Draußen ist es immer noch dunkel. Mäxchen ist schon lange wach. Ab und zu läuft er zum Fenster. Schade, immer noch kein Schnee! Nicht mal an diesem besonderen Tag.
"Weihnachten ohne Schnee, ist nur halb so schön", hat Mäxchen in den letzten Tagen viele Menschen sagen hören.
Der kleine Max hat bisher eigentlich nur schöne Weihnachten erlebt. Ob mit oder ohne Schnee. Er nimmt sich vor, Papa zu fragen, warum Schnee für das Weihnachtsfest so wichtig ist.
Endlich klingelt der Wecker. Im Nu ist Mäxchen aus dem Zimmer und läuft direkt in Papas Arme.
"Ich wollte dich gerade wecken, mein Junge. Das Frühstück ist fertig. Kakao-Spezial wartet auf dich."
Gemütlich ist es in der kleinen Küche. Papa und Mäxchen unterhalten sich leise. Sie wollen Mama nicht wecken. Heiligabend ausschlafen zu können, war einer von Mamas wenigen Weihnachtswünschen. Und den erfüllen Max und Mäxchen ihr gern.
Es ist 07.30 Uhr. Auf leisen Sohlen verlassen Mamas "Männer" die Wohnung. Sie haben sich für heute einiges vorgenommen.
Bitterkalt ist es. Schnell laufen Papa und Mäxchen zu dem kleinen Auto, das auf dem Parkplatz vor dem Hochhaus steht. Das Auto ist nicht irgendein Auto. Es ist Mamas Auto! Im Sommer hatte Mama an einem Preisausschreiben teilgenommen. Vier Wochen später stand ein funkelnagelneues Auto vor dem Haus.
Lachend hatte Opa damals gemeint: "Das Glück hatte Recht. Sehr vernünftig, wieder einmal zu euch zu kommen!"
Dann hat Opa Mäxchen zugezwinkert und gesagt: "Vor fünf Jahren ist uns allen das große Glück geschenkt worden. Glück zieht Glück an. Eine kleine Extra-Portion davon steht nun vor eurem Haus. Oma und ich wünschen euch viel Spaß damit!"
In den Sommerferien sind Mama und Mäxchen oft zu den Großeltern gefahren. Manchmal sind Ulli und Miene mitgekommen. Mäxchens Freunde mögen Opas Garten sehr. Doch am liebsten haben sie mit Eccu, dem schottischen Hochland-Pony, gespielt.
Papa schaut in den Rückspiegel: "Du bist so still, mein Sohn. Ist etwas nicht in Ordnung?"
Mäxchen schüttelt den Kopf. "Alles OK, Papa. Ich habe nur ein wenig nachgedacht. Du, Papa! Was wollen wir denn zuerst erledigen? Fahren wir jetzt gleich zu Opa Otto und Oma Marie?"
"Ich denke, wir kümmern uns zuerst um die Lebensmittel. Mamas Liste ist lang. Es ist noch früh. Zum Glück sind nicht viele Menschen unterwegs und wir können in aller Ruhe einkaufen."
Gegen 10.00 Uhr sind die beiden wieder zu Hause. Papa trägt die Einkaufskiste, Mäxchen zwei Tragetaschen. Ziemlich außer Atem stehen die zwei vor der Wohnungstür. Ganz schön anstrengend, mit solchen Lasten acht Stockwerke zu erklimmen!
Mama ist schon auf.
"Nein, nein!" wehrt sie ab. "Ihr braucht mir nicht beim Auspacken zu helfen. Fahrt nur los. Ich weiß doch, wie sehr Mäxchen sich auf das Weihnachtsbaum-Aussuchen freut. Bestellt bitte Otto und Marie liebe Grüße von mir."
Heiligabend-Hektik regelt nun der Verkehr der großen Stadt. Endlich! Nach einer Stunde haben Max und Mäxchen die Landstraße erreicht.
Der kleine Max kennt diese Straße inzwischen gut. Er weiß, wo er sich befindet. Merkwürdig! Papa ist an der Straße zur Bauernschaft vorbeigefahren."
Papa lächelt und sagt: "Ich möchte dir etwas zeigen, mein Junge. Eine Überraschung. Sie gehört mit zu deinen Weihnachtsgeschenken."
