"Tu es!", hatte es geflüstert. Ganz leise und doch, als befände es sich direkt neben seinem Ohr. "Du weißt, es muss sein. Ich brauche das Leben und ich brauche dich, es mir zu bringen." Fordernd erhob sich in seinem Kopf das alljährliche Szenario, welches er so sehr fürchtete. "Geh nun und erfülle deinen Teil der Abmachung. Du weißt, was du verlierst, wenn du versagst!"
Thomas von Lahnstein weinte lautlos ob des Schreckens, der vor ihm lag. Schweigend packte er seine kleine lederne Tasche. Als er nach draußen trat, ließ er den liebevollen und gutmütigen Thomas von Lahnstein zurück und schlüpfte in die Rolle, die seine gemarterte Seele ihm zugedacht hatte für diese einsamen Nächte voller unsagbarem Grauen.
In der eiskalten Dezemberluft lag sie vor ihm: Elisabetha. Wunderschöne, zarte Elisabetha! Ihre bloßen Brüste stachen spitz nach oben in die klirrende Kälte. Ihr schwarzes Haar bedeckte das obere Ende des Holztisches wie eine seidene Tischdecke. Ihr Gesicht war blass, ihre dunklen Augen sahen ihn ausdruckslos an, die vollen roten Lippen waren fest verschlossen. Ihre Haut schimmerte im fahlen Mondlicht wie Perlmutt und nur der Schatten seiner massigen Statur bedeckte ihre entblößte Scham. Ihre schlanken Beine hatte er leicht gespreizt, sodass er besser arbeiten konnte.
Präzise traf er den kleinen Punkt unterhalb ihres Bauchnabels und stach sein Skalpell tief in ihren Körper. Dies war sie, die Stelle, an der die weibliche Seele saß, ihre Liebe glühte und ihre heimliche, fraulich sanfte Macht sich entfaltete. Hier verschmolz die Leidenschaft des Seins zu neuem Leben, hier wurden die tiefsten Sehnsüchte und Wünsche einer Frau versteckt. Genau hier musste er schneiden, er musste all diese Lust und all dieses lebendige Gefühl einfangen, so musste es sein! Dunkles Blut quoll hervor und seine Hand schien in einem purpurnen Strom zu schwimmen, als er den Schnitt ausführte. Sauber und gerade trennte er die Bauchdecke in zwei Teile und hielt kurz unterhalb des Brustansatzes inne.
Die Frauen des kleinen Dorfes kannten den jungen Arzt schon lange und hatten großes Vertrauen zu ihm. Oft schon hatten sie ihn hinter vorgehaltener Hand und mit erröteten Wangen um Hilfe gegen ihre monatlichen Frauenleiden gebeten. Verschämt, aber dankbar hatten sie das Gebräu aus Frauenmantel, Baldrian und Lavendeltropfen entgegengenommen, erleichterte es ihnen doch ihre harte Arbeit auf den Feldern sehr.
Heute, so wie an jedem verfluchten Dezembertag in den Jahren zuvor hatte Thomas dem Heiltrank ein wenig Alraune und schwarzes Bilsenkraut beigemengt. Voller Vertrauen und Hoffnung auf Linderung hatte Elisabetha die Mixtur in einem Zuge getrunken. So konnte sie jetzt nicht das Geringste spüren von dem, was er tat. Keine Regung ihres schlanken Körpers, nicht einmal ein leises Zittern. Nur das stumme, ungläubige Entsetzen in ihren Augen zeugte davon, dass ihr Geist sehr wohl mitbekam, was vor sich ging. Ihr Blick schien um Gnade zu flehen. Ihre lautlose Bitte um Erlösung bohrte sich tief in seine Seele und schien ihn zwingen zu wollen, ihr endlich Frieden zu schenken. Aber es war noch nicht vorbei. Sterben durfte sie erst, wenn er sein Werk vollendet hatte, denn er brauchte ihr Blut frisch und unverdorben, das Leben musste noch darin pulsieren!
Regungslos betrachtete er die klaffende Wunde, aus der weißer Dampf emporstieg als stummer Zeuge dieser Nacht. Der tiefe Schnitt hatte sich bereits bis an den Rand gefüllt mit ihrem Blut, das im fahlen Mondlicht glänzte wie tiefschwarzes Verderben.
"Ein Jammer, dass es nur die Schönsten unter ihnen trifft!", dachte er missmutig.
Mit einer Pipette sog er das warme Blut auf und füllte es mit ruhiger Hand in kleine, kristallene Phiolen. Langsam reihten sich die Gefäße aneinander und Elisabetha sog die letzten Atemzüge der klaren Winterluft in ihre gepeinigten Lungen.
Stunden später saß Thomas wie ein kleiner Junge zusammengekauert in der alten Mühle, die er von seinem Vater geerbt hatte. Vor vielen Jahren hatten seine Urahnen die Mühle erbaut und das Müllerhandwerk über Generationen weitergegeben. Sein Vater war der Erste, der nicht den Beruf des Müllers ergriffen hatte. Gegen den Willen seiner Eltern war er Arzt geworden und es hatte lange gedauert, bis diese ihm verziehen hatten. Aus Pflichtgefühl hatte er nach deren Tod die alte Mühle übernommen und Jahre später Thomas das Versprechen abgerungen, dieselbe Pflicht zu erfüllen. Thomas wahrte das Erbe seiner Vorfahren, aber zuhause fühlen würde er sich hier niemals.
Mitten im Raum auf dem alten schweren Tisch standen die Phiolen säuberlich nebeneinander gereiht, sieben Phiolen gefüllt mit hellrotem Blut.