»Los, Sylvia, keine Widerrede«, sagte die Vauquer, die das Zimmer verließ.
»Bei ihrem Alter!« sagte Sylvia zu Victorine, auf ihre Herrin weisend.
Madame Couture und Victorine, an deren Schulter Eugen schlummerte, blieben allein im Speisezimmer. Das Schnarchen Christophs schallte durch das stille Haus. Dagegen schlummerte Eugen friedlich wie ein Kind. Auf Victorines Gesichtszügen malte sich der Stolz über die Rolle der mütterlichen Beschützerin, die ihr zufiel. Sie war glücklich in ihrer Fürsorge, die ihr ganzes weibliches Gefühl in Anspruch nahm und die ihr das Herz des jungen Mannes näherbrachte. Alle ihre Gedanken standen unter dem Einfluß jenes Lustgefühls, das ihr die junge und reine Wärme des neben ihr ruhenden Körpers verursachte.
»Armes teures Kind!« sagte Madame Couture mit einem Händedruck.
Bewundernd sah die alte Dame, wie eine Gloriole des Glücks die reinen Züge des jungen Mädchens überstrahlte. Victorine ähnelte jetzt dem Madonnenbild eines mittelalterlichen Künstlers: Die Magie seines ruhigen und stolzen Pinsels gibt seiner Gestalt einen gleichmäßig gelblichen Gesichtston, aber der Himmel scheint sich auf ihr mit goldenen Farben widerzuspiegeln.
»Er hat doch nur zwei Glas getrunken, Mama«, sagte Victorine, die Eugen über das Haar strich.
»Ja, wenn er ein Wüstling wäre, meine Tochter, so hätte er den Wein wie die anderen vertragen.«
Von der Straße her drang das Geräusch eines Wagens.
»Mama«, sagte das junge Mädchen, »da kommt Herr Vautrin. Nehmen Sie Eugen. Ich möchte nicht so von dem Manne gesehen werden. Er gebraucht Ausdrücke, die die Seele beschmutzen, und er hat Blicke, daß man sich vorkommt, als würde man ausgezogen.«
»Nein!« erwiderte Madame Couture, »du täuschst dich! Vautrin ist ein braver Mann, ein wenig in der Art des verstorbenen Herrn Couture, derb, aber doch brav, ein edles Herz in einer rauhen Schale.«
Vautrin trat sacht ein und betrachtete die Gruppe der beiden jungen Leute, die das Licht der Lampe zu liebkosen schien.