»Ach, meine gute Mutter«, sagte Victorine, seufzend mit einem Blick auf ihre Hände, als die beiden Frauen allein waren, »wenn der gute Herr Vautrin richtig prophezeit hätte!«
»Aber dazu brauchte es nur«, erwiderte die alte Dame, »daß dein Ungeheuer von Bruder vom Pferde stürzte.«
»Ah! Mama!«
»Mein Gott, vielleicht ist es eine Sünde, seinem Feinde Böses zu wünschen. Nun, ich werde dafür Buße tun. Aber ich würde wirklich mit frohem Herzen Blumen auf sein Grab tragen. Der böse Mensch! Er hat nicht den Mut, für seine Mutter einzutreten, deren Erbschaft er dir mit allerhand Schlichen vorenthält. Meine Cousine hatte ein schönes Vermögen. Zu deinem Unglück ist niemals davon im Heiratsvertrag die Rede gewesen.«
»Mein Glück wäre mir schwer zu tragen«, sagte Victorine, »wenn es jemanden das Leben kosten sollte. Wenn mein Bruder sterben müßte, damit ich glücklich werde, so würde ich lieber immer hierbleiben.«
»Mein Gott«, erwiderte Madame Couture, »wie sagte doch der gute Herr Vautrin, der, wie du siehst, recht fromm ist, nicht ungläubig wie die anderen, die von Gott mit weniger Respekt sprechen als der Teufel selbst? Wer weiß, welche Wege die Vorsehung uns führen will?«
Mit Hilfe Sylvias gelang es den beiden Frauen, Eugen in sein Zimmer zu schaffen, wo ihm die Köchin die Kleider auszog. Bevor sie das Zimmer verließ, benutzte Victorine einen Augenblick, als ihre Beschützerin ihr den Rücken wandte, um Eugen auf die Stirn zu küssen. Welches Glück gewährte ihr dieser kleine Raub! Sie betrachtete das Zimmer, sammelte gewissermaßen in einem einzigen Gedanken die ganze Freude dieses Tages und schlief als das glücklichste Geschöpf von Paris ein.