Manch Musikstück würde man gerne verbannen aus dem Soundtrack des eigenen Lebens. Blöd nur, wenn so ein für wenig ansprechend gehaltenes Lied plötzlich auf Platz eins der Charts hüpft - und dauernd läuft! Autor: Thomas Morawetz
Von den späten 1960-ern bis Anfang der 80er erschienen auf den Bühnen und in den Plattenläden der Welt die Gitarren-Götter. Das waren Männer mit langen Haaren, kaum 30 Jahre alt, die E-Gitarre spielen konnten, dass Hobby-Gitarristen fassungslos rätselten - was ging hier vor sich? Jimmy Hendrix war einer der ersten. Die nächsten Jahre brachten immer neue dieser rätselhaften Wesen ans Licht: etwa Carlos Santana, Jimmy Page von Led Zeppelin oder Ritchie Blackmore von Deep Purple.
Gott gegen Klampfer
Die Gitarrengötter setzten keine Maßstäbe, sondern hoben sie auf; und damit begann das Elend zahlloser minderjähriger Hobby-Gitarristen. Die waren damals Schüler oder Lehrlinge, mit billigen akustischen Gitarren. Beim Kauf einer
E-Gitarre ging der Ärger mit den Eltern los, spätestens aber beim Kauf des Verstärkers.
Bald hatten sich die größten Herausforderungen für die Nachwuchs-Virtuosen herauskristallisiert, und die übten, übten und übten: Ritchie Blackmores Riff von "Smoke On The Water" - wie das ging, war bald raus. Nur: Es klang nie so wie auf der Platte! Oder die ersten Takte von Santanas "Samba Pa Ti" - hatte vielleicht einer aus der Parallelklasse geknackt, jetzt konnte man´s auch - nur: Es klang nie so, wie bei Santana! Oder - der Anfang von Led Zeppelins "Stairway To Heaven"! Und wie man den bald raus hatte! Ja, den ganzen ruhigen Teil sogar, bis zum Solo. Dann war Endstation, nur leider - das davor: Es klang auch nie so wie bei Jimmy Page!!
Vielfach vergriffen
Es gab Schauplätze, an denen sich das Leid verdichtete: Vor allem in Bussen, die von Schulausflügen zurückfuhren. Einer hatte seine Lagerfeuergitarre dabei, und das hieß, dass alle Jungs ihr Glück versuchten. Immer nur die ersten Töne. Die ganze Fahrt lang. "Smoke on the Water", "Samba Pa Ti", "Stairway to Heaven". Und natürlich: Nie klang es so, wie es sollte!! Busfahrer war damals ein schrecklicher Beruf.
Kaum jemand hatte bemerkt, dass der Befreier von diesem Leid schon da war.
Am 23. Juli 1976 schaffte ein neuer Gitarrenhit den Einstieg in die Schweizer Hitparade. Auf Rang 14. Der Gitarrist war ein König mit dunklen, leicht gewellten Haaren, mittellang. Er trug eine schneeweiße E-Gitarre und ein weißes Gewand, bescheiden, kein Glitzerkram. Ohne orgiastisches Grimassieren lächelte er beruhigend in die Kamera - und dann legt er los:
Blibb … blibb blibb blibb blibb…
Blibb blibb blibb blibb…
Blibb blibb blibb blibb…
Die Erscheinung hieß Ricky King, der Hit "Verde". Und der stürmte nicht nur die Schweizer Hitparden. Aber in der Schweiz schaffte der König damit sogar sechs Wochen lang Platz eins.
Gut. Ritchie Blackmore hätte zwischen dem ersten und dem zweiten Blibb 100 zusätzliche gespielt, eine Breze gegessen und den Hund spazieren geführt. Kurz: "Verde" war das langweiligste Lied der Welt. Aber gerade das war der einzige Superlativ, der den Bann der Gitarrengötter brechen konnte! Endlich war die Welt des Machbaren greifbar… Oder besser gesagt: Endlich wäre sie greifbar gewesen. Denn - hat damals jemals jemand in einem Schulbus "Verde" gehört?