Es ging Friede wieder wie damals auf der Dorfstraße, als seine Kameraden ihn einen Abschreiber genannt hatten: er fand jetzt plötzlich den Mut zu sprechen. Seite 234Er richtete sich auf und sah mit seinen klaren, blauen Augen den Grafen an und antwortete: „Ich kann doch Muhme Lenelies nicht verlassen! Nein, das geht nicht! Wenn sie wieder krank wird – sie hat niemand – nein – nein, ich will immer bei ihr bleiben.“ Und rasch trat Friede neben die alte Frau und sah diese treuherzig an. Muhme Lenelies legte ihren Arm um den Buben und sagte, und in ihrer Stimme klang es wie heimliches Lachen und heimliches Weinen: „Nä, mein Friede, da sage ich nun, das geht nicht. Du mußt in die Stadt und lernen. Es ist ein großes, großes Glück für dich, daß der Herr Graf für dich sorgen will, dafür wollen wir beide von Herzen dankbar sein. Daß du hast bei mir bleiben wollen, das, Friede, werde ich nie vergessen, das ist akkrat so, als hättest du mir ein großes Schloß, ach, noch viel mehr geschenkt. Aber fort mußt du, da hilft nun nichts.“
„Es gibt ja auch Ferien,“ sagte der Lehrer freundlich.
„Nu richtig!“ rief die Muhme. „Nä, Friede, wird das schön, wenn du dann heimkommst! Du meine Güte, ich freu' mich jetzt schon auf die Ferien wie Faulpelze, die's auch immer nicht erwarten können. Ich mache dann auch Striche in meinem Kalender und zähle die Tage, bis Ferien sind.“
Seite 235Die Gräfin und die drei Herren lachten laut über die große Ferienfreude der Muhme. Der Graf gab Friede die Hand und sagte freundlich: „Also, mein Junge, es geht doch; was die Muhme sagt, muß geschehen. Da heißt es folgen. Wirst du nun auch fleißig sein?“
„Ja,“ rief Friede so fest und froh, daß seine Beschützer wußten, der Bube würde wirklich ein guter Schüler werden.
Nun mußten Muhme Lenelies und Friede noch Kaffee trinken und Kuchen essen, aber so gut alles war, die beiden konnten vor Freude kaum essen. Es kam ihnen beiden vor, als träumten sie einen schönen Traum, als wären sie ins Märchenland gekommen, und noch als sie schon heimwärts gingen, sagte die Muhme: „Friede, Friede, ich kann's noch gar nicht fassen, du sollst in die Stadt, sollst ein gelehrter Herr werden!“
„In den Ferien darf ich aber immer, immer zu dir kommen?“ bat Friede, dem der Gedanke an den Abschied von seiner treuen Pflegemutter, trotz aller Freude, bitter schwer auf dem Herzen lag.