Rastignac war ins Freie gegangen, um frische Luft zu schöpfen, ihm war zum Ersticken. Dieses Verbrechen, das zur festgesetzten Stunde begangen worden war, er hatte es am Abend vorher verhüten wollen. Was war geschehen? Was sollte er tun? Er zitterte bei dem Gedanken, ein Mitschuldiger zu sein. Noch immer entsetzte ihn die Kaltblütigkeit Vautrins.
Wenn nun Vautrin sterben würde, bevor er wieder zur Besinnung kommt? dachte er bei sich.
Er durcheilte die Alleen des Luxembourg, als würde er von einer Meute kläffender Hunde gehetzt.
»Hallo«, rief ihm plötzlich Bianchon zu, »hast du den ›Pilote‹ gelesen?«
Der »Pilote« war ein von einem gewissen Tissot geleitetes radikales Blatt, das einige Stunden nach Erscheinen der Morgenblätter eine Ausgabe druckte, die die Ereignisse des frühen Morgens brachte und auf diese Weise in der Provinz vierundzwanzig Stunden Vorsprung vor den anderen Blättern hatte.
»Es steht eine hochinteressante Sache drin«, sagte der junge Mediziner, der jetzt im Hospital Cochin arbeitete. »Der junge Taillefer hat sich mit dem Obersten Franchessini von der alten Garde duelliert und hat zwei Zoll Eisen in die Stirn gekriegt. Also die kleine Victorine wäre jetzt eine der reichsten Partien von Paris. Was, wenn man das gewußt hätte! Welch ein Vabanquespiel, der Tod! Ist es wahr, daß Victorine ein Auge auf dich geworfen hat?«
»Schweig, Bianchon, ich werde sie niemals heiraten. Ich liebe eine entzückende Frau, ich werde wiedergeliebt, ich . . .«
»Du sagst das, als wenn du große Anstrengungen machtest, um nicht untreu zu werden. Zeige mir doch mal die Frau, die es wert wäre, daß man das Vermögen des alten Taillefer für sie opferte.«
»Haben sich denn alle bösen Geister gegen mich verschworen?« rief Rastignac.
»Wer tut dir denn was? Bist du toll? Gib mir die Hand, ich will dir den Puls fühlen. Du hast Fieber.«
»Lauf schnell zu Mutter Vauquer«, sagte Eugen, »dieser Verbrecher, der Vautrin, ist eben wie tot umgefallen.«
»Ah«, sagte Bianchon und ließ Rastignac stehen, »das paßt zu meinen verdächtigen Beobachtungen. Ich muß doch sehen, was daran ist.«
Der Student setzte in feierlichem Ernst seinen Spaziergang fort. Er benutzte ihn, um sein Gewissen einer Prüfung zu unterziehen. Sosehr er auch forschte und untersuchte, es ging daraus hervor wie eine Eisenstange, die dem Feuer standhält. Er entsann sich der Dinge, die ihm Vater Goriot am Abend anvertraut hatte, die Wohnung fiel ihm ein, die in der Rue d'Artois in Delphines Nähe für ihn bereit war. Er holte den Brief hervor, las ihn noch einmal durch und küßte ihn.