»Meine Teure, Herr von Rastignac ist ein junger Mann, der unfähig ist, seine Geliebte zu ruinieren.«
»Danke, Delphine! . . . In der Krise, in der ich mich befinde, hätte ich etwas Besseres von dir erwartet; aber du hast mich nie geliebt.«
»Doch, sie liebt dich, Nasie!« rief Vater Goriot; »Sie hat es mir eben noch gesagt. Wir sprachen gerade noch von dir; sie behauptete, du seiest schön, sie selbst nur hübsch.«
»Sie?« fuhr die Gräfin fort. »Sie ist eine kalte Schönheit.«
»Auch wenn das wahr wäre«, sagte Delphine errötend, »wie hast du dich gegen mich betragen? Du hast mich verleugnet, du hast mir die Türen aller Häuser schließen lassen, in denen ich verkehren wollte. Du hast niemals die geringste Gelegenheit vorübergehen lassen, um mir Schmerz zu bereiten. Und ich, bin ich hergelaufen wie du, um dem armen Vater sein ganzes Vermögen zu entziehen, einen Tausendfrancschein nach dem anderen, und ihn so weit zu bringen, wie er heute ist? Da siehst du dein Werk, meine Schwester. Ich habe Vater so oft besucht, wie ich konnte, ich habe ihn nicht von der Tür gewiesen, und ich bin nicht gekommen, ihm die Hände zu lecken, wenn ich in Not war. Ich wußte gar nicht, daß er die 12 000 Francs für mich verwandt hatte. Ich habe noch Anstand, du weißt es ja! Übrigens, wenn Papa mir Geschenke gemacht hat, so habe ich niemals darum gebettelt.«
»Du warst eben glücklicher als ich. Herr de Marsey war reich, du weißt davon ein Lied zu singen. Du warst immer feil wie Gold. Adieu, ich habe keine Schwester mehr . . .«
»Schweig, Nasie!« rief Vater Goriot.
»Nur eine Schwester wie du kann Geschichten vorbringen, an die die Welt längst nicht mehr glaubt. Du bist ein Ungeheuer!« rief Delphine.
»Meine Kinder, meine Kinder, schweigt, oder ich nehme mir vor euren Augen das Leben.«
»Komm, Nasie, ich verzeihe dir«, fuhr Madame de Nücingen fort, »du bist unglücklich. Aber ich bin besser als du. Wie kannst du mir so etwas in einem Augenblick sagen, wo ich imstande war, alles zu tun, um dir zu helfen, selbst das Schlafzimmer meines Gatten zu betreten, was ich nicht einmal für mich tun würde und nicht für . . . Aber das paßt zu all dem Leid, das du mir seit neun Jahren zugefügt hast.«