Gestern,« sagte der Mond, »sah ich auf das bewegte Paris herab, meine Augen drangen in die Gemächer des Louvre. Ein altes Großmütterchen, armselig gekleidet – sie gehörte zur Volksklasse – folgte einem aus der niedern Dienerschaft in den großen, leeren Thronsaal; diesen wollte sie sehen, müsse sie sehen. Es hatte sie manches kleine Opfer, viel Beredsamkeit gekostet, ehe sie bis hierher gelangt war. Sie faltete die magern Hände und sah sich feierlich um, als wenn sie in einer Kirche stände. ›Hier war es!‹ sagte sie, ›hier!‹ und sie näherte sich dem Throne, von welchem der reiche, goldverbrämte Samt herabhing. ›Da,‹ sagte sie, ›da!‹ und sie beugte ihre Knie und küßte den Purpurteppich – ich glaube, sie weinte. ›Es war nicht dieser Samt!‹ sagte der Diener, und es spielte ein Lächeln um seinen Mund. ›Aber hier war es doch!‹ sagte die Frau, ›so sah es hier aus!‹ – ›So,‹ antwortete er, ›und doch nicht so; die Fenster waren eingeschlagen, die Türen herabgerissen und Blut auf dem Boden. Sie kann doch sagen: Mein Enkel ist auf dem Throne Frankreichs gestorben!‹ – ›Gestorben!‹ wiederholte die alte Frau; ich glaube nicht, daß noch ein Wort gesprochen wurde; sie verließen auch bald den Saal, die Abenddämmerung brach herein und mein Licht bestrahlte doppelt hell den reichen Samt auf Frankreichs Thron. Wer glaubst du, daß die alte Frau war –? Ich will dir eine Geschichte erzählen. Es war in der Julirevolution, gegen Abend, an jenem glänzendsten Tage des Sieges, als jedes Haus eine Festung, jedes Fenster eine Schanze war; das Volk stürmte die Tuilerien. Frauen und Kinder sogar waren mitten unter den Kämpfenden; sie drangen in die Gemächer und Säle des Schlosses. Ein armer, kleiner Knabe in Lumpen kämpfte mutig zwischen den ältern Kriegern; tödlich verwundet von mehreren Bajonettstichen sank er zu Boden, es war im Thronsaale und man legte den Blutenden auf Frankreichs Thron und wickelte den Samt um seine Wunden; das Blut strömte über den königlichen Purpur. Welch ein Bild! Der prächtige Saal, die kämpfenden Gruppen! Eine zerbrochene Fahne lag auf dem Boden, die dreifarbige Flagge wehte auf den Bajonetten, und auf dem Thron der arme Knabe mit dem blassen, verklärten Gesicht, die Augen zum Himmel gerichtet, während die andern Glieder im Todeskampfe zuckten; seine nackte Brust, seine armselige Kleidung, und halb sie bedeckend die Draperie des reichen Samt mit den Silberlilien. An des Knaben Wiege war prophezeit worden: ›Er wird auf Frankreichs Thron sterben!‹ Das Mutterherz hatte von einem neuen Napoleon geträumt. Meine Strahlen haben den Immortellenkranz auf seinem Grabe geküßt, meine Strahlen haben in der Nacht die Stirn des alten Großmütterchens geküßt, als es träumte, und das Bild sah, das du hier zeichnen kannst: ›Der arme Knabe auf Frankreichs Thron!‹