Die Gräfin saß allein in ihrem Garten auf einer Bank und weinte. Der Einsiedler ging zu ihr hin und sagte:
»Gute Frau, warum weinen Sie?«
»Ich weine, weil mein Mann heute nach Hause kommt!« schluchzte die arme Frau.
»Lieben Sie Ihren Mann denn nicht?« fragte der Einsiedler erstaunt.
»Ja wohl! Über alles liebe ich ihn! Aber er kommt glücklich nach Hause, er denkt seinen Sohn zu finden, und hier ist kein Sohn mehr!«
»Ist der Knabe tot?« fragte der Einsiedler.
»Nein, er wurde vor sechs Jahren entführt!« sagte die arme Mutter. »Vielleicht ist er Räuber geworden, denn ich habe kein Wort von ihm gehört, und ich hätte doch viel Geld gegeben, um ihn wieder zu haben.«
»Ach, vielleicht finden Sie das Kind noch!« sagte der Einsiedler. »Hören Sie, schöne Frau, ich kenne ein Kind, das wie Ihr Knabe sehr jung gestohlen wurde. Es wohnte sechs Jahre lang in einer Höhle, es war bei bösen Männern, aber Gott war auch da. Gott hat das Kind aus dem Berge geführt. Ich habe den Knaben seinem glücklichen Vater wiedergegeben.«
»Ach,« schluchzte die schöne Frau, »wie froh die armen Eltern sein mußten. Was sagte die Mutter, als sie ihr Kind wieder sah?«
»Das kann ich noch nicht sagen,« antwortete der Einsiedler. »Die Mutter weiß noch nicht, daß ihr Kind gefunden ist.«
»Ach, guter Einsiedler, gehen Sie schnell, sagen Sie es der armen Mutter!«
Der Einsiedler blieb still stehen und sagte:
»Danken Sie Gott, gute Frau, Er hat Ihnen viel Gutes gethan!«
Da verstand die Gräfin, daß sie die glückliche Mutter und daß ihr Kind gefunden sei.
Nach kurzer Zeit kam der Ritter mit dem kleinen Heinrich, und die Freude war groß im Schlosse von Eichenfels.
Am Abend, als die Eltern alles gehört hatten, sagte der Einsiedler:
»Und jetzt, Ritter von Eichenfels, sollten Sie die Räuber gefangen nehmen lassen!«
»Das habe ich schon gethan!« sagte der Ritter. »Diesen Morgen früh sind meine Soldaten fortgegangen. Sie werden den Berg umringen, dann werden einige Soldaten in die Höhle gehen, und sie werden Räuber und Beute hierher bringen. Ach, da kommen sie ja schon!«
Sie gingen alle hinaus und sahen die Soldaten, welche die Räuber führten. Die Räuber waren alle festgebunden, und vier Wagen voll Beute folgten ihnen. Sie waren sehr erstaunt, den kleinen Heinrich da zu sehen.
Der Ritter sagte: »Die Räuber haben gestohlen und gemordet, sie müssen des Todes sterben! Nur der Jüngling da soll nicht sterben, denn ich weiß von meinem Sohne, daß er nie stehlen wollte, und daß er ehrlich werden wollte. Er soll dem kleinen Heinrich dienen, und hier in meinem Schlosse soll er lernen, ein ehrlicher Mann zu werden.«
Der Graf und die Gräfin von Eichenfels belohnten den Schäfer, der Heinrich gefunden hatte, und, da der Einsiedler weder Gold noch Silber nehmen wollte, ließen sie ihm eine Einsiedelei bauen.
Heinrich wurde groß, aber er vergaß nie die Höhle und die Jahre, die er im Berge verlebt hatte. Er vergaß auch nicht, was der gute Einsiedler ihm gelehrt hatte, und oft sagte er zu seinen Kindern: