„Nicht so schnell“, sagte er darum. „Bevor du mich erwürgst, solltest du mich wenigstens anhören. Als ich von deinem Versprechen hörte, dass du ein besseres Leben in der Einöde mit Wurzeln und Früchten leben wolltest, und dein Leben Allah widmen wolltest, war ich doch vom Mitleid ergriffen.
So ließ ich meinen Schweif zu dir herunter. Doch dumm, wie du warst, benutztest du nicht meinen Schweif, um dich zu retten, sondern dachtest nur daran, mir Gewalt anzutun. Nun hast du mich zu dir herunter gezogen und wir sitzen beide hier. Es gibt nun nur einen Weg, uns zu retten, und das ist nur möglich, wenn du dich genau an meine Anordnungen hältst.“
„Was sind das für Anordnungen, Vater der Schlauheit?“, wollte der Wolf wissen. „Richte dich auf deinen Hinterbeinen auf, soweit du kannst und stelle dich dabei an den Rand der Grube“, schlug der Fuchs vor. „Dann will ich af deine Schultern klettern. Wenn ich geschickt bin, kann ich mit einem Satz den Rand der Grube erreichen. Dann werde ich dir einen dicken Ast bringen, an dem du empor klettern kannst. Das ist unsere einzige Möglichkeit.“
Der Wolf war misstrauisch, aber er war bereit alles zu tun, um gerettet zu werden. So richtete er sich auf seinen Hinterbeinen auf. Der Fuchs kletterte auf seine Schultern, trat auf den Schädel des Wolfes und versuchte, den Rand der Grube zu erreichen. Es gelang ihm erst beim dritten Sprung.
Da rief der Wolf: „So, mein Freund, nun vergiss mich in der Not nicht. Bring mir den großen Ast.“ Der Fuchs saß am Rand der Grube und dankte Allah für seine Rettung. Dann rief er zu dem Wolf hinunter: „Ich muss dir leider sagen, dass ich so einen großen Ast nicht finde.“ Und dann fügte er hinzu:
„Ich hoffe, du verstehst! Meine Waffe gegen deine rohe Gewalt ist meine List. Sonst wäre ich deinen schrecklichen Zähnen nicht entgangen. So danke ich dir für deine Dummheit, die mich rettete.
Dich zu retten, sehe ich nicht ein. Beinahe hätte ich mich erweichen lassen, doch da zeigtest du mit deinem Jähzorn dein wahres Gesicht. Da denke ich doch an den Spruch der Weisen: „Das Ende, das die Bösen selbst verschuldet haben, erlöst die Erde.“
„Aber ich werde dich reichlich belohnen, wenn du mich befreist“, schrie der Wolf. Doch der Fuchs winkte ab. „Belohnen willst du mich? Tut mir Leid, aber du erinnerst mich an eine Schlange. Kennst du die Geschichte vom Dank der Schlange?“
„Was ist das für eine Geschichte?“, wollte der Wolf wissen. Und der Fuchs erzählte sie ihm.
Die Geschichte vom Dank der Schlange
Eines Tages entfloh eine Schlange dem Korb ihres Schlangenbeschwörers. Hastig schlängelte sie sich durch die Menschenmenge. „Wohin fliehst du, und warum hast du so große Angst?“, fragte ein Mann. „Ich fliehe vor meinem Gebieter, dem Schlangenbeschwörer. Er will mich wieder einfangen. Darum bitte ich dich, verstecke mich unter deinem Gewand, dann will ich dich auch reichlich für deine Rettung belohnen.“
Der Mann überlegte, und weil er der Schlange helfen wollte, aber auch weil er sich auf die Belohnung freute, nicht zuletzt, weil er wusste, Allah würde es ihm vergelten, versteckte er die Schlange unter seinem Gewand. Als der Schlangenbeschwörer an ihm vorbei gegangen war und seine Schlange nicht fand und darum in der Ferne verschwand, zog er die Schlange aus seinem Versteck hervor.
„Er ist fort, du hast nichts mehr zu befürchten“, sagte er. „Nun bitte ich dich, mir meinen Lohn zu geben.“ „Wir Schlangen haben nur eine Belohnung zu geben“, erwiderte die Schlange. „Sage mir, in welchen Körperteil ich dir mein Gift spritzen soll. Du hast die Wahl, das ist dein Dank.“
Der Mensch war starr vor Entsetzen. Da sagte die Schlange ruhig: „Nun, wenn du dich selbst nicht entscheiden kannst, wähle ich eben für dich.“ Und sie schlug ihre Zähne in seine Brust. Der Mann fiel um und war tot.
Das erzählte der Fuchs, und er blickte hinunter zu dem Wolf, der immer noch in der Grube hockte. Schließlich stand er auf und rief: „So leb denn wohl, du alter Bösewicht. Gebe dir Allah in der rechten Stunde des Todes die Tapferkeit.“
Da brüllte der Wolf laut und böse: „Du erbärmlicher Schwätzer. Wie wagst du es, mit mir zu reden? Weißt du nicht, wer ich bin? Ich bin der Herr der Schrecken, vor meiner Herrschaft erzittert die Erde. Du hast meinen Befehlen zu gehorchen. Tritt vor mich, wenn ich es dir befehle!“
Da lachte der Fuchs leise und sagte: „Du armer Narr. Ich staune, dass du bis zuletzt so wie immer sprichst, und nicht versuchst, eine Maske zu benutzen. Ja, du warst tatsächlich der Herrscher des Schreckens, doch die Zeit ist nun vorbei. Jeder Schrecken hat mal ein Ende und jeder Tyrann muss einmal stürzen. Stärker als der Schrecken ist das Schicksal, das Allah uns schickt. Lebwohl.“
Und mit diesen Worten verließ der Fuchs den Wolf. Er eilte den Hügel hinunter, und als er am Ende angekommen war, begann er sein heiseres Heulen. Da erwachten die Winzer und kamen herbei. Sie blickten in die Falle und fanden den Wolf darin. Dann erhoben sie ihre Schleudern und Stöcke und töteten ihn.
Der Fuchs aber lebte noch lange im Weinberg, ungestört, listig und leise und freute sich an seiner Freiheit.
Als Scheherazade geendet hatte, fand sie, dass sie nun genug Tiergeschichten erzählt hatte. Sie fragte den König, ob es nicht Zeit wäre, mit den Geschichten wieder zu den Menschen zurück zu kehren. Denn die schönste Menschengeschichte, die sie zu erzählen wüsste, wäre die Geschichte aus dem Tagen des großen Kalifen Harun al Raschid. Diese wohl wunderbarste Geschichte der Welt handelte von Sindbad dem Seefahrer. „Sindbad der Seefahrer?“, wunderte sich der König. „Das klingt nicht übel.“ Und er nickte. „Erzähle!“, sprach er.
Und Scheherazade erzählte.