Die Nacht, die nun folgte, war die fürchterlichste in der ganzen Geschichte des Hügels.
Es entstand ein Wirrwarr und Spektakel ohnegleichen. Keine der Ameisen tat ein Auge zu. Man schnitt die Puppenhüllen entzwei, half den jungen Ameisen heraus und schleppte die Hüllen fort. Denn es sollte in allen Winkeln fein sauber sein für das große Hochzeitsfest.
Die jungen Arbeiter durften in ihren Kammern sitzen und sich gütlich tun, bevor sie an ihr Werk gingen. Doch die Prinzessinnen und die jungen Herren waren nicht zu bändigen. Sie liefen in den Gängen umher, schlugen mit ihren feinen Flügeln um sich und verlangten, sofort in den Sonnenschein geführt zu werden.
„Die Sonne scheint gar nicht, meine Herr[S. 229]schaften,“ sagte die alte Ameise. „Es ist finstre Nacht, und die Sonne geht erst in zwei Stunden auf. Wenn Sie auf eine alte, erfahrene Ameise hören wollen, so tun Sie am allerbesten daran, wenn Sie ganz still sitzenbleiben und sich allergnädigst ein wenig darin üben, mit den Flügeln zu schlagen. Sie sind ja noch so jung, meine Herrschaften, und kennen so wenig vom Leben!“
Aber die jungen Leute wollten keine Vernunft annehmen.
„Wir wollen hinaus, wir wollen hinauf... verschafft uns Sonnenschein!“ schrien sie.
Am allerschlimmsten benahm sich die Prinzessin, die sich bereits in der Puppe ungebärdig aufgeführt hatte.
„Bin ich eine Prinzessin, oder bin ich es nicht?“ schrie sie. „Sieh zu, daß du sofort Sonnenschein herbeischaffst; oder ich lasse dich hinrichten.“
„Ew. Gnaden verlangen etwas Unmögliches,“ erwiderte die Alte. „Selbst die Machtbefugnis einer Königin hat ihre Grenzen, und die Sonne kann sie nicht kommandieren.“
„Dann will ich keine Königin sein,“ heulte die Prinzessin. „Dann will ich die Sonne sein.“
„Auf die müßt ihr gut achtgeben!“ flüsterte die Alte mehreren jungen Ameisen zu. „Die dürft ihr nicht wegfliegen lassen. In der steckt echtes Königinnenblut... Die behalten wir.“