Bengele hatte eine Sparbüchse. Nie vertändelte er das Geld, das er so sauer verdienen mußte.
Vierzig schöne Markstücke hatte er schon beisammen, da sagte er eines Tages:
»Vater, ich möchte in die Stadt gehen, um für uns beide neue Kleider und Stiefel zu kaufen.«
»Tue es nur«, sagte Vater Seppel. – »Ich habe keine Angst um dich, auch wenn du allein gehst; du machst nun keine Streiche mehr. Kehre noch bei Tag zurück!«
Bengele mochte eine halbe Stunde Weges gegangen sein, da rief jemand seinen Namen. Er drehte sich um und sah eine große Schnecke aus der Hecke neben der Straße kriechen.
»Kennst du mich nicht mehr?« fragte sie.
»Halb und halb, ja!«
»Weißt du noch – die Schnecke, die bei der Fee Kammerjungfer war, als du mit dem Fuß in der Türe stecken bliebst?« –
»Ach so!« rief Bengele erfreut; »aber jetzt sag mir gleich, liebe Schnecke: wo ist meine gute Mutter Fee? – Was macht sie? – Hat sie mir verziehen? – Denkt sie noch an mich? – Hat sie mich noch gern? – Ist sie weit von hier? – Darf ich nicht zu ihr kommen?«
Auf all die vielen Fragen gab die Schnecke langsam die Antwort:
»Lieber Bengele, die arme Fee liegt krank im Spital.«
»Im Spital?«
»Ja, leider! – Sie hat zu viel Kummer durchmachen müssen; jetzt ist die Gute krank und so arm, daß sie sich gar nichts kaufen kann.«
»Die liebe, gute Mutter Fee – arm und krank im Spital! – Ich habe nur vierzig Mark; wenn ich doch jetzt reich wäre! Alles wollte ich ihr geben. – Nimm mein Geld, treue Schnecke, und bringe es der Mutter Fee.«
»Aber deine Kleider?«
»Was liegt mir jetzt an neuen Kleidern? – Geh und komme übermorgen wieder zu mir. Bis dahin werde ich ein paar Pfennige erspart haben. Konnte ich bisher meinen Vater und mich durchbringen, so werde ich jetzt auch noch für die gute Mutter arbeiten.«
Merkwürdig! – Diesmal vergaß die Schnecke ganz, daß sie eine Schnecke sei, und rannte mit dem Gelde davon wie eine Eidechse. –
Bengele kehrte um. Als er nach Hause kam, fragte der Vater:
»Wo hast du die neuen Kleider?«
»Ich konnte heute keine kaufen«, sagte Bengele; »ich werde es ein anderes Mal besorgen.«
Am Abend dieses Tages arbeitete der brave Hampelmann bis 12 Uhr und flocht zwei Körbe fertig.
Müde legte er sich auf das harte Strohlager und schlief alsbald ein. – Da sah er im Traume die Mutter Fee. Sie war wieder gesund und schön. Freundlich neigte sie sich über ihr Kind und küßte es auf die Stirne. Deutlich hörte der Kleine die liebe Stimme:
»Bengele, du gutes Hampelmännchen, ich verzeihe dir alle deine Streiche. – Nie warst du früher ein Muster von Folgsamkeit und Bravheit; aber jetzt hast du Vater und Mutter in ihrer Not geholfen. Daran erkenne ich, daß du den Vater und mich wirklich liebst. – Denke an all das Unglück, das du erlebt hast. – Sei in Zukunft kein Hampelmann mehr. – Nimm meinen Segen; sei glücklich dein Leben lang.«
Bengele erwachte. – Es war schon Morgen. – Hatte er wirklich nur geträumt?
Er wollte aufstehen und griff gewohnheitsmäßig an den Kopf. – O Wunder! – Er war nicht mehr von Holz. – Da war keine armselige Hütte mehr, kein hartes Strohlager. – Alles hatte sich verändert.
Bengele saß auf einem weißen Bette, das in einem einfachen, aber gemütlichen Zimmer stand. – Rasch stieg der Kleine aus dem Bette. Ein blauer Matrosenanzug lag auf dem Stuhle neben dran, saubere Lederschuhe standen darunter.
Das war mehr als ein Traum.
Bengele kleidete sich an und griff in die Taschen. Was steckte da? – Er zieht ein zierliches Büchschen von Elfenbein heraus und liest, was darauf mit Goldbuchstaben geschrieben steht:
»Die Mutter Fee gibt Bengele die vierzig Mark zurück und dankt ihm für sein gutes Herz.«
Vierzig neue große Goldstücke sind in dem Büchslein.
Bengele konnte immer noch nicht alles begreifen. Er lief zum Spiegel; wirklich! Das war nicht mehr der Holzkopf mit der langen Nase. Aus dem Spiegel lachte ein kluger Knabenkopf mit blondem Haar und blauen Augen.
Wo ist denn der Vater? – »Vater!« rief Bengele und ward traurig.
Da kam aus dem Zimmer nebenan Vater Seppel, gesund, froh und lustig wie früher. Er hatte schon sein altes Handwerk wieder angefangen und schnitzte gerade einen prächtigen Bilderrahmen mit allerhand Blumen und Blättern.
»Sag mir doch, Vater, wie ist das alles gekommen?« fragte Bengele, fiel ihm um den Hals und küßte ihn.
»Du hast es verdient«, sagte Vater Seppel. »Warum verdient?«
»Bengele, wenn die unartigen Hampelmänner brave Kinder werden, dann ändert sich das ganze Haus und bekommt ein schöneres Aussehen.«
»Wo ist jetzt der hölzerne Bengele?«
»Dort steht er«, sagte der Vater.
An einem Stuhle lehnte ein toter Hampelmann; Sein Kopf hing lahm nach einer Seite, die Arme fielen kraftlos von den Schultern, die Beine waren übereinander gekreuzt – ein Jammerbild.
Bengele schaute die Vogelscheuche mitleidig an und sprach:
»Wie dumm, daß ich so lange ein Hampelmann gewesen bin! – Nun aber will ich ein braver Knabe bleiben, und ich rate allen unartigen Kindern:
›Spielt nicht den hölzernen Hampelmann!‹«