Anna: »Und verläßt sie.« Was ist das?
Herr Meister: Der Ritter ging von ihr und kam nie zurück.
Anna: Da war Fräulein Kunigunde aber traurig, nicht wahr?
Louis: Ja, ich glaube sehr.
Bella: Nein, Louis, das glaube ich nicht, denn sie hatte kein Herz, und ein Ritter wie Delorges war zu gut für sie.
Anna: Louis, glauben Sie, daß ein Ritter unter Löwen und Tiger geht? Fürchtet er die Bestien nicht?
Louis: Fürchten? Nein, Anna. Ein guter Ritter fürchtet nichts, das glaube ich; — und ich weiß, ich würde für Sie auch unter Löwen und Panther gehen, o ja, Anna, ganz gewiß.
Anna: O, Louis! Aber ich will nicht, daß Sie es thun.
Herr Meister: Sie haben ein gutes, fühlendes Herz, mein liebes Fräulein! Soll ich Ihnen den Namen einer deutschen Frau nennen, die ein großes, edles (= nobles) Herz hatte, die ein edles, treues Weib war, eine gute, treue Mutter?
Anna: Bitte, Herr Meister!
Herr Meister: Luise, Königin von Preußen.
Bella: Den Namen will ich mir aufschreiben.
Herr Meister: Thun Sie das. Königin Luise — o, was für ein Weib war sie! In ihrer Zeit war Napoleon Herr in Europa, und Europa fühlte seine Hand, besonders aber Preußen und Preußens König. Da war diese Königin Luise, ein schwaches Weib, stärker als alle, weiser als alle. Sie war, wie ein strahlender (= scheinender) Stern in der Nacht. Ein helfender Engel war sie allen; ihrem Gemahl war sie stets zur Seite, im Kabinet und in der Schlacht (= Kampf). Wundern Sie sich, daß sie geliebt wurde vom deutschen Volke, daß das deutsche Volk noch heute sie verehrt, liebt und achtet? Wundern Sie sich, daß die Söhne von einer solchen Mutter gut und groß werden, wie Kaiser Wilhelm es ist?
Bella: Ist Kaiser Wilhelm ihr Sohn?
Herr Meister: Ja, Kaiser Wilhelm ist ihr Sohn. Kaiser Wilhelm ist heute mehr als achtzig Jahre alt, und noch denkt er, wie ein Kind mit liebevollem Herzen, an seine Mutter, und sagt, daß das Andenken (ich denke an) an seine große Mutter ihm Mut und Stärke gegeben in den schwersten Tagen seines Lebens. O, meine Freunde, in den Händen von guten Frauen liegt (= ist) oft das Wohl und Wehe von vielen, vielen Menschen. Unser größter Poet in der alten deutschen Litteratur sagt: »Die Frauen bringen den Menschen von der Hölle zum Himmel,« und Goethe endet sein großes Poem »Faust« mit den Worten:
»Das ewig Weibliche zieht uns hinan.«