Mäxchen liebt Überraschungen. Manchmal ahnt er sogar, was hinter der Heimlichtuerei der Erwachsenen steckt. Das lässt er sich aber nie anmerken. Etwas ist heute anders als sonst. Mäxchen weiß wirklich nicht, welche Überraschung ihn erwartet. Deshalb wundert er sich auch nicht, als Papa kurz hinter dem Ortsschild in eine schmale Straße einbiegt. Na ja, eine richtige Straße ist dieser Schotterweg, der vor einem kleinen Einfamilienhaus endet, wohl nicht.
"Bitte aussteigen, der Herr", sagt Papa fröhlich. "Wir sind angekommen!"
Der große Max nimmt seinen Sohn an die Hand, öffnet das kleine Tor des Vorgartens und marschiert schnurstracks zur Haustür. Riesengroß werden Mäxchens Augen. Denn plötzlich zieht Papa einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und öffnet im Handumdrehen die Tür. Tausend Fragen wirbeln Mäxchen durch den Sinn.
"Weißt du was, Mäxchen: Wir zwei schauen uns jetzt das Haus an. Danach stellst du die vielen Fragen, die ich in deinen Augen sehe", schlägt der große Max dem kleinen vor.
Mäxchen nickt.
Nach dem Rundgang durch das leere Haus setzt Papa sich auf eine breite Fensterbank. "Nun, mein Sohn. Gefällt dir dieses Haus?"
"Und wie! Weshalb hast du es mir gezeigt, Papa? Und wieso hast du einen Schlüssel für die Tür?" Auf einmal sind die Ahnungen wieder da. "Ist dieses Haus für uns, Papa?", fragt Mäxchen leise.
Max erinnert Mäxchen an die kleine Schwester, die Ende Februar zur Welt kommen wird.
"In diesem Haus ist viel mehr Platz als in unserer Wohnung. Schau! Und hier haben wir sogar einen Garten. Ist das alles nicht wunderschön, Mäxchen?"
Natürlich ist das alles wunderschön! Aber was ist mit den Freunden? Oder dem Kindergarten? Ganz sicher wird Frau Stellermann Mäxchen vermissen.
"Keine Sorge, Mäxchen. Wir haben mit der Kindergartenleiterin gesprochen. Bis zu den Sommerferien kannst du in der Nelly-Nilpferd-Gruppe bleiben. Nach den Ferien beginnt deine Schulzeit. Mama und ich haben uns die Grundschule hier im Ort genau angesehen. Sie gefällt uns. Wir glauben, du wirst dich dort wohlfühlen. Oh, beinahe hätte ich etwas vergessen! Deine zukünftige Lehrerin ist die Schwester von Frau Stellermann."
Sorgfältig schließt Papa die Haustür ab. Dann dreht er noch eine Extra-Runde durch das kleine Dorf. Mäxchen sieht sich alles genau an. Auf dem Weg zu Otto und Marie ist er sehr, sehr schweigsam. Er hat soo viel zu denken.
Etwa hundert Meter vor der Haltestelle "Bauernschaft Buxtrup" läuft ein Reh auf die Straße. Gut, dass der große Max nicht so schnell gefahren ist! Er schafft es,
dem Tier aus zu weichen. Das Reh hält mitten im Lauf inne. Wahrscheinlich ist es genau so erschrocken, wie Papa und Mäxchen.
"Mensch, Papa! Da hat das Reh wirklich Glück gehabt!", sagt Mäxchen erleichtert.
"Und wir auch", denkt Papa, sagt es aber nicht.
Hinter dem Wartehäuschen will der große Max rechts abbiegen. Und wieder muss er scharf bremsen, denn Mäxchen schreit mit einem Male: "Halt, stopp, Papa! Im Wartehäuschen sitzt ein Hund. Ich glaube, er ist angebunden. Bestimmt hat er Angst oder fühlt sich einsam. Bitte, Papa, wir müssen ihm helfen!"
Vorsichtig nähern sich Max und Mäxchen dem jaulenden Hund. Papa versucht, den kleinen Kerl zu beruhigen. Es dauert nicht lange und der junge Hund lässt sich streicheln. Er wehrt sich nicht, als Max ihn von dem Hanfseil befreit.
"Weißt du was, Mäxchen: Wir zeigen Otto den kleinen Kerl hier. Otto kennt sich mit Hunden aus. Er wird sich um unseren Findling kümmern."
