Jonathan Harker Tagebuch - Fortsetzung
Ich erwachte in meinem eigenen Bett. Der Graf muss mich hierher getragen haben, wenn ich nicht alles geträumt habe. Ich bin immer noch nicht sicher, ob ich wirklich alles nur geträumt habe, aber die Art und Weise, wie meine Kleider zusammengelegt sind, lässt mich ahnen, dass der Graf die Kleider zusammenlegte. Auch meine Uhr ist nicht aufgezogen und darauf lege ich doch immer großen Wert. Aber schlussendlich sind das alles keine endgültigen Beweise dafür, dass ich nicht träumte. Und wenn der Graf mich hierher brachte, so hat er mir wenigstens mein Tagebuch gelassen, von dem ich mir sicher bin, dass er es nicht billigen würde. Ich sehe mich in meinem Zimmer um und denke, dass es gestern noch Schrecken für mich barg. Heute aber ist es mir ein Asyl, denn es gibt nichts Entsetzlicheres als die drei Frauen, die irgendwo im Schloss darauf warten mein Blut zu trinken!
18. Mai. Ich war noch einmal im Schloss unterwegs, um das Zimmer bei Tageslicht zu sehen. Als ich die Tür öffnen wollte, so war sie verschlossen. Der Riegel ist nicht vorgeschoben. Es ist eher, als würde etwas von innen vor der Tür liegen. Ich bin nun sicher, dass es kein Traum war und werde auf Grund dieser Tatsachen handeln.
19. Mai. Letzte Nacht trat der Graf von mir und verlangte, dass ich drei Briefe schreibe. Einen, dass meine Arbeit beendet ist und meine Abreise näher rückt, einen weiteren, dass ich am folgenden Tag abzureisen gedenke und einen dritten, dass ich das Schloss verlassen und in Bistritz angekommen sei. Ich wagte nicht zu protestieren, denn der Graf weiß, dass ich zuviel gesehen habe. Ich darf nicht lebend davon kommen, denn ich könnte ihm gefährlich werden. Nun gilt es also, Zeit zu gewinnen und die Augen nach einer Fluchtmöglichkeit offen zu halten. Der Graf indes erklärte seine ungewöhnliche Bitte damit, dass die Post hier unregelmäßig befördert würde und dass meine Freunde meine Briefe schneller erhielten, wenn ich sie sozusagen im Voraus schriebe. Ich widersprach ihm nicht, sondern teilte zum Schein seine Ansichten und fragte nach den Daten, die ich auf die Briefe setzen sollte. Der Graf rechnete kurz nach. Dann sagte er: "Auf den ersten Brief 12. Juni, auf den zweiten Brief 19. Juni und auf den dritten Brief 29. Juni." Nun weiß ich, wie lange ich noch zu leben habe. Gott steh mir bei!
28. Mai. Ich habe einen Weg gefunden, Hilfe zu holen! Eine Bande Zigeuner ist ins Schloss gekommen. Was sie hier tut, weiß ich nicht, aber ich schrieb zwei Briefe. Einen an Herrn Hawkins, in dem ich ihn bat, sich mit Mina in Verbindung zu setzen und einen an meine liebe Mina. Diesen Brief verfasste ich in Stenografie, damit der Graf ihn nicht würde lesen können, falls er ihn abfing. Ich schrieb nicht alles, was ich hier gesehen habe. Mina würde sich zu Tode ängstigen. Ich schilderte ihr nur klar den Ernst meiner Lage. Beide Briefe schob ich einem Zigeuner zu und legte ein Goldstück dabei. Der Zigeuner nahm die Briefe drückte sie an sein Herz, verbeugte sich und steckte sie dann in seine Mütze. Ich bin voller Hoffnung und frohen Mutes; der Graf ist nicht da und so schreibe ich weiter.
Der Graf ist gekommen. Er setzte sich zu mir und zog zwei Briefe aus der Tasche. "Die haben mir die Zigeuner gegeben. Sehen Sie, der eine Brief ist von Ihnen an unseren gemeinsamen Freund Hawkins. Der andere ist ein garstiges Ding, denn er ist nicht unterschrieben. So geht er uns denn auch nichts an." Er hielt den Brief und den Umschlag an die Flamme der Lampe und ich sah meine Hoffnung verbrennen. "Der andere Brief ist von Ihnen und Ihre Briefe sind mir heilig. Diesen Brief werde ich selbstverständlich abschicken. Ich musste ihn leider öffnen, also siegeln sie ihn doch bitte wieder zu." Ich konnte nichts tun, als ihm zu gehorchen. Der Graf verbeugte sich und ging. Als er die Tür hinter sich zuzog, hörte ich, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Als ich einen Augenblick später an der Tür stand, fand ich sie tatsächlich verschlossen.
31. Mai. Ich erwachte am Morgen und wollte aus meinem Koffer etwas Papier und einige Umschläge holen, als ich bemerkte, dass alles Papier fort war. Meine Notizen, meine Eisenbahnfahrpläne, mein Kreditbrief, alles, was mir hätte nützlich sein können ist fort. Und außerdem ist mein Reiseanzug nicht mehr da. Auch mein Überzieher und meine Decke fehlen. Das schien mir wieder eine neue Perfidie zu sein.
17. Juni. Heute Morgen hörte ich im Hof Peitschenknallen und Stampfen wie von Pferdehufen. Ich eilte ans Fenster und sah voll Freude zwei große Leiterwagen in den Hof hinein rollen. Jeder Wagen wurde von acht schweren Pferden gezogen. Die Fuhrwerke wurden begleitet von mehreren Slowaken, alle mit breitem Hut, messingbeschlagenem Gürtel, schmutzigen Schaffellen und hohen Stiefeln. Da die Tür noch immer verschlossen war, öffnete ich ein Fenster und rief sie an. Sie schauten zu mir herauf und zeigten auf mich. Der Hauptmann der Zigeuner eilte herbei und redete mit den Slowaken. Alle lachten und schauten zu mir hoch. Danach konnte ich sie durch kein Geschrei dazu bewegen, noch einmal den Kopf nach mir zu drehen. Von den Leiterwagen wurden große viereckige Kisten abgeladen. Sie scheinen leer zu sein, denn da Abladen ging schnell. Die Kisten wurden in einer Ecke des Hofes gestapelt und als alle abgeladen waren, bezahlte der Zigeunerhauptmann die Slowaken. Die spuckten auf das Geld, damit es Glück bringen möchte und gingen zurück zu ihren Fuhrwerken. Bald darauf hörte ich, wie die Leiterwagen den Hof des Schlosses verließen.
24. Juni. Es ist kurz vor Tagesanbruch. In der letzten Nacht verließ der Graf mich früh und sobald ich frei war, rannte ich in das kleine Südzimmer, um den Grafen zu beobachten. Irgendwas ist im Gange! Ich stand wohl so eine halbe Stunde am Fenster, als ich den Grafen aus seinem Zimmer heraus kriechen sah. Wie gewohnt kletterte er mit dem Kopf voran die Mauer hinab, aber wie erschrak ich, als ich sah, dass er meinen Reiseanzug trug! Über seiner Schulter lag das schreckliche Bündel, dass er den Frauen vorgeworfen hatte. Meine Kleider trägt er, damit die Leute meinen, sie hätten mich in einer Stadt oder in einem Dorf gesehen, wie ich meine Briefe aufgebe. Ich könnte toben vor Wut, wenn ich daran denke, was der Graf ungestraft tut, während er mich als seinen Gefangenen hält. Ich wollte auf die Rückkehr des Grafen warten, deshalb blieb ich am Fenster stehen.
Plötzlich war mir, als tanzten kleine Fleckchen im Mondlicht. Fein wie Staub wirbelten sie umher. Ich beobachtete diese kleinen Fleckchen und eine gewisse Ruhe überkam mich. Ja, fast fühlte ich Behaglichkeit, wie ich den tanzenden Flecken zuschaute. Ich stand in meine Fensternische gelehnt und genoss das luftige Spiel als ich tief unten im Tale ein wehes Heulen von Hunden wahrnahm. Es flößte mir augenblicklich Unbehagen ein und ich blickte auf die tanzenden Flecken, die unter dem lauter werdenden Heulen immer neue Gestalten anzunehmen schienen. Ich konnte fühlen, dass ich mich gegen die Stimme der Vernunft wehrte, die mir riet, davon zu laufen. Meine ganze Seele wehrte sich dagegen. Ich wurde hypnotisiert! Der Staub tanzte rascher, das Mondlicht zitterte und es entstanden schwankende Gestalten vor meinen Augen. Erst in diesem Moment riss ich mich los, erwachte und rannte schreiend davon. Die schwankenden Gestalten waren die drei Mädchen gewesen, die darauf warteten mein Blut zu trinken.
