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Das Chagrinleder 驴皮记:Die Frau ohne Herz-2

时间:2019-01-28来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Die Frau ohne Herz
»Du bist ja hübsch tragisch heute abend!« rief Émile.
»Laß mich, laß mich mein Leben verdammen«, erwiderte Raphael. »Wenn deine Freundschaft nicht so stark ist, meine Klagelieder anzuhören, wenn du nicht um meinetwillen eine halbe Stunde Langeweile ertragen kannst, dann schlafe! Aber verlange dann keine Erklärung mehr von mir für meinen Selbstmord, der in mir grollt, sich erhebt, mich ruft und den ich grüße. Wenn man jemanden beurteilen will, muß man zumindest die Geheimnisse seiner Gedanken, seiner Nöte, seiner Gefühle kennen. Ein Leben bloß nach den äußeren Ereignissen beurteilen zu wollen, heißt eine Chronologie abfassen – was Dummköpfe Geschichte nennen!«
Der bittere Ton, in dem diese Worte gesprochen wurden, machte Émile so betroffen, daß er Raphael von nun an aufmerksam lauschte, wobei er ihn fassungslos ansah.
»Aber jetzt«, fuhr der Erzähler fort, »erscheinen diese Ereignisse in einem ganz anderen, ganz neuen Licht. Die Ordnung der Dinge, die ich früher als Unglück betrachtete, hat vielleicht die schönen Fähigkeiten gezeitigt, auf die ich später so stolz war. Waren es nicht die philosophische Neugier, das rastlose Arbeiten, die Liebe zum Leben, die von meinem siebenten Jahre an bis zu meinem Eintritt in die Gesellschaft mein Leben beständig erfüllten, welche mich jener Leichtigkeit fähig gemacht haben, mit der ich, wenn man euch glauben darf, meine Ideen auszudrücken und auf dem weiten Feld menschlichen Wissens voranzuschreiten vermag? Waren es nicht die Verlassenheit, zu der ich verurteilt war, die Gewohnheit, meine Gefühle zu unterdrücken und einsam in meinem Herzen zu leben, die mir die Gabe verliehen, zu vergleichen und in tiefes Nachdenken zu versinken? Hat sich mein Empfindungsvermögen nicht gerade dadurch, daß es sich nicht im Dienste mondäner Reize verlor, welche die schönste Seele erniedrigen und sie herunterbringen, bis nur mehr Plunder von ihr bleibt, im stillen sammeln können, um das vollendete Werkzeug eines Willens zu werden, höher als dem der Leidenschaft? Da die Frauen mich verkannten, habe ich sie – ich erinnere mich wohl – mit dem scharfen Blick der verschmähten Liebe aufs Korn genommen. Jetzt sehe ich wohl ein, daß mein aufrichtiger Charakter ihnen mißfallen mußte! Ob die Frauen nicht ein bißchen Heuchelei wollen? Mußten sie nicht bei einem wie mir, der zur selben Stunde mal Mann, mal Kind, mal Flattergeist, mal Denker, ohne Vorurteile und voller Aberglauben und zu alledem oft Weib wie sie ist – mußten sie da nicht Naivität für Zynismus und sogar die Lauterkeit der Gedanken für Frivolität halten? Wissenschaft bedeutete ihnen Langeweile, weibliches Schmachten Schwäche. Die überschwengliche Beweglichkeit meiner Phantasie, das Unglück der Dichter, machte mich in ihren Augen unbestritten zu einem, der zur Liebe unfähig, dessen Sinn unbeständig, der bar jeder Energie ist. Schwieg ich, hielt man mich für blöd, strengte ich mich an, ihnen zu gefallen, erschreckte ich sie wahrscheinlich, und so haben die Frauen mich verdammt. Ich habe das Urteil der Welt in Tränen und Kummer hingenommen. Diese Qual trug Früchte. Ich wollte mich an der Gesellschaft rächen, wollte die Seele aller Frauen besitzen, indem ich mir die Köpfe unterwarf, wollte aller Augen auf mich gerichtet sehen, wenn ein Diener an der Tür irgendeines Salons meinen Namen meldete. Ich beschloß, ein großer Mann zu werden. Schon als Kind hatte ich an meine Stirn geklopft und wie André de Chénier [Fußnote] zu mir gesagt: Dahinter steckt etwas! Ich spürte, es lebte in mir ein Gedanke, der nach Ausdruck rang, ein System, das aufgestellt, das kundgetan werden wollte. Ach, mein lieber Émile, heute, da ich kaum sechsundzwanzig Jahre alt und gewiß bin, unbekannt in den Tod zu gehen, ohne daß ich je die Frau umfangen habe, die zu besitzen ich träumte; laß mich dir all meine Torheiten erzählen! Haben wir nicht alle mehr oder weniger unsere Wünsche für Wirklichkeiten gehalten? Wahrhaftig, ich möchte keinen Jüngling zum Freund, der sich nicht in seinen Träumen Kränze geflochten, ein Postament erbaut oder willfährige Geliebte besessen hätte. Ich war oft General, Kaiser; ich war Byron und dann wieder nichts. Und nachdem ich mich spielerisch über alle menschlichen Dinge erhoben hatte, mußte ich gewahren, daß alle Berge und alle Schwierigkeiten noch zu überwinden blieben. Die maßlose Eigenliebe, die in mir gärte, der unbeirrbare Glaube an ein Schicksal, der den Menschen völlig durchdringen kann, wenn er durch die Berührung mit Geschäften seine Seele nicht so leicht zerfetzen läßt wie das Schaf seine Wolle im Dorngebüsch, durch das es streift, das alles hat mich gerettet. Ich wollte mich mit Ruhm bedecken und in aller Stille für die Geliebte arbeiten, die ich eines Tages zu erringen hoffte. Alle Frauen verschmolzen sich mir zu einer einzigen, und dieses Idealgeschöpf glaubte ich in der erstbesten zu finden, die mir unter die Augen kam. Da ich aber in jeder von ihnen eine Königin erblickte, mußten sie mir armem, gepeinigtem, schüchternen Tropf eben entgegenkommen, wie Königinnen ihren Liebhabern ein erstes verheißungsvolles Zeichen geben müssen. Ach, jener einen, die Mitgefühl mit mir empfunden, hätte ich neben der Liebe ein so dankerfülltes Herz dargebracht, daß ich sie ihr ganzes Leben lang angebetet hätte. Später lehrten mich meine Beobachtungen grausame Wahrheiten. Solcherart, lieber Émile, lief ich Gefahr, ewig allein zu bleiben. Irgendeiner Geistesneigung folgend, sehen die Frauen an einem Mann von Talent nur seine Fehler und an einem Dummkopf nur seine guten Eigenschaften; sie empfinden große Sympathie für die Vorzüge eines Hohlkopfs, weil sie ihren eigenen Fehlern unaufhörlich schmeicheln, während der bedeutende Mann ihnen nicht so viel Befriedigung gewährt, daß dadurch seine Unvollkommenheit aufgewogen wäre. Das Talent ist ein Wechselfieber, und keine Frau hat Lust, nur dessen Mißhelligkeiten zu teilen; alle erwarten sie von ihren Liebhabern, daß diese ihrer Eitelkeit huldigen. Was lieben sie in uns? Lediglich sich selber noch einmal! Hüllt sich aber ein armer stolzer, mit schöpferischer Kraft begabter Künstler nicht in einen verletzenden Egoismus? Ihn umgibt ein eigenartiger Wirbel von Ideen, in den er alles, selbst seine Geliebte hineinzieht, die deren Bewegung folgen muß. Kann eine umworbene, umschmeichelte Frau an die Liebe eines solchen Mannes glauben? Kann sie eine solche Liebe suchen? Ein solcher Liebhaber hat nicht die Muße, sich vor einem Diwan all den äffischen Sentimentalitäten zu überlassen, auf die die Frauen so großen Wert legen und die gerade die falschen und herzlosen Männer beispiellos beherrschen. Er hat für seine Arbeit nicht Zeit genug, wie sollte er sie damit vergeuden, sich zu erniedrigen und den Gecken zu spielen? Ich war bereit, mein Leben auf einmal hinzugeben, nie aber stückweise wegzuwerfen. Außerdem liegt in dem diensteifrigen Gebaren eines Wechselmaklers, der für so eine blasse Zierpuppe den Laufburschen spielt, etwas derart Erbärmliches, daß es dem Künstler ein Greuel ist. Die abstrakte Liebe genügt einem armen großen Mann nicht, er verlangt alle Hingabe. Die seelenlosen Geschöpfe, die ihr Leben damit verbringen, Kaschmirschals zu probieren oder Kleiderständer der Mode zu spielen, sind keiner Hingabe fähig, für sie ist die Liebe allein das Vergnügen zu befehlen, nicht das, zu gehorchen. Die wahre Gattin, die es mit Seele und Leib und ihrem ganzen Wesen ist, folgt jenem willig, in dem ihr Leben, ihre Kraft, ihr Ruhm und ihr Glück beschlossen liegt. Große Männer brauchen orientalische Frauen, die keinen anderen Gedanken kennen, als deren Bedürfnisse zu erkunden; denn ihr Unglück ist das Mißverhältnis zwischen ihren Wünschen und ihren Mitteln. Und ich, der ich mich für ein Genie hielt, mußte ausgerechnet solche Modedämchen lieben! Ich hegte Gedanken, die allen überlieferten widersprachen; war festen Willens, den Himmel ohne Leiter zu stürmen; ich besaß Schätze, die keinen Kurswert hatten; ich war mit Kenntnissen vollgestopft, die mein Gedächtnis belasteten, weil sie noch nicht geordnet, ja kaum verdaut waren; ich stand in der grauenhaftesten Wüste, in einer Wüste, die gepflastert und belebt war, die dachte, lebte, in der einem alles mehr als feindlich gegenübersteht, nämlich gleichgültig, mutterseelenallein. Ohne Eltern und ohne Freunde. Da war der Entschluß, den ich faßte, so toll er war, doch natürlich; er verlangte Unmögliches, und das machte mir Mut. Es war, als hätte ich mit mir selbst gewettet, wobei ich Spieler und Einsatz zugleich war. Höre, welchen Plan ich faßte: Mit meinen 1100 Francs wollte ich drei Jahre lang mein Leben fristen und diese Zeit daran wenden, ein Werk zu verfassen, das die öffentliche Aufmerksamkeit auf mich lenken, mir ein Vermögen oder einen Namen schaffen mußte. Ich schwelgte in dem Gedanken, daß ich mich mitten im lärmenden Paris in einer Sphäre der Arbeit und des Schweigens eingraben wollte wie eine Schmetterlingspuppe, um glänzend und glorreich aufzuerstehen. Ich malte mir aus, wie ich, einem Einsiedler der Thebais vergleichbar, in die Welt der Bücher und der Gedanken untertauchen und abgeschlossen und unzugänglich von Milch und Brot leben wollte. Ich wollte mein Leben aufs Spiel setzen, um zu leben. Ich fand, daß, wenn ich mich auf die wahren Bedürfnisse, auf das unbedingt Notwendige beschränkte, 365 Francs im Jahr für mein ärmliches Leben reichen müßten. Und in der Tat habe ich mit dieser kargen Summe mein Dasein so lange gefristet, wie ich mich meiner selbstauferlegten klösterlichen Disziplin fügen wollte . . .« 
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