Mäxchen nickt. Er sieht ein wenig traurig aus. "Papa weiß genau, wie sehr ich mir einen Hund wünsche. Und der hier wäre genau richtig!"
"Holla! Was bringt ihr denn da?", sagt Otto erstaunt. "Wisst ihr, eigentlich ist es noch zu früh."
"Wieso zu früh? Wir wollen den Tannenbaum doch vor dem Dunkelwerden aus deinem Wald holen, Otto."
Otto lacht laut auf. "Ich meine den jungen Hund. Nicht den Baum. Normalerweise finden wir ausgesetzte Welpen erst nach dem Fest."
Schnell, mit geübten Griffen untersucht Otto den kleinen Hund, streichelt über das schwarzweiße Fell.
"Einen hübschen Burschen habt ihr gefunden", sagt er anerkennend. "Border-Collie nennt man diese Rasse. Weißt du, Mäxchen, so ein Hund ist nichts für die Stadt. Border-Collies sind Hütehunde. Dieser kleine Welpe ist schon jetzt sehr stark und auch gesund, meine ich. Border-Collies wurden speziell für das Schafehüten gezüchtet. Unser Kleiner hier wird recht groß und lang. Mindestens einen halben Meter. Er hat starke Muskeln, die seine Schnelligkeit und Beweglichkeit, auch seine Ausdauer, unterstützen. Schau dir den breiten Kopf an, Mäxchen! Siehst du: Die Schnauze des Borders ist nicht besonders lang. Dennoch hat er ein kräftiges Scherengebiss. Wenn der später mal zubeißt, tut es weh. Ja, die mittelgroßen Ohren stehen meistens aufrecht. Manchmal auch nach vorne gekippt. Nicht alle Border-Collies haben diese ovalen, mittelgroßen Augen. Ihre Verwandten, die Blue-Merles, schauen aus blauen Augen in die Welt. Ich habe es vorhin schon einmal gesagt. Solche Hunde können nicht in einer Drei-Zimmer-Wohnung leben. Sie brauchen eine Aufgabe, die ihrer Intelligenz und ihrem Arbeitstrieb entspricht."
Mäxchen weiß genau, weshalb Otto gerade so viel über den fremden Hund erzählt hat. Und doch möchte er gern wissen, wie es mit dem niedlichen Welpen weitergeht.
"Marie wird sich um ihn kümmern, Nach den Feiertagen wird sie den Kleinen im Tierheim und bei der Polizei melden. Ich werde euch über den Weg des Borders berichten. Einverstanden, mein Junge?" Otto lächelt Mäxchen freundlich an und sagt dann scheinbar aufgeregt; "Meine Güte! Jetzt müssen wir aber los, in den Wald. Sonst ist es gleich tatsächlich dunkel und ihr fahrt ohne Weihnachtsbaum nach Hause."
"Mama, Mama!", ruft Mäxchen, als er durch den Flur in die Küche läuft. "Wir haben heute Nachmittag einen ganz süßen Hund gefunden. Der muss aber bei Otto und Marie bleiben. Für unsere Wohnung ist er viel zu groß, hat Otto gesagt. Es ist ein Border-Collie. Hab ich nicht vergessen!"
Mama nimmt Mäxchen für einen Augenblick in den Arm. Und sogleich vergisst er die Trauer um einen Hund, den er wohl nie bekommen wird. Hm. Mama riecht so schön nach Weihnachtsessen, Gemütlichkeit und Überraschungen. Sie freut sich über den Tannenbaum. Er ist gerade richtig groß und breit. Gemeinsam schmücken die drei ihren Baum.
Nach dem Essen gehen Max und Mäxchen in den Keller. Mama hat die Krippe vergessen. Papa beugt sich über die Kiste, um die Figuren herauszuholen. Sein kleines Merkbuch fällt aus der Hemdtasche. Aufgeblättert liegt es zwischen den Krippenfiguren.
"Schau mal, Mäxchen! Hier ist eine Geschichte über einen Hütehund namens Borco. Möchtest du sie hören? Nein, Mama wird nicht ärgerlich, wenn wir eine Weile im Keller bleiben. Sie hat noch einiges zu erledigen. Dabei können wir ihr sowieso nicht helfen."
Papa setzt Mäxchen auf einen Hocker und stellt sich daneben. Der große Max nimmt sein Büchlein in die Hand, setzt die Lesebrille auf und beginnt …