Als Single hatte ich mir vorgenommen, Heiligabend alleine und unpathetisch zu verbringen: ein nettes Menü, Kerzenschein, Weihnachtslieder.
Meinen kleinen Gemischtwarenladen hatte ich den Vormittag geschlossen und schlenderte durch die Innenstadt. Hektisch und überfüllt wirkte sie am 23. Dezember. Direkt vor dem Kunstmuseum sang ein ganz in Weiß gekleidetes Grüppchen "Oh, du fröhliche", nicht unweit davon spielte eine Kapelle ebenfalls ein Weihnachtslied, und auch auf dem Weihnachtsmarkt tummelten sich bereits unzählige Menschen. Ich blieb vor einem Weihnachtsstand mit Kerzen stehen. Unter all den Kerzen verschiedener Formen und Farben gefiel mir eine besonders gut. Sie glänzte durch goldene und silberne Längsstreifen und war mit blauen Sternchen verziert. Die ließ ich mir einpacken und schlenderte weiter.
In der Nähe des alten Schlosses entdeckte ich einen Stand, der mich auf unerklärliche Weise in seinen Bann zog. Vielleicht lag es an den unwirtlichen Lichtverhältnissen, die den Stand etwas unscharf, ähnlich einer Luftspiegelung erscheinen ließen, vielleicht an dem alten Mann mit seiner Nickelbrille, seinem Gehrock und seinem Zylinder, der wie aus alten Zeiten wirkte, oder einfach an der Tatsache, dass es der einzige Stand ohne Kundschaft war. Neugierig näherte ich mich dem Stand. Der alte Mann wandte seinen Blick mir zu und lächelte, als würde er ausschließlich auf mich warten. Auf den ersten Blick sah das bunte Allerlei seines Standes nicht anders als das aller anderen aus, bei genauerem Hinsehen wirkten die Dinge allerdings eher ungewöhnlich: Teesorten und Gewürze, von denen ich noch nie gehört hatte, "Engelsflieder", "Hadeskraut", Keramiken mit ungewöhnlich kunstvollen Bemalungen, Pflanzen in ungewohnten Farben. Ich betrachtete eine Pflanze mit einem dicken blauen Stiel und geschlossener großer blauer Knospe, die sich in einem ebenfalls blauen Blumentopf befand.
"Das ist ein Weihnachtsblüher, der blüht nur am Heiligabend", sagte der alte Mann.
Ein Weihnachtsblüher als Abrundung meines Heiligabends?
"Perfekt, die nehme ich", sagte ich kurz entschlossen.
Der alte Mann schaute mich über den Rand seiner Nickelbrille an. "Das ist ein ganz besonderer Weihnachtsblüher, er öffnet sich jedes Jahr nur einer Person, und dieser bringt er Glück."
Ich blickte den Mann skeptisch an, aber bevor ich etwas sagen konnte, überreichte er mir die Pflanze und sagte: "Nehmen Sie sie, die kostet nichts, und finden Sie diese Person."
Klar, als hätte ich nichts anderes zu tun!
"Finden Sie die auserwählte Person", wiederholte der Mann.
"Aber ...", was sollte ich davon halten? Sprachlos starrte ich den alten Mann an, während dieser mich unverwandt anlächelte.
"Die Pflanze wird Ihnen helfen."
Ich betrachtete die Blume. Schön war sie, auch mit geschlossener Blüte. Blau und prächtig. Mir wurde ein wenig schwindelig, die vielen Geräusche, Musik, Gesang, Stimmen hörte ich nur noch wie aus der Ferne. Die Pflanze in meiner Hand. Für einen Augenblick gab es nur sie und mich. Ich schüttelte den Kopf und versuchte, wieder zu mir zu kommen. Da war der Weihnachtsmarkt mit den vielen Menschen, alles wie vorher, nur den Stand des alten Mannes konnte ich nicht mehr sehen. Verwirrt starrte ich auf die Stelle, an der er sich noch vor wenigen Augenblicken befunden haben muss, aber da war nichts außer den Pflastersteinen des Schlossplatzes.
Dass ich dennoch nicht geträumt hatte, bewies mir die blaue Pflanze in meiner Hand. Gedankenverloren ging ich zurück in meinen Laden und stellte das ungewöhnliche Gewächs auf die Theke.