Erst in Abgeschiedenheit meines Zimmers fühle ich mich etwas besser, was aber nicht lange andauern sollte. Nur wenige Stunden später hörte ich aus den Gemächern des Grafen entsetzliche Laute, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließen. Eine dumpfe Wehklage und dann Totenstille. Ich schauderte, wusste aber, dass ich nicht zu tun vermochte. Also setzte ich mich nieder und weinte.
Mir rannen die Tränen die Wangen hinab als ich draußen vom Schlosshof erneutes Wehgeschrei vernahm. Eine Frau mit verwirrtem Haar und mit über der Brust gekreuzten Armen stand dort im Torbogen. Sie schrie und heulte wild: "Ausgeburt der Hölle, gib mir mein Kind!" Die Frau warf sich auf Knie und rief wieder und wieder. Sie raufte sich die Haare und erschien mir wie toll. Aber ihre Schreie verhallten, ohne dass sich im Schloss etwas bewegte. Dann hörte ich den Grafen mit scharfer, metallischer Stimme etwas rufen. Wo war er? An seinem Fenster? Als Antwort ertönte das Heulen der Wölfe und jagte mir einen Schauer den Rücken hinab. Das Rudel Wölfe kam schnell heran. Die Frau weinte nicht mehr und schrie auch nicht. Die Wölfe stürzten sich auf sie und kurze Zeit später strichen sie einzeln davon, mit von Blut verschmierten Lefzen.
Für die Frau empfand ich kein Mitleid, denn ich wusste ja, was ihrem Kinde zugestoßen war. Sie war besser tot als die grausame Wahrheit ertragen zu müssen. Aber ich war verzweifelt. Was sollte ich nur tun, um mich aus diesem entsetzlichen Wirrwarr von Nacht, Spuk, Angst, Blut und Grausamkeit zu befreien?
25. Juni. Niemand, der nicht in tiefster Nacht Schreckliches erlitten hat, kann verstehen, wie süß und teuer ein neuer Morgen mit goldenem Sonnenlicht für die geängstigte Seele ist. Im Licht der Sonne zerfloss meine Angst und es ist klar, dass ich etwas unternehmen muss, solange das Licht mich stärkt. Heute geht mein erster vordatierter Brief ab. Die Zeit drängt. Den Grafen habe ich noch nie bei Tageslicht gesehen, ich vermute, dass er schläft. Ach, könnte ich nur in sein Zimmer gelangen, aber seine Tür ist immer verschlossen. Doch halt - es gibt einen Eingang in seiner Zimmer, aber die Tür ist es nicht! Ich habe ihn doch selbst aus dem Fenster kriechen sehen. Ob das auch für mich ein Weg sein kann? Ich werde es wagen, denn ich habe nichts mehr zu verlieren. Gott wird mir beistehen. Mina, lebe wohl, wenn ich bei der waghalsigen Kletterpartie mein Leben lassen muss!
Später. - Ich habe das Wagnis hinter mich gebracht. Bevor mich der Mut verlassen konnte, ging ich an das Fenster, von dem aus ich Dracula die Mauer hinabklettern sah. Ich sah lange Tiefe, damit deren Anblick mich nicht mehr schreckte. Dann zog ich die Stiefel und meine Strümpfe aus und machte mich auf den Weg. Ich fühlte keinen Schwindel, die Steine waren roh und der Mörtel im Laufe der Jahre verschwunden. Die Zeit schien zu verfliegen und sehr schnell war ich an des Grafen Fenster angelangt. In höchster Erregung machte ich mich daran, in das Fenster des Grafen zu klettern. Welche Gefahr! Ich sah mich im Zimmer um, aber es war leer!
Sein Zimmer war seltsam möbliert und wirkte unbewohnt. Alles war Staub bedeckt. Ich begann in fieberhafter Eile nach einem Schlüssel zu suchen aber das Einzige, was ich fand war ein großer Haufen Gold in einer Ecke des Zimmers. Es waren verschiedene Münzen, römische, türkische englische, ungarische und andere. Auch das Gold war mit einer dicken Staubschicht überzogen. Sicherlich war keines der Stücke, die ich betrachtete, weniger als 300 Jahre alt.
