Die zwei Biberbrüder Bernie und Björn saßen in ihrer Burg auf dem Sofa und langweilten sich.
»Lass uns doch eine Reise unternehmen.« Bernie hatte eine große Landkarte auf dem Schoß liegen und fuhr mit dem Finger die eingezeichneten Straßen und Wege entlang, als würde er etwas suchen.
»Wohin möchtest du denn reisen? An welches Ziel hast du denn gedacht?«
Bernie zeigte mit dem Finger aus dem Fenster, wo sich ein bunter Regenbogen über den Himmel spannte. »Ich möchte zum Ende des Regenbogens reisen. Dort soll ein Topf voll Gold auf seinen Finder warten.«
Björn lachte. »Ein Topf voll Gold? Wenn das wirklich stimmen würde, hätte ihn sich schon längst jemand geholt. Meinst du nicht auch?«
Da war Bernie allerdings ganz anderer Meinung. »Dann würde die Legende aber nicht mehr stimmen. Vielleicht verschwindet der Regenbogen für immer, wenn der Topf nicht mehr da ist, weil er das Gold für seine Farben braucht. Es kann ja auch sein, dass bei jedem neuen Regenbogen jemand am Ende neues Gold versteckt. Ich habe mal von Wichteln gehört, die mehr als genug davon haben.«
Bernie fielen noch viel mehr Erklärungen ein, die seine Geschichte unterstützten. Er zählte sie in den nächsten Minuten alle auf, bis Björn seufzend aufgab. »Ist ja schon gut. Dann lass uns aufbrechen, bevor Regen und Bogen verschwinden.«
Die Biber packten sich etwas Proviant in ihre Rucksäcke und marschierten los. Dabei behielten sie immer ein Ende des Regenbogens als Ziel im Auge. Doch darauf wollten sie sich natürlich nicht verlassen. Sie hatten nämlich die leise Hoffnung, dass sie unterwegs jemanden trafen, der vielleicht eine Abkürzung kannte.
Björn und Bernie kamen durch viele Dörfer und Städte, durchquerten bei ihrer Reise sogar mehrere Länder, doch niemand konnte ihnen bei ihrer Suche helfen. Das einzige, was sie zu hören bekamen, waren lustige, traurige, gruselige und ernsthafte Geschichten über Farben und Regenbögen.
Eines Tages, sie hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben, standen sie plötzlich vor einem großen Schild am Wegesrand.
»Willkommen im Regenbogenland.« Bernie las die Wörter mit großer Ehrfurcht. »Bruder, wir haben es geschafft. Wir sind fast am Ziel. Schon bald sind wir reiche Biber. Schnell, lass uns weitergehen.«
Nun waren die Beiden deutlich schneller unterwegs. Sie spürten, dass sie schon bald das Ende des Regenbogens erreichen würden. Doch nach ein paar Stunden blieb Björn stehen und hielt seinen immer noch begeisterten Bruder an der Schulter fest. »Du sag mal, hast du nicht auch langsam das Gefühl, dass wir dem Regenbogen gar nicht näher kommen? Er sieht immer noch so groß aus, wie zu Beginn unserer Reise. Ich bekomme das Gefühl, dass er vor uns davon läuft.«
Nun fiel es Bernie auch auf. In seiner großen Vorfreude hatte er darauf gar nicht geachtet. »Da stimmt doch etwas nicht. Wir sollten jemanden fragen, der mehr darüber weiß.«
Sie wanderten in die nächste Stadt und standen schon bald vor einem großen, bunten Schloss in Regenbogenfarben. Sie wurden vom König empfangen, der sie kichernd in seinem Thronsaal empfing.
»Ihr seid also die beiden Abenteurer, die den Topf voll Gold am Ende des Regenbogens suchen. Im ganzen Land erzählt man sich von euch.«
Bernie wären vor Erstaunen beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen. Woher wusste man von ihnen? Doch die Antwort hätte er sich auch selbst geben können. Sie hatten jeden nach dem Weg gefragt, der ihnen begegnet war.
»Es hat schon so viele Goldsucher gegeben, aber sie haben alle irgendwann aufgegeben. Nur ihr beiden nicht. Deswegen freue ich mich umso mehr, dass ich euch persönlich treffen darf. Erzählt mir bitte von eurer langen Reise.«
Bernie und Björn setzten sich auf ein großes, gemütliches Sofa und berichteten. Auch erzählten sie die vielen Märchen und Geschichten, die sie über den Regenbogen gehört hatten.
»Wir haben vieles Gesehen und noch mehr gelernt, doch eines fehlt uns zu unserem Glück. Dene Topf voll Gold haben wir immer noch nicht gefunden.«
Der König begann zu lachen. »Den werdet ihr, wie alle anderen vor euch, auch niemals finden. Es gibt ihn nicht. Es hat ihn auch nie gegeben. Er ist, wie alles andere auch, eine Legende, ein Mythos, eine Erfindung.«
Die Biber rissen entsetzt die Augen auf. Mit allem hatten sie gerechnet, nur damit nicht. Vor allem Bernie standen Tränen in den Augen.
»Ich habe es dir von Anfang an gesagt, dass wir kein Gold finden werden.« Björn war sauer auf seinen Bruder, dass er ihm geglaubt hatte.
Der König winkte ab. Er stand von seinem Thron auf und setzte sich im Schneidersitz vor seine zwei Besucher. »Macht euch bitte nicht so viele Vorwürfe. Ihr habt einen viel größeren Schatz gefunden, als euch bewusst ist. Ihr habt die größte Sammlung an Märchen und Geschichten über den Regenbogen, als irgendwer sonst auf unserer schönen Welt. Schreibt sie auf, erzählt sie jedem, der sie hören möchte. Ich bin mir sicher, ihr werdet reich an Freundschaft, Anerkennung, Achtung und Respekt werden.«
Bernie seufzte einmal ganz laut. Das hörte sich nicht so schön an, wie echtes Gold in der Tasche zu haben. Trotzdem nickte er dem König zu. »Ich werde jede einzelne Geschichte aufschreiben, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Versprochen.«
Die Biber machten sich wieder auf den Rückweg nach Hause. Schon auf dem Weg wurden sie immer wieder erkannt und angesprochen, ob sie etwas über den Regenbogen und den Topf voll Gold erzählen konnten. Immer dann setzten sie sich an einen Brunnen, auf einen Marktplatz oder eine kleine Lichtung und erzählten ihre Märchen und Geschichten, während ihnen andere begeistert dabei zuhörten.
Doch eines schönen Tages standen sie wieder vor ihrer Biberburg. »Und was haben wir mit unserem Abenteuer erreicht?« Björn sah seinen Bruder ernst an, der ihn ganz breit angrinste.
»Wir haben unendlich viele Geschichten und Märchen über den Regenbogen gesammelt, sie der ganzen Welt erzählt und dabei Freunde gefunden, Respekt, Anerkennung und Achtung gewonnen.«
»Ganz genau.«
Sie setzten sich auf die Veranda ihrer Burg und erzählten von nun an jedem Wanderer und Abenteuer, der des Weges kam, vom Regenbogen, vom Topf voll Gold und vom Königreich des Regenbogenlandes.