahs Lippen und achtete wenig auf den Fremden. Den hatte sie hinter seiner Verkleidung nicht erkannt.
Der Hauptmann fühlte sich an diesem Abend nicht besonders wohl. Er musste immer wieder an die Nacht denken, in der seine Kumpel gestorben waren. Und immer wieder überkam ihn die Rachsucht. Heimlich streichelte er unter seinem Gewand seinen scharfen Dolch.
„Bald ist die Stunde der Wahrheit gekommen“, dachte er sich. „Da werden sich die Weiber zurückziehen und dann werde ich die beiden Männer erlegen, die jetzt noch so fröhlich lachen und essen. Ich werde zuerst Ali Baba den Dolch in den Rücken stoßen, dann, wenn Abdullah versucht, ihm zu Hilfe zu kommen, werde ich ihm die Kehle durchschneiden.“
Es überkam ihm jedoch Unbehagen, wenn er an das Haus dachte. Jetzt erzählte Ali Baba gerade eine lustige Geschichte, zu der alle herzlich lachten. Schnell, um nicht aufzufallen, lachte der Hauptmann laut mit. Bei diesem Lachen zuckte Mardschana zusammen. Sie erinnerte sich, dass sie das Lachen schon einmal gehört hatte, konnte sich aber nicht erinnern, wo das gewesen war.