Luca trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Dann warf er seiner Mutter einen gelangweilten Blick zu. Weihnachten auf dem Bauernhof, umgeben von Wald. Konnte es noch etwas Uncooleres geben? Für Luca jedenfalls nicht. Er vermisste seine Playstation, Spiderman und den grünen Kobold sowieso, die zu Hause nun ihren Kampf alleine ausfechten mussten. Ihm war stinklangweilig.
"Jetzt motz nicht rum, geh raus in den Schnee!", schlug seine Mutter vor.
"Ich soll rodeln wie ein kleines Baby meinst du? Vergiss es!", gab er zurück.
"Na, wie du willst - ich geh jedenfalls raus. Vielleicht überlegst du es dir noch anders. Papa und ich sind hinter dem Haus und machen ein Wettrennen!"
War das zu fassen? Seine Mutter benahm sich schrecklicher als die Mädchen in seiner Klasse, und das mochte schon was heißen. Die kicherten ständig, fanden alles und jedes "ach so süß" und kaum war der erste Schnee gefallen tobten sie wie Kleinkinder herum. Luca verdrehte die Augen und streckte sich längs auf der Bank vor dem Kamin aus.
"Ja geh nur und amüsier dich gut…", Luca gähnte.
Seine Mutter zog die rosa Pudelmütze über und lief aus der Küche. Luca schüttelte den Kopf und starrte wieder an die Decke. Draußen hörte er seine Eltern juchtzen und kichern. Das war ja nicht auszuhalten, wie die sich benahmen.
Da verstummte das Lachen, Luca lauschte noch eine Weile, doch nichts war zu hören.
Vorsichtig lugte er zum Hinterausgang hinaus. Eisiger Wind blies ihm entgegen und er fröstelte. Rasch lief er zurück und zog sich Skianzug, Stiefel, Mütze und Schal an. Der Schnee knirschte unter seinen Füßen, dicke weiße Wolken kamen beim Atmen aus seinem Mund.
"Brrrr…", machte er und sah sich um. Die Spuren waren eindeutig von seiner Mutter und seinem Vater, doch Weit und breit war kein Schlitten zu sehen.
Die Sonne war schon fast hinter dem Hügel verschwunden und ließ den Schnee wie tausend Edelsteine funkeln. Rot, Orange und Gelb mischten sich am Himmel. Lucas Augen tränten im bitterkalten Abendwind, der von den Schneehügeln herüberwehte. Dahinter lagen noch mehr Schneehügel in sanften Wellen, ein ganzes Schneeland erstreckte sich über den Rest der Welt.
Der Junge schlitterte plötzlich auf einer eisigen Stelle. Wild fuchtelnd mit den Armen, landete er auf einem Schneehaufen. Er grinste, aber nicht etwa wegen seiner unsanften Landung. Es war etwas ganz anderes.
Er sah hoch und stellte sich vor, der Wald würde zu einem Vulkan und das Rot der Sonne zum Feuerregen eines Säbelzahndrachens. Luca wurde zum Ritter und kletterte in Gedanken den steilen Vulkan hoch. Oben wartete der riesige Drache. Der Ritter hob seine Lanze und kämpfte gegen das Untier. Schließlich wollte er nicht, das Schneeland vom heißen Atem des Ungeheuers zu Wasser würde. Es war nicht leicht, denn der Drache bäumte sich auf und schlug mit seinen Krallen nach Luca. Seine Säbelzähne glänzten, aus den Nasenlöchern stieg dunkler Rauch. Doch Ritter Luca hatte eine Geheimwaffe: der Eiszapfen der tausend Schwerter, den ihm ein berühmter Magier geschenkt hatte. Mit diesem würde er kämpfen und den Feuerspeier zur Strecke bringen. Als Dank würde ihm der König von Schneeland viele Edelsteine schenken - so funkelnd wie die Sterne, die schon hie und da am klaren Winterhimmel aufblitzten. Lucas Backen leuchteten rosig im Dämmerlicht. Bald würden die Leute im ganzen Land über den tapferen Ritter Luca berichten, und ihm zu Ehren ein Fest geben.
"Schöner Anblick, nicht wahr?", sein Vater lächelte. Er stand hinter Luca und sah in den Sonnenuntergang.
Luca räusperte sich. "Hm, ja, ganz nett …" Er wollte nicht zugeben, wie toll er es fand, außerdem war es sein Drache. Nur seiner. Ein Drache zu Weihnachten. Luca grinste wieder.
"Wir haben Holz für den Kamin geholt, komm wir gehen rein." Seine Mutter kicherte. Jetzt ging das wieder los!
Luca blickte noch einmal über die Schulter und es sah so aus, als würde eine zackige, feuerrote Schwanzspitze hinter dem Hügel verschwinden.