»Therese«, sagte sie zu ihrer Kammerzofe, »bitten Sie Herrn von Nücingen, sofort heraufzukommen, ich muß mit ihm sprechen.«
Eugen war ganz glücklich darüber, daß er dem Sterbenden den Besuch wenigstens einer seiner Töchter ankündigen konnte, und kam fast froh in der Rue Neuve-Ste-Geneviève an. Er kramte in der Börse, um den Kutscher sofort zu bezahlen. Die Börse dieser reichen, eleganten jungen Frau enthielt siebzig Francs. Als er oben war, sah er, wie der Vater Goriot von Bianchon gehalten wurde. Er war in Gegenwart des Arztes vom Heilgehilfen des Hospitals behandelt worden. Jetzt setzte man ihm Moxa auf den Rücken, aber auch dieses letzte Mittel der Wissenschaft sollte erfolglos bleiben.
»Fühlen Sie das Brennen?« fragte der Arzt.
Vater Goriot, der den Studenten bemerkt hatte, erwiderte:
»Sie kommen, nicht wahr?«
»Er kann noch durchkommen«, sagte der Heilgehilfe, »er spricht ja noch.«
»Ja«, erwiderte Eugen, »Delphine folgt mir.«
»Schon wieder seine Töchter«, sagte Bianchon, »er ruft nach ihnen, wie der Gepfählte nach Wasser schreit.«
»Hören Sie auf«, sagte der Arzt zum Krankenwärter, »es ist nichts mehr zu machen, man kann ihn nicht retten.«
Bianchon und der Wundarzt legten den Sterbenden wieder auf sein elendes Bett.
»Man müßte wenigstens die Wäsche wechseln«, sagte der Arzt. »Es besteht zwar keine Hoffnung mehr, aber man muß doch die Menschenwürde wahren. Ich komme zurück, Bianchon«, sagte er zu dem Studenten. »Wenn er noch über Schmerzen klagt, geben Sie ihm Opium.«
Arzt und Wärter verließen das Zimmer.
»Nur Mut, Eugen, mein Sohn!« sagte Bianchon, als sie allein waren. »Wir müssen ihm ein reines Hemd anziehen und die Bettwäsche wechseln. Sag Sylvia, daß sie Laken heraufbringt und uns hilft.«