Eine Tür in einer Ecke des Zimmers erregte meine Aufmerksamkeit. Die Tür war nicht verschlossen. Ich schritt hindurch und gelangte über einen gepflasterten Gang zu einer steilen Wendeltreppe. Es war dunkel, aber ich musste hinab! Vorsichtig tatstete ich mich voran. Unten angekommen schlug mir widerlicher Leichengeruch und der Dunst von frisch aufgegrabener Erde entgegen. Ich folgte dem tunnelartigen Durchgang und trat schließlich in eine halb verfallene Kapelle. Von hier aus führten Stufen in verschiedene Grabgewölbe. Der Boden war frisch umgegraben und die Erde war in große Holzkisten gefüllt worden, offenbar waren es die Kisten, die die Slowaken gebracht hatten.
Ich stieg in die Grabgewölbe hinab. In den ersten beiden fand ich nichts als alte Sargstücke und Staub. Im dritten aber standen ungefähr fünfzig von den Holzkisten, gefüllt mit frischer Erde. Und in einer ruhte - der Graf! Ob er tot war oder schlief konnte ich nicht erkennen. Er hielt die Augen offen, aber sein Blick war starr. Die Wangen waren bleich und die Lippen waren rot wie immer. Was ich nicht entdecken konnte war irgendeine Bewegung, ein Zeichen von Leben. Kein Puls, kein Atemzug, kein Herzschlag. Mir grauste es, aber ich musste nachsehen, ob er einen Schlüssel bei sich hatte. Ich beugte mich über den Grafen und sah ihm ins Gesicht. In den offenen Augen lag ein solcher Ausdruck wildesten Hasses, dass ich auf der Stelle kehrtmachte und floh. Ich nahm den Weg, den ich gekommen war und warf mich keuchend auf mein Bett, um nachzudenken.
29. Juni. Heute ist das Datum des letzten Briefes. Der Graf hat Vorsorge getroffen, dass man glauben soll, ich hätte die Briefe selber abgeschickt, denn ich sah ihn wieder in meinen Kleidern das Schloss verlassen. Ach, hätte ich doch nur eine Waffe, aber welche Waffe kann gegen solchen Teufel kämpfen? Ich ging in die Bibliothek, da ich Angst hatte, den drei durstigen Damen zu begegnen und las, bis ich einschlief.
Als ich erwachte, stand der Graf im Zimmer und sagte mit verbissener Mine: "Morgen, mein Freund, werden Sie also reisen. Sie kehren zu Ihrer Beschäftigung zurück und wir sehen uns vielleicht nie wieder. Ihren Brief habe ich aufgegeben. Morgen, wenn Sie abreisen, werde ich nicht hier sein können. Die Zigeuner und auch die Slowaken werden hier sein. Wenn alle mit der Arbeit fertig sind, wird mein Wagen für Sie bereit stehen und Sie zum Borgopass bringen. Aber ich denke, ich werde Sie auf Schloss Dracula begrüßen dürfen." Wollte der Graf mich wirklich ziehen lassen? Ich stellte ihn auf die Probe und fragte: "Warum kann ich nicht heute Nacht reisen?" "Weil mein Kutscher und meine Pferde nicht zur Verfügung stehen", antwortete er. "Und wenn ich zu Fuß gehe? Mein Gepäck kann ich später abholen lassen." Der Graf erhob sich und ich fürchtete schon das Schlimmste, als er sagte: "Ihr Engländer habt eine schöne Redensart: Gib dem kommenden Gast dein Bestes, den abreisenden aber halte nicht auf. Ich bedauere, dass Sie nicht länger mein Gast sein wollen, aber unter keinen Umständen sollen Sie länger hier verweilen müssen, als Sie selber es wünschen. Kommen Sie mit."
