Wie sie nun so die Landstraße hinab zogen nach dem Dörfchen zu, kam ihnen eine Schaar von Schulkindern[159] entgegen, die hinter die Schule gegangen waren, um sich im Walde lustig zu machen. Als sie die Blindekuh kommen sahen und die Vögel umher, fingen sie laut an zu lachen und waren sehr ausgelassen und unartig, daß die Vögel scheu wurden und sich zwitschernd in das Nest zwischen den Hörnern verkrochen. Da stand die arme Prinzessin still und fragte: Was ist denn das? Lassen sie mich denn Alle im Stich? – Die Schulkinder aber umringten sie und riefen durch einander: Hört doch einmal! die Blindekuh kann sprechen. Einer von ihnen, der älteste und ein gar übermüthiger Junge, gab ihr geschwind die Leine wieder, führte sie eine Strecke vorwärts und sagte: Blindekuh, ich führe dich. – Wohin denn? fragte die Prinzessin ganz verblüfft. – In den Kuhstall! war die Antwort. – Und was soll ich da? – Milch essen, Blindekuh. – Ach Gott, ich habe ja keinen Löffel. – Dann such dir einen, rief der böse Bube lachend und ließ die Leine fahren. Nun tappte die Blindekuh ängstlich im Kreise herum; aber die Schulkinder wichen ihr neckend und spottend aus, und da sie nicht wußte, wohin sie ging, lief sie gerade auf die Bäume zu und hätte sich gewiß den Kopf ganz wund gestoßen. Da trat noch zur rechten Zeit der kleine Kuhjohn aus dem Walde heraus, eine Menge Kuhblumen unter dem Arm, und wie er so plötzlich Naserümpfchen vor sich sah, freute er sich wie ein König, obgleich er seinen Verstand zwischen dem Farnkraut gelassen hatte. Er ging geschwind zu ihr heran, streichelte sie[160] und gab ihr seine Blumen zu fressen. Wie sie aber die letzte verschluckt hatte, da war's gerade der Haufen, von dem die Melkmarei in dem Zauberspruch geredet hatte, und sie stand als die wunderschöne Prinzessin da, die sie gewesen war. Nur hatte sie einen wunderlichen Kopfputz von Heu und das Nest lag oben auf. Da flogen die Spatzen lustig herunter und ihrem Herrn auf die Schultern und konnten sich gar nicht lassen vor Freude. Der aber ging muthig auf Naserümpfchen zu, umarmte sie und küßte sie wer weiß wie oft. Denn sein Respekt war mit dem Miethszettel in die Höslein gestopft und drin elendiglich erstickt.
Man begreift, was für alberne Gesichter die Schulkinder bei alle dem machten; aber die Prinzessin schenkte ihnen ihr Schnupftuch, damit sie sich die Lippen fegen und reinen Mund halten sollten, was sie auch versprachen. Dann spazierte sie mit dem Kuhjohn nach der Stadt zurück, und was sie sich alles gesagt haben, mag der Himmel wissen. Ich kann nur ein Lied verrathen, das die Prinzeß sang, und der Kuhjohn brummte die zweite Stimme. Das hieß so:
Es pirscht ein Jäger durch den Hain,
Schießt allem Wild ins Herz hinein.
Freikugeln hat er geladen;
Die fehlen nicht und knallen nicht,
Thun allerort viel Schaden.
Du sprödes Reh, es hilft dir nicht,
Gehst du abseit im Walde dicht;
Bist dennoch schlecht geborgen.
Des Jägers Meute find't dich doch;
Das sind die bösen Sorgen.[161]
Die Sorgen bös, die Sorgen lind,
Die Wunden weh und lieblich sind.
Und wer es nie empfunden,
Der weiß auch nicht, wie süß es thut,
An lieben Lippen gesunden.
Das sangen sie denn, und Jedes dachte sich sein Theil dabei und die Spatzen auch. Wie sie aber in die Stadt kamen zum König Grobianus, war der hocherfreut, seine Tochter wieder zu haben und wollte nun geschwind wissen, wer der fremde Herr sei; denn er erkannte ihn nicht, weil ihm der Miethszettel fehlte. Da erzählte der Kuhjohn die ganze Begebenheit und wer er wäre; aber er fand überall Unglauben, und die Bücherwürmer und Rathschläger wurden befragt. Die ersteren ließen sich's nun sehr wurmen, und die Rathschläger schlugen Rath daß sie schwitzten, erkannten aber einstimmig, der Kuhjohn wär's einmal nicht; erstens fehle der Miethszettel, und dann sei vom Kuhjungenverstand keine Spur bei ihm zu finden. Ja das sei natürlich, bemerkte der Kuhjohn; er habe ihn unterwegs im Farnkraut verloren. Da ließ der König wieder einen Steckbrief in die Zeitung setzen: wo sich ein herrenloser Kuhjungenverstand, so und so angethan, blicken ließe, der auf den Namen Kuhjohn höre, solle männiglich auf ihn fahnden und ihn dem Bräutigam von Naserümpfchen gegen eine angemessene Belohnung wieder ausliefern. Die Hochzeit aber wurde gleich gehalten, und Grobianus war die Höflichkeit selbst, zog auch mit Bleistift einen Strich mitten durch sein Reich und schenkte die eine Hälfte[162] seinem Eidam. Weil aber Naserümpfchen das Spatzennest noch immer auf dem Haupt behielt, machten's ihr bei der Hochzeit alle Hofdamen nach und zwar von ihren eignen Haaren, so daß seitdem die Sitte, ein Nest auf dem Kopf zu tragen, sehr gewöhnlich geworden ist.
Am andern Morgen, als das junge Ehepaar aufwachte und Naserümpfchen eben zu ihrem Kuhjohn sagte: Ich weiß doch, daß du mein Kuhjohn bist, und habe dich nur noch lieber darum – kam plötzlich die Melkmarei ins Zimmer geflogen, krächzte in einem Athem: Guten Morgen! und ade! und legte was auf den Nachttisch, worauf sie zum Fenster hinaushuschte. Als die Beiden die Bescherung besahn, da war's denn richtig des jungen Ehemanns Kuhjungenverstand. Mit dem hat er lange gerecht regiert und alle Jahr ein Fest feiern lassen, an dem die Schulkinder hinter die Schule gingen, Blindekuh spielten und jedes ein Taschentuch geschenkt bekam. Der Melkmarei wurde nach des Grobianus Tode eine herrliche Bildsäule auf demselben Platz errichtet, wo sie verbrannt worden war, und alljährlich den Armen Brodsuppe vertheilt zu ihrem Andenken. Die Nachkommen des Kuhjohn aber haben all diese Stiftungen eingehn lassen, die Brodsuppe selber gegessen und mit den Taschentüchern ihre eigne Nase geputzt. Leider schlugen sie überhaupt völlig aus der Art, schrieben sich auf französische Mode Cujon und sind weiter nichts nutz gewesen, als daß sie sprichwörtlich genannt werden, wo von einem unausstehlichen Plagegeist die Rede ist.