Es war ein rauer Winterabend, als Rainer langsam durch den Wald Richtung seines Zuhauses ging. Er hatte einen langen Arbeitstag hinter sich und wenn dieser doofe Reifen nicht noch seine Luft verloren hätte, dann wäre er schon längst zu Hause vor seinem Kamin und könnte sich endlich wieder aufwärmen. Aber nein, er musste ja unbedingt diese Abkürzung durch den Wald nehmen! Warum nur war er nicht der Strasse gefolgt? Dies fragte sich Rainer schon die ganze Zeit. Wenigstens war der Wind hier im Wald nicht so stark. Es war auch so schon kalt genug. In der Ferne konnte er schon die ersten Lichter des Dorfes sehen. Bald hatte er es endlich geschafft. Er musste nur noch an der großen Tanne dort vorne vorbei und dann ...
Die junge Frau, die auf der Tanne oben zwischen den Zweigen saß, sah Rainer gar nicht, wie sollte er auch. Er war ja schon damit beschäftigt, seinen Mantel zu zuheben und mit der anderen Hand das Rad vor sich her zu schieben. Hätte er nur einmal kurz nach oben gesehen, hätte er dem Tannenzapfen, welche die Frau lächelnd fallen ließ, aus dem Weg gehen können. Aber so traf er sein Ziel genau. Selbst den golden glitzernden Schweif, welche er hinter sich herzog, hatte Rainer nicht bemerkt. Genau gezielt traf er auf den Kopf von Rainer. Ein kurzer Schmerzschrei, die Hand in die Höhe gerissen und schon war auch das Rad umgefallen. "Na heute meinen es aber alle gut mit mir, jetzt werfen die Tiere schon mit ... was war das denn eigentlich?", brummelte Rainer vor sich hin und schaute an der großen Eiche empor. Zu spät, die junge Frau war bereits wieder verschwunden.
Gerade als er seinen Weg wieder aufnehmen wollte, entdecke er einen Tannenzapfen vor sich auf dem Boden liegen. Hatte der eben geglitzert? Er hätte schwören können, dass dieses Ding geglitzert hatte. Schnell bückte er sich und hob den Zapfen auf. "Sind zwar keine drei Haselnüsse, aber den bring ich meiner kleinen Cinderella mit", sagte Rainer und schwups verschwand der Zapfen in seiner Tasche.
Zu Hause
Kaum hatte Rainer die Tür zu seinem kleinen Häuschen geöffnet, da kam auch schon die kleine Jenna angerannt. "Papa, Papa, endlich bist du da, liest du mir heute 'ne Geschichte vor?", bettelte sie.
"Darf ich zuerst mal rein kommen? Oder soll ich hier im Türrahmen schon anfangen dir vorzulesen?", fragte Raine und nahm die Kleine kurzer Hand auf den Arm. "Was ist das denn eigentlich für ne Begrüßung? Wo ich mich doch todesmutig unter diesen Zapfen geworfen haben", sagte Rainer und zog lächelnd den kleinen Zapfen aus der Tasche.
"Oh der ist aber schön Papa, ist der für mich?", fragte Jenna und griff mit ihren kleinen Händchen sofort danach. "Der glitzert aber schön."
Rainer wusste nicht recht, was er darauf sagen sollte und lächelte Jenna nur zu, welche erst gar nicht auf eine Antwort gewartet hatte, sondern sofort durch die Wohnung rannte, um ihrer Mutter das tolle Geschenk zu zeigen. "Schau nur Mama, wie der glitzert, als wenn er aus Gold gemacht wäre."
"Jenna, das ist der Schnee, der glitzert und pass bitte auf das du mir hier nicht rum tropfst, ich habe eben erst gewischt", sagte diese und kümmerte sich wieder ums Abendbrot.
Jenna hingegen war überglücklich über den Zapfen und sprang damit aufs Sofa.
Rainer war zwischenzeitlich in die Küche zu seiner Frau gegangen. "Er soll nun doch noch im Krankenhaus bleiben. Ich habe heute mit Doktor Mendes gesprochen. Bis jetzt ist noch keine Besserung in Sicht. Ich glaube, die wissen selbst nicht, was er hat", sagte Rainer und nahm dabei seine Frau in den Arm.
"Es ist doch bald Weihnachten. Wie sollen wir nur ein Fest feiern, wenn Michel nicht mit dabei ist?", fragte diese ihn und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von der Wange. "Wenn er sich doch nur bemerkbar machen könnte. Wenn er so starr im Bettchen liegt und ..." Tränen liefen ihr wieder die Wangen herunter. "und die leeren Augen, als wenn er keine ..."
Rainer drückte seine Frau fest an sich.
"Ich versteh nur einfach nicht, dass diese Götter in Weiß nichts finden. Können wir ihn nicht wenigsten an Heiligabend nach Hause holen?", fragte sie.
