In der Mittagspause floh Tom nach Hause. Seine Eifersucht machte ihm die Fröhlichkeit der anderen zur Qual. Zu allem Übel wartete Tante Polly zuhause mit finsterer Miene.
"Ich hätte Lust, dir das Fell über die Ohren zu ziehen!", sagte sie böse.
"Weshalb denn, Tantchen?"
"Da geh ich alte Gans rüber zu den Harpers, um Sereny von deinem wundervollen Traum zu erzählen, und was passiert? Joe hat ihr erzählt, dass du in jener Nacht hier gewesen bist und alles gehört hast! Damit hast du mich zum Gespött der Leute gemacht! Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich mit dir machen soll."
Tom ließ den Kopf hängen und wusste einen Moment lang nicht, was er sagen sollte. Er kam sich schäbig vor. Dann flüsterte er: "Es tut mir Leid, Tante Polly. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan - ich habe einfach nicht darüber nachgedacht!"
"Das ist es ja, Kind! Du denkst nie über etwas nach. Da kommst du den weiten Weg von Jacksons Insel hierher und machst dich über unsere Trauer lustig. Auf den Gedanken, Mitleid mit uns zu haben, kommst du nicht."
"Ich weiß ja, dass es gemein war. Aber ich wollte das ehrlich nicht, Tante Polly. Im Übrigen bin ich in jener Nacht nicht hergekommen um mich lustig zu machen!"
"Warum bist du dann gekommen?"
"Ich wollte dir sagen, dass wir nicht ertrunken sind und dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst. Doch dann habt ihr von der Totenfeier gesprochen. Da kam mir plötzlich die Idee, wir könnten uns in der Kirche verstecken. Das Rindenstück habe ich dann wieder in die Tasche gesteckt."
"Welche Rinde?"
"Das beschriebene Stück Rinde. Jetzt wünsche ich mir fast, dass du aufgewacht wärst, als ich dir einen Kuss gegeben habe - ehrlich!"
"Hast du mich wirklich geküsst, Tom?", fragte Tante Polly zärtlich.
"Klar! Weil ich dich doch so lieb hatte und weil du so geseufzt hast!"
Das klang ehrlich. Die alte Dame sagte mit zittriger Stimme: "Dann küss mich noch einmal! Und dann verschwinde in die Schule!"
Sobald er fort war, ging sie zum Schrank und holte die traurigen Überreste seiner Piratenjacke heraus. Nach kurzem Zögern griff sie in die Jackentasche. Eine Sekunde später hielt sie das Rindenstück in der Hand und las Toms Botschaft mit tränenverschleiertem Blick.
"Jetzt könnte ich dem Jungen eine Million Sünden vergeben", murmelte sie.