Der Graf bedeutet mir, ihm zu folgen. Voll steifer Grandezza stieg er mit mir die Treppe in die große Halle hinunter. "Hören Sie das?", der Graf blieb stehen und sah mich an. Ich hörte das Heulen der Wölfe und musste an die Frau denken, die unter den Wölfen den Tod gefunden hatte. Dracula war inzwischen zum Tor getreten und öffnete es. Draußen heulten die Wölfe noch wilder und ich konnte ihre roten Mäuler und weißen Zähne sehen. Ich roch ihren stinkenden Atem und mir wurde klar, dass es unsinnig war, den Kampf gegen den Grafen aufzunehmen. Vielleicht war es auch sein Plan, mich den Wölfen vorzuwerfen, jetzt, da der Tag meines Todes heran gekommen war?
Ich trat zurück und schrie: "Schließen Sie das Tor, ich warte gern bis morgen." Kaum konnte ich der Tränen der Enttäuschung Herr werden, als der Graf mit einer schnellen Bewegung seines Arms das Tor zuwarf und der Riegel dröhnend vorsprang. Entmutigt begab ich mich in mein Zimmer, um mich niederzulegen, als ich vor meiner Tür ein Flüstern hörte. Ich hörte den Grafen sagen: "Zurück. Eure Zeit ist noch nicht gekommen. Morgen Nacht ist er euer." Ein leises Kichern war die Antwort und Wut entbrannt stieß ich die Tür auf. Vor meiner Tür standen die drei schrecklichen Frauen und starrten mich gierig an. Sie brachen in Gelächter aus und rannten davon. Ich kehrte in mein Zimmer zurück. Morgen wird also mein Todestag sein. Gott, steh mir bei und denen, die mich lieben.
30. Juni. Die letzten Worte für mein Tagebuch. Ich schlief bis kurz vor Tagesanbruch. Noch bin ich am Leben. Als der Hahnenschrei ertönte, wusste ich, dass ich gerettet war. Frohen Herzens öffnete ich meine Tür und eilte in die große Halle. Ich wollte das Tor öffnen und fliehen, aber das Tor war verschlossen. Der Graf musste es noch in der Nacht verschlossen haben. Mich ergriff wildes Verlangen, den Schlüssel zu besitzen und ich stieg ohne zu Zögern die Mauer hinab in das Zimmer des Grafen. Das Zimmer war leer und nirgends war ein Schlüssel zu erblicken. Ich wusste, wo ich den Graf finden würde und ging auf direktem Weg in das Grabgewölbe. Aber wie erschrak ich, als ich in die Holzkiste blickte. Der weiße Bart des Grafen war nun eisengrau, die Wangen nicht länger bleich sondern rosig behaucht. Auf den Lippen, die noch röter waren als sonst, standen Tropfen frischen Blutes, die ihm aus den Mundwinkeln über Kinn und Hals rannen. Das Gesicht wirkte voller, so als wäre die ganze schreckliche Kreatur mit frischem Blut durchtränkt, wie ein vollgesogener Blutegel.
Ich schauderte, aber ich musste diesen Körper untersuchen, sonst war ich verloren. Ein sicheres und blutiges Festmahl für die schrecklichen anderen Drei. Das Lächeln auf Draculas Gesicht versetzte mich in ungeheure Wut. Diesem Wesen hatte ich geholfen, nach London über zu siedeln. Nun konnte er sich unter den vielen Menschen Londons einen immer größer werdenden Kreis von Halbdämonen schaffen und seine Blutgier stillen. Das musste ich verhindern! Ich ergriff eine Schaufel, die wohl die Arbeiter vergessen hatten und holte weit aus. Ehe mein Schlag treffen konnte, drehte der Graf den Kopf und sah mich voll an. Jähes Entsetzen lähmte mich und die Schaufel entglitt meinen kraftlos gewordenen Händen. Sie stürzte zu Boden und riss dabei eine klaffende Wunde in die Stirn des Liegenden. Das Letzte was ich sah, was das höhnische Lächeln des Grafen.
Ich war schon in das Zimmer des Grafen geeilt, als ich rollende Räder und stampfende Schritte vernahm. Die Zigeuner und die Slowaken begannen, die mit Erde gefüllten Kisten zu verladen. Ich musste wieder hinunter und mich verstecken, um in einem unbewachten Moment aus dem großen Tor zu entkommen. Aber ich hatte mich noch nicht zur Tür umgedreht, als ein Windstoß durch das Zimmer fuhr und die Tür krachend zufiel. Ich konnte sie nicht bewegen, so sehr ich auch zerrte und schob.