"Doktor Mendes ist nicht dafür, aber er meinte, dass er es uns nicht verbieten kann", sagte Rainer. "meinst du wirklich, dass wir das unserer kleinen Jenna zumuten können? Du weißt doch wie sehr sie ihren Bruder liebt. Ich weiß nicht, wie sie darauf reagiert, wenn wir ihn an Heiligabend wieder ins Krankenhaus zurückbringen müssen. Noch mal so 'ne Heulorgie mit euch beiden halte selbst ich nicht durch." Rainer versuchte zu lächeln, was aber leider misslang. Auch er wollte seinen kleinen Sohn bei sich haben, aber er wusste genau, dass es seiner Frau das Herz zerreisen würden, wenn sie Michel wieder in die Klink bringen mussten. Aber er konnte einfach nicht anders. "Wir holen ihn morgen zu uns. Wir sind eine Familie und sollten am Heiligabend auch zusammen sein", sagte er.
Ina lächelte. "Du musst noch den Baum schmücken. Jenna wartet schon den ganzen Tag darauf."
Michel
"Wo ist denn der Papa", fragte die kleine Jenna nun schon zum wiederholten Male. "Kommt der Papa jetzt bald?"
"Jenna, selbst wenn du noch fünfmal fragst, kommt der Papa dadurch auch nicht schneller nach Hause. Ich habe dir doch gesagt, dass er Michel vom Krankenhaus abholt", sagte Ina und streichelte der kleinen liebevoll übers Haar. "Komm wir stellen Michels Bettchen näher an den Baum, damit er die Lichter auch richtig sehen kann", sagte die Mutter und schob mit Hilfe von Jenna das kleine Bettchen näher an den golden geschmückten Tannenbaum.
"Bleibt Michel nun für immer bei uns?", fragte Jenna.
Bevor Ina jedoch eine Antwort geben konnte, hörten sie Schritte vorm Haus.
Jenna wirbelte auf der Stelle herum und rannte in Richtung Tür. "Mama, Papa und Michel sind endlich da", schrie die Kleine durch den Flur.
So konnte sie auch nicht sehen, wie ihre Mutter sich schnell die Tränen aus dem Auge wischte und sich ebenso in Richtung der Wohnungstür aufmachte.
Heiligabend
Der Baum war fertig geschmückt. Michel lag in seinem Bettchen daneben und Rainer und Ina standen davor als plötzlich ein Windstoß das Fenster aufriss und ein eisiger Wind durchs Zimmer blies und dadurch sämtliche Glöckchen am Baum läuteten. Schnell hatte Rainer das Fenster wieder geschlossen, als sein Blick auf einen kleinen Zettel am Tannenbaum fiel.
"Hast du hier ein Briefchen rein gesteckt?", fragte er seine Tochter.
"Nö", war die Antwort von Jenna, welche im Schneidersitz vor dem Bettchen von Michel saß und mit ihrem Tannenzapfen spielte.
Rainer schaute seine Frau fragend an, welche nur mit den Schultern zuckte und langsam auf ihren Mann zuging. Rainer nahm den Zettel in die Hand und öffnete ihn.
"Komisch, von wem ist der nur?", fragte er.
"Was steht denn darauf?", wollte Ina wissen.
Ein Wunsch gesprochen, ins helle Licht,
dazu ne Schupp vom Zapfen bricht,
geht in Erfüllung - doch gibt's Bedenken,
nicht jeden Wunsch der Herr kann lenken.
Doch aus dem Herzen - kinderrein,
sollt die Erfüllung machbar sein.
Der Zapfen hat, in seinem Kleide
auch goldne Schuppen, Seit an Seite,
Nur diese sind der Wünsch wert,
drum prüfe ob er wird gewährt.
Eines noch oh Holde, sei gesagt
Nur's Kind die Schuppe sehen mag.
Denn nur das Kinderherzen rein,
kann's Schimmern sehen goldig fein.
Rainer schaute seine Frau völlig irritiert an. "Wo kommt der denn her?"
Jenna, welche die ganze Zeit mit dem Zapfen gespielt hatte, traute ihren Augen nicht. Der Zapfen in ihrer Hand begann immer mehr und mehr zu leuchten. Gerade als sie ihrem Vater von diesem Leuchten berichten wollte, entdeckte sie die Frauengestalt, welche vor dem Fenster stand, ihr zuwinkte und dabei liebevoll lächelte. Auch von dieser Frau ging ein Leuchten aus. Jenna stand auf und wollte gerade zum Fenster laufen, als ihr Blick in das Bettchen auf Michel fiel. Leere Augen starrten sie an. Nun begann der Zapfen schon richtig zu pulsieren. "Ein Wunsch gesprochen ins helle Licht" Gerade als Jenna eine einzelne Schuppe aus dem Zapfen brach, flog das Fenster erneut auf, die Lichter am Tannebaum gingen an und man konnte im ganzen Ort die Glocken läuten hören.
Jenna war die Einzige, welche sehen konnte, wie die starren und trüben Augen ihres Bruders mit einem goldenen Leuchten erfüllt wurden. Ein Strahlen ging nun von ihnen aus, welches selbst Ina's und Rainer's Unterhaltung verstummen lies. Als sich beide dem Bettchen näherten, konnten sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Michel lag mit einem Lächeln darin und hatte sein Händchen nach seiner großen Schwester und dem golden glitzernden Zapfen ausgestreckt. Rainer schaute auf den Tannenzapfen in Jennas Hand und hätte nun schon zum zweiten Mal schwören können, das von ihm ein Glitzern ausging.
"Na klar, der Zettel", ging es ihm sofort durch den Kopf, doch dieser war verschwunden.