Nun wurde es aber stockfinster, denn der Mond war noch nicht hoch herauf. Die Prinzessin sah zwar die Finsterniß nicht, weil sie ja blind war; aber sie war doch erstaunlich müde, und der Kuhjohn merkte ihr's wohl an. Zufällig kamen sie an eine Stelle, wo ein seltsames Moos wuchs. Der junge Jäger nämlich hatte sich vor Zeiten dort seinen Backenbart abrasirt, und der hatte in dem fetten schwarzen Boden Wurzel geschlagen und mächtig gewuchert, daß man so weich drauf lag, wie auf einer Pferdehaarmatratze. Da hielt der kleine Kuhjohn[153] still und fragte die Blindekuh, ob sie hier übernachten wollten. – Ach ja, erwiederte das verwunschene Naserümpfchen. Es ist nur fatal, daß ich mit meinen vier Beinen so unbeholfen bin und mich nicht niederlegen kann; am Ende weiß ich mir morgen nicht wieder aufzuhelfen! Und in den Kleidern muß ich auch bleiben; denn die Kuhhaarstrümpfchen gehn nicht ab und die gespaltenen Schuhe auch nicht. Ach Gott, wenn ich nur erlös't wäre! – Der kleine John wurde durch ihre Worte immer trauriger, nahm ihr sanft die Leine aus dem Maul, und so schlief sie stante pede die ganze Nacht, und die Spatzen schlupften in das Nest zwischen ihren Hörnern und schnarchten ein wunderschönes Concert zusammen.
Der Kuhjohn hätte sich gar zu gern auf das weiche Haarmoos gestreckt; aber das gab doch der Respekt nicht zu, daß er lag, während die Prinzessin stand. Er kauerte sich also mit untergeschlagenen Beinen neben sie und faltete die Hände, so daß es fast so aussah, als ob er sie anbete. Aber weil er so viel Sorgen hatte ihretwegen, auch gar unbequem saß, kam er zu keinem rechten Schlaf und wachte alle Augenblick auf. Nun wurde es aber nach und nach blitzeblank am Himmel; denn es war große Illumination, dem Geburtstag der Jungfrau Maria zu Ehren. Weil aber das Gewimmel von Sternen gar zu groß war, verlor hie und da ein junger unerfahrner die Balance und fiel dann radschlagend auf die Erde herunter ins Gras. Das sah der kleine Kuhjohn nicht, sondern gewahrte mit[154] seinen verschlafenen Augen nur das gelbe Flimmern durch das Grün, und weil er in Gedanken immer bei der Prinzessin war und ihrer Erlösung, meinte er, es seien lauter Kuhblumen und machte sich halb im Traum auf, sie zu pflücken. Dazu kam noch, daß die Irrwische jedesmal, wenn ein Stern gefallen war, herbeihüpften, um wo möglich was Neues zu erfahren aus dem himmlischen Reich. Aber die Sterne fielen immer so hart auf den Kopf, daß ihr Lebensflämmchen erlosch, und da konnten sie auch nichts mehr sagen, als höchstens ein Stoßgebetlein ums ewige Leben. Da wurde der kleine Kuhjohn immer von neuem betrogen; denn es flimmerte wohl überall gelb und goldig, aber sobald er nahe kam, erlosch der Schein, daß er sich ganz erhitzte und doch nichts haschte. Und so lief er weit weit weg, immer den Kuhblumen nach, bis er ganz erschöpft ins Gras sank und einschlief.
Als die Sonne aufging am andern Morgen, wunderte sie sich nicht wenig, den kleinen Kuhjohn in der Waldwildniß zu sehn und die Blindekuh fernab am Wege auf dem weichen Bartmoos. Der Kleine aber, wie er die Augen aufthat und noch halb verschlafen fragte, wie Prinzeß Naserümpfchen geruht habe