Mit jedem Schritt wirbelte Staub auf, flog ihr in die Nase, den Mund. Ihre Augen waren rot und geschwollen, sie tränten. Doch es war ihr sowieso egal, alles war ihr egal, alles war für sie verloren. Auf dem trockenen Pfad hinterließ sie kaum Spuren, und der Rest wurde von dem heißen Wind verweht. Der dünne Sandweg, dem sie folgte, schlängelte sich zwischen zwei Feldern, auf denen nichts außer ein paar Grasbüscheln wuchsen, die der Hitzeperiode erlegen waren und nun gelb und vertrocknet auf einen Regen hofften, entlang, in Richtung eines Waldes, dessen majestätische Bäume goldene Kronen vertrockneten Laubes trugen. Fröhliches Vogelgezwitscher hörte man aus dem Wald, aus den Schatten, die Kühlung versprachen. Wie von selbst trugen die Füße des Mädchens es an seinen Lieblingsplatz, eine kleine Lichtung in mitten hoher Ginsterbüsche, die die kleine Lichtung fast verdeckten, einigen stolzen Buchen, deren Wipfel im Wind schaukelten wie verspielte Kinder, deren Stämme aber so breit waren, dass nicht einmal drei Männer ihre Stämme komplett umfassen konnten, jeder einzelne war mindestens zwei Meter dick, und einem plätschernden Bach, der momentan jedoch kaum Wasser führte. Sie ließ sich auf einem umgestürzten Baumstamm nieder, und betrachtete einen Moment lang die Schwärme von Mücken, die über dem Bächlein kreisten. An diesem Ort konnte sie am besten nachdenken. Über die Welt, das Leben, die Liebe, sich selbst - Ihre Gedanken waren dann frei, frei wie ein Vogel, und schweiften durch den ganzen, uralten Wald auf der Suche nach Antworten. Für den Wald hatte für sie immer eine Faszination gehegt, sie spürte die alten, knorrigen Bäume um sich herum und die Jahrzehnte, in denen sie gewachsen waren. Heute beschäftigte sie jedoch nur ein Thema: Der Krebs. Der Arzt hatte gesagt, sie hätte Heilungschancen, doch sie selbst hatte schon aufgegeben, als ihr von der Chemo die Haare ausfielen. Ihre Haare, die immer schon polang gewesen waren, immer schon rötlich schimmernd und wunderschön, immer schon ihr ganzer Stolz. Eine Träne rollte über ihre Wange, dann in rascher Folge eine zweite, dritte, vierte. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und ließ ihrer Trauer freien Lauf. Es kam ihr in den Sinn, sich hier und jetzt hinzulegen, einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen. Dann spürte sie eine Berührung an ihrem linken Arm. Erschrocken sah sie auf und Ihr Mund klappte auf: Vor ihr stand ein Reh. Aber nicht irgendein Reh, sondern eins von goldener Farbe, mit tiefen, gütigen, feucht schimmernden Augen und langen Wimpern. Einen Moment lang sah es sie nur an, als wolle es etwas sagen, dass nicht in Worte zu fassen war (natürlich hätte es auch niemals etwas sagen können), doch das Mädchen verstand ohne nachzudenken was dieses Wesen ihr sagen wollte. Es ging nicht darum, wie ein Wesen aussah, sondern was er dachte, wünschte und tat. Und kaum das ihr dieser Gedanke durch den Kopf geblitzt war, sprang das Reh wieder in den Wald, und die Schatten verschluckten es, als wäre es niemals da gewesen. Das Mädchen aber stand auf und ging nach Hause, zwar nicht gesund, aber doch entschlossen zu überleben.