An einem warmen Septembernachmittag schaukelte Laurie in seiner Hängematte und überlegte, was seine Nachbarinnen wohl gerade machten. Doch er war zu faul, aufzustehen und nachzusehen. Das heiße Wetter hatte ihn träge gemacht und er war mit dem falschen Fuß aufgestanden. Irgendwie lief heute alles schief.
Die friedliche Stille des Gartens beruhigte ihn und er war gerade dabei, seine Gedanken auf eine abenteuerliche Reise zu schicken, als er nebenan Geräusche hörte. Er setzte sich auf und entdeckte die vier Schwestern, die aussahen, als würden sie auf eine Expedition gehen.
Was die nur vorhatten? Sie trugen große Schlapphüte und hatten einen Wanderstab in der Hand. Außerdem baumelte ein großer Leinensack über ihren Schultern. Schweigend verließen sie den Garten und wanderten den Hügel hinauf, der zum Fluss führte.
Laurie vermutete, etwas beleidigt, dass sie ein Picknick machen würden und ihn nicht gefragt hatten, ob er dabei sein möchte. Neugierig schlich er hinterher. Wenig später beobachtete er, wie die Mädchen auf dem Hügel im Gras saßen, jede in ihre Arbeit vertieft. Meg nähte, Betty bastelte kleine Dinge aus Nüssen und Tannenzapfen, Amy strickte und Jo las aus einem Buch vor.
Laurie überlegte kurz, ob er wieder umkehren sollte, doch zu Hause war es so langweilig. Also trat er aus dem Wald heraus, räusperte sich und klopfte an die große Eiche, als ob sie eine Tür wäre.
"Darf ich hereinkommen oder störe ich?", fragte er artig.
Meg zog kritisch die Augenbraue hoch und Jo sprang erfreut auf und rief: "Sicher, bleib doch hier. Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du mitkommen möchtest. Aber dann dachte ich mir, dass du dir nichts aus unseren albernen Mädchenspielen machst."
"Ich mag all eure Spiele, aber wenn Meg mich nicht dabeihaben möchte, gehe ich auch wieder."
"Du kannst bleiben, aber du musst dich an die Spielregeln halten und etwas Nützliches machen. Das hier ist der "Fleißige Bienen Club"", belehrte ihn Meg.
"Okay, was soll ich tun?"
"Du kannst die Geschichte zu Ende lesen. Dann kann ich Meg beim Nähen helfen", schlug Jo vor.
Als die Geschichte fertig war, wollte Laurie mehr über diesen Club erfahren. Jo erzählte ihm von der Pilgerreise, von der jede der Schwestern ein kleines Büchlein, als Leitfaden besaß.
"Seit Weihnachten spielen wir Pilger und versuchen, auf dem Weg in die himmlische Stadt bessere Menschen zu werden. Weil wir unsere Ferien nicht mit Nichtstun vertrödeln wollen, haben wir uns überlegt unsere Arbeiten mit an die frische zu Luft zu nehmen. Aus Spaß haben wir uns dabei wie echte Pilger verkleidet und unseren Berg der Träume erklommen."
Laurie stand auf und betrachtete den herrlichen Ausblick. "Wunderschön", hauchte er andächtig.
"Wir stehen oft hier und bauen unsere Luftschlösser, in dem jeder gerne leben würde", erklärte Jo weiter.
"Ich habe schon so viele Luftschlösser gebaut, dass ich gar nicht wüsste, in welches ich einziehen will", bekannte Laurie.
So begann Laurie von einem seiner Träume zu erzählen. "Zuerst möchte ich die ganze Welt sehen und mich dann in Deutschland niederlassen und nur noch für die Musik leben. Ich werde ein berühmter Musiker und kann nur noch das tun, was mir gefällt."
Dann forderte er Meg auf, zu erzählen. "Ich hätte gerne ein hübsches Haus, voll mit schönen Dingen. Elegante Möbel und jede Menge Geld. Meine Angestellten kümmern sich um die Hausarbeit und ich müsste keinen Handstrich machen."
In Jos Luftschloss existierte ein Stall voller Pferde und Bücherregale, die bis zur Decke reichten. Außerdem ein magisches Tintenfass, mit dem sie Bücher schreibt, die weltberühmt werden.
Als Betty an der Reihe war meinte sie zufrieden: "Ich wünschte, Vater würde heimkommen. Dann möchte ich glücklich mit unserer ganzen Familie leben."
"Hast du sonst keine Wünsche?", wunderte sich Laurie.
"Seit ich das kleine Klavier besitze, bin ich ganz und gar zufrieden."
"Ich habe jede Menge Wünsche", erklärte Amy. "Aber der größte ist es, in Rom zu leben und zu malen. Ich möchte die beste Künstlerin der Welt werden."
"Wir sind ganz schön ehrgeizig. Außer Betty wollen wir alle reich und berühmt werden. Ich bin gespannt, bei wem diese Wünsche tatsächlich Wirklichkeit werden. Lasst uns in zehn Jahren wieder zusammentreffen und sehen, was aus unseren Luftschlössern geworden ist."
"Oh je, dann bin ich ja schon siebenundzwanzig", rechnete Meg, der immer mehr bewusst wurde, dass sie bald erwachsen war.
"Ich hoffe nur, ich kann dann etwas vorweisen. Natürlich könnte ich Großvater glücklich machen und Kaufmann werden. Aber dieses ganze Zeug interessiert mich nicht."
"Du solltest trotzdem auf deinen Großvater hören und erstmal aufs College gehen, Laurie. Du würdest es dir nie verzeihen, wenn du ihn alleine lässt. Du musst Geduld haben und deine Pflichten erfüllen, dann wirst du auch belohnt. Genauso wie der von allen respektierte Mr Brooke", erklärte Meg.
"Was weißt du über Mr Brooke", hakte Laurie nach, der froh war das Thema zu wechseln.
"Nur das, war ich von deinem Großvater erfahren habe. Er hatte sich liebevoll um seine kranke Mutter gekümmert, bis sie starb. Und jetzt sorgt er für die Dame, die seine Mutter gepflegt hat. Er macht das, ohne groß mit anderen darüber zu reden. Er hat wirklich ein großes Herz."
Da ertönte von Weitem die Glocke, mit der Hanna zum Abendessen rief. Die Mädchen sammelten ihre Sachen zusammen und eilten den Hügel hinunter.
Am Abend beobachtete Laurie seinen Großvater, der sich von Betty ein Stück auf dem Klavier vorspielen ließ und aufmerksam lauschte. Er erinnerte sich an die Unterhaltung am Nachmittag und beschloss: "Ich werde geduldig auf mein Luftschloss warten und erstmal bei Großvater bleiben, solange er mich braucht. Schließlich bin ich das Einzige, was er hat."