Über des Buben Hand aber rann das Blut, und die Wunde schmerzte heftig. Friede nahm einen Krug mit Wasser, den er sich immer an der Quelle, an der er früh vorbeikam, füllte, und wusch die Wunde ab. Der Papagei hatte ein ganzes Stück Fleisch aus dem Ballen der linken Hand gehackt, und so weh es tat, Friede dachte doch: „Gut, daß es die linke Hand ist, da kann ich wenigstens was anfassen.“ Der Papagei zappelte in seinem Gefängnis hin und her, bald fuhr er hier, bald dort mit seinem Schnabel durch den Stoff und suchte sein Gefängnis zu zerreißen. Friede hatte einen Bindfaden genommen und damit die Kette an einem niedrigen Ast angebunden; kam der Vogel aus dem Sack heraus, so mußte er immer noch eine Weile zerren und beißen, ehe er ganz frei wurde.
Etwas hilflos sah sich Friede nun um. Er wußte nicht recht, was er tun sollte; seine Herde konnte er Seite 189nicht verlassen, sie heimzutreiben, war es zu früh, aber die Hand tat ihm sehr, sehr weh, und er sehnte sich nach Muhme Lenelies, die so gut solche Schäden zu heilen wußte.
Es war recht gut, daß an diesem Tage Leberecht Sperling auch einmal aus dem Walde heraus nach dem Buchberg ging, sonst wäre dem armen Friede die Zeit doch wohl recht lang geworden. Seit ihn der Waldhüter heimgetragen, war zwischen ihnen beiden eine stille Freundschaft, und so rief Friede heute auch laut, als er diesen von ferne erblickte: „Herr Waldhüter, Herr Waldhüter!“
„Na, was soll's denn?“ brummte der und kam näher. Friede rannte ihm entgegen und erzählte ihm rasch von seinem Fange. „Den suche ich doch gerade, diesen Ausreißer,“ schalt Leberecht Sperling. „Unsere Frau Gräfin ist ganz traurig, und die junge Gräfin heult wie – wie eine Dachrinne.“ Daß eine weinende Gräfin und eine tropfende Dachrinne doch recht verschieden sind, störte den Waldhüter nicht, und Friede fand den Vergleich sehr schön. Leberecht Sperling aber schimpfte auf den Papagei, auf Friede, auf die verletzte Hand, auf des Waldmüllers Ziegen, weil die neugierig herbeikamen, auf die Sonne, die zu heiß brannte, und noch auf alles Mögliche und Unmögliche. Seite 190Als er genug geschimpft hatte, sagte er, Friede solle noch ein wenig warten, er würde nach seinem Hause gehen, das nahe lag, und einen Korb holen und darin den Papagei selbst nach dem Schlosse tragen. Es dauerte auch nicht lange, da kam Leberecht Sperling wieder zurück. Er brachte in dem Korb ein reines Tuch und eine Flasche Arnika mit und verband Friede unter vielem Stöhnen und Brummen sehr sanft und ordentlich die Hand, dann holte er aus dem Korb noch einen Topf Kaffee und ein Stück Striezel heraus, sagte zu Friede mit einer Stimme, als wollte er den Buben selbst aufessen, er sollte jetzt essen und trinken, nachher würde er wiederkommen und ihm erzählen, wie er den Papagei nach dem Schloß gebracht hätte. „Mach die Tür' zu, mach die Tür' zu,“ schrie der Gefangene in seinem Korb. „Freilich wird sie zugemacht,“ brummte Leberecht Sperling ungerührt und trabte los.
Friede saß nicht mehr lange in Einsamkeit und Stille unter der Eiche. Schwatzend, lärmend, Musbrote schmausend, sehr aufgeregt und hoffnungsvoll kamen ungefähr zwanzig Buben und Mädel angelaufen. „Friede, wir suchen einen Papagei! Friede, denke nur, er kann sprechen, und wenn wir ihn fangen, dann kriegen wir was!“
Traumfriede lachte und erzählte nun von seinem Seite 191Fang, und daß Leberecht Sperling den Papagei nach dem Schloß getragen hätte. „Das ist doch ein Märchen,“ sagte Annchen Amsee, und ein paar Stimmen riefen: „Er neckt uns nur.“