Wenn alle das Handtuch geworfen haben, nochmal die Schaufel auspacken. Weiter meißeln, wo längst der Hammer gefallen ist. Für den Archäologen Howard Carter lohnt sich durchhalten und spachteln. Als keiner mehr sucht, findet er.
Mit Kälte hatte der Schauder nichts zu tun, der Howard Carter befiel, als er an jenem Novembertag im Jahr 1922 die versiegelte Tür vor ihm aufbrach. Die abgestandene Luft, die ihm entgegenschlug, war heiß. Sie war 3000 Jahre lang eingesperrt gewesen: Luft aus dem Grab des Pharao Tutanchamun.
Auf diesen Moment hatte Carter 16 Jahre lang hingelebt, hingeschuftet, hingehofft, hingezweifelt. Jahrelang arbeitete der selbstgelernte Ägyptologe aus England als Zeichner für Grabungen im "Tal der Könige", einer riesigen Gräberstätte nahe Theben. Rund 60 Pharaonengräber hatte man dort bereits gefunden.
Ran an die Schaufel
Carters Traum war es, selbst zu graben. Denn 1906 waren im Tal Gegenstände aufgetaucht, die auf die Existenz eines Pharaos mit dem Namen Tutanchamun hindeuteten. Dessen Grab wollte Carter finden. Doch er hatte kein Geld. Und er hatte keine Grabungslizenz; die waren knapp und teuer.
Zur Erfüllung eines Lebenstraums braucht es vor allem drei Dinge. Erstens: Glück. Selbiges trat ein, als Carter Lord Carnarvon kennenlernte, einen reichen adligen Landsmann, der von seinem Arzt in die Wüste geschickt worden war, um dort Schmerzen nach einem Autounfall zu kurieren. Die heiße, trockene Luft tat dem Lord gut, aber ihn quälte Langeweile. Carters Pharaonenfieber kam ihm gerade recht. Er bot sich als Sponsor an. Zweitens braucht ein Visionär Geduld.
Die hatte Carter - er geduldete sich bis zum Jahr 1914. Da endlich wurde eine Grabungslizenz frei. Das Königstal galt als abgegrast. Freie Bahn für Carter:
Fünf Winter lang grub er sich quer durchs Tal, ergebnislos. Der Lord wollte aufgeben. Carter hingegen wusste um die dritte Zutat für ein erfolgreiches Traumerfüllungsrezept: unerschütterlicher Glaube an die Sache. Er blieb hartnäckig und überredete den Lord, ihm noch eine Chance zu geben.
Anfang November 1922 setzte Carters Team also zum sechsten Mal die Schaufeln an. Drei Tage später stießen sie auf eine Tür – mit dem Siegel Tutanchamuns.
Losgemeißelt und rausgehauen
Im Schein der flackernden Kerze ahnte Carter, was er gefunden hatte:
ein intaktes Grab, unberührt von Räubern, kaum angenagt vom Zahn der Zeit. Drei Monate dauerte es, bis die Vorkammer des Königsgrabs durchforscht und leergeräumt war. Dann, am 16. Februar 1923 zeigte sich Carter die wahre Größe seines Fundes. An jenem Tag öffnete er, vor 20 geladenen Gästen, die Tür zur Grabkammer. Carter beschreibt seine Gefühle, als er den Meißel ansetzt - den Moment, in dem die Erfüllung seines Lebenstraums direkt bevorsteht:
"Wir würden uns in Gegenwart eines Königs befinden, der vor 3000 Jahren herrschte. Als ich die Plattform bestieg, waren meine eigenen Gefühle seltsam gemischt und meine Hand zitterte, als ich den ersten Schlag führte."
Carter hält eine elektrische Lampe durch das frisch gehauene Loch - und sieht Dinge, die seine kühnsten Träume übertreffen. "Kaum ein Meter von der Tür entfernt, stand dort etwas, was sich so weit wie man nur sehen konnte erstreckte und den Eingang in die Kammer versperrte. Allem Anschein nach war es eine Mauer aus massivem Gold!" Was ihnen den Weg versperrte, war die Wand eines riesigen Schreines. Darin der König selbst.