Auf dem Kyffhäuser Berg in Thüringen, stehen noch die Ruinen eines uralten Schlosses, wo Friedrich Barbarossa, der rotbärtige Hohenstauffen Kaiser, einmal wohnte.
Ein Bauer ging eines Morgens früh über den Berg; er wollte sein Pferd, ein schönes Tier, auf den Markt bringen, um es als Streitroß zu verkaufen. Da er das Pferd frisch nach dem Markte bringen wollte, führte er es langsam am Zügel, und als er eine schöne, kleine, blaue Blume an dem Weg sah, pflückte er sie, und steckte sie in sein Hutband. Es war so neblig, daß man nicht weit sehen konnte, und Bauer und Pferd erschraken ein wenig, als sie plötzlich einen kleinen, alten Mann vor sich stehen sahen.
„Guten Morgen, Bauer,“ sprach er freundlich, „wohin gehen Sie?“
„Auf den Markt, um mein Pferd zu verkaufen.“
„Das Pferd da? Ein schönes Tier!“ rief der Mann. „Um welchen Preis denken Sie es zu verkaufen?“
„Um vier hundert Thaler,“ antwortete der Bauer, „denn das Pferd ist jung und gesund. Es wird ein prächtiges Streitroß geben.“
„Ja, das ist wahr,“ erwiderte der kleine Mann nachdenklich. „Darum möchte ich es um den Preis kaufen. Kommen Sie mit mir, Bauer,“ fügte er hinzu, „und ich werde Ihnen das Geld geben.“
Der Bauer, der den kleinen alten Mann noch nie gesehen, war ein wenig erstaunt über diese Begegnung, aber dennoch erwiderte er langsam:
„Nun das ist mir schon Recht!“
„Dann folgen Sie mir!“ rief der kleine, alte Mann, und anstatt den gewöhnlichen Weg zu gehen, führte er ihn durch Wald und Gestrüpp. Bald kamen sie zu einem kleinen Pfad, der in eine große Höhle führte.
Der Bauer hatte nie von einer Höhle in dem Berge gehört, aber der kleine Mann ging schnell hinein, und winkte ihm zu, mit dem Pferde herein zu kommen.
Der Bauer war sehr erstaunt als er in die Höhle kam, denn da waren tausende von schlafenden Pferden, und bei jedem Pferd war ein schlafender Knecht in Rüstung.
Der kleine Mann nahm jetzt den Zügel aus der Hand des Bauers, führte das Pferd an einen leeren Platz, band es fest, und sogleich schlief es auch fest ein. Dann führte er den Bauer noch weiter, und brachte ihn bald in einen weiten, unterirdischen Saal, der mit Edelsteinen und Gold reichlich verziert war. Viel Gold und viele Edelsteine lagen in Haufen herum, und der kleine alte Mann nahm einige Goldstücke und reichte sie dem Bauer als den bestimmten Preis für das Pferd.
Der Bauer steckte das Gold in seine Tasche und sah sich verwundert um. Sein Erstaunen wurde immer größer, denn mitten im Saale stand ein großer Marmortisch. An dem Marmortisch saß ein schlafender Ritter. Er war in voller Rüstung, nur den Helm hatte er abgelegt, der lag auf dem Boden, mit seinem Schwerte, seiner Lanze, und seinem Schild. Der Ritter schlief fest. Ein langer, feuerroter Bart hing ihm tief über die Brust herab, und war fast dreimal um den Marmortisch gewachsen. Um ihn her waren viele schlafende Ritter, die auch wie Helden aussahen, und hinter dem Lehnstuhl des schlafenden Rotbarts stand ein kleiner, schlafender Zwerg.
Während der Bauer erstaunt still stand, regte sich der Rotbart auf einmal, öffnete die Augen und rief dem Zwerg ernst zu:
„Geh hinauf, mein Zwerg, und sieh, ob die Raben noch um den Berg fliegen.“
Auf einmal wurde der Zwerg wieder lebendig, ging eilig hinaus, kam bald wieder zurück, und meldete feierlich:
„Die Raben fliegen noch um den Berg herum.“
„Dann muß ich noch hundert Jahre schlafen!“ seufzte der Rotbart. Seine Augen fielen wieder zu, und er schlief bald fest ein.
Der kleine Mann, der auch regungslos da gestanden, führte jetzt den Bauer wieder hinaus, und als sie an der Öffnung der Höhle standen, sagte er höflich:
„Sie haben da eine wunderschöne kleine Blume, in Ihrem Hutband, ich möchte sie gar gern haben; wollen Sie sie mir gefälligst geben?“
„Ja, gewiß!“ erwiderte der Bauer. Er riß die Blume schnell aus dem Hutband, legte sie in die Hand des alten Mannes, und wollte ihn eben fragen, wer der schlafende Rotbart sei, und warum so viele Krieger und Kriegsrosse in dem Berg versammelt wären, aber der kleine Mann war verschwunden.
Der Nebel war auch dichter geworden, und der Bauer suchte vergebens nach der Öffnung der Höhle, die er soeben verlassen. Es war erst nachdem er einige Stunden lang umher geirrt, und der Nebel endlich vom Winde weggeweht worden war, daß er den Heimweg finden konnte.
Er ging schweigend nach Hause, sagte seiner Familie nichts von seinem Abenteuer, und ließ seine Frau glauben, daß er das Pferd auf dem Markte verkauft.
Am folgenden Morgen ging er früh auf den Berg, suchte eifrig nach dem Pfad zu der Höhle, aber konnte ihn doch nicht finden. Tagelang suchte er vergeblich, und endlich erzählte er Alles einem alten Nachbarn, der ihm sagte:
„Ach, du hast ja den Kaiser Friedrich Barbarossa gesehen! Meine Mutter erzählte mir schon vor langen Jahren, als ich noch ein sehr kleiner Bursche war, daß der Kaiser nicht gestorben sei, wie die Gelehrten es in ihren dicken Büchern geschrieben. Er ist nach dem Heiligen Lande gezogen, auf einem Kreuzzug, und viele Leute erzählten damals, daß er in einem Fluß ertrunken sei, aber meine Mutter behauptete immer, das sei nicht wahr, und sagte mir oft, daß er unter dem Kyffhäuserberg schlafe. Ja, sie hatte doch Recht, siehst du, und sie sagte auch, daß der Kaiser dort mit seinen Helden lange schlafen würde. Nur einmal in hundert Jahren löst sich der Bann auf einige Minuten. Dann schickt der Kaiser den Zwerg hinaus, um nachzusehen, ob die Raben noch um den Berg fliegen. Wenn sie nicht mehr herumfliegen, wird der Kaiser wissen, daß die deutsche Freiheit und Macht in Gefahr ist. Dann wird der rote Bart den Marmortisch dreimal umringt haben. Alsdann wird der Kaiser aufspringen, den Kriegsruf durch den Berg erschallen lassen, und dann werden die schlafenden Helden erwachen, ihre Kriegsrosse besteigen, und von dem Kaiser geführt, aus dem Berg heraus steigen!
„Dann wird der Kaiser seinen Helm auf dem Kopfe haben. Seinen Schild wird er auf einen dürren Birnbaum hängen, der sogleich wieder blühen und Früchte tragen wird. Dann wird der tapfere Kaiser für das liebe Vaterland streiten, die Feinde besiegen, und Deutschland wird, Dank dem Kaiser Friedrich Barbarossa, frei und noch mächtiger und größer sein, als je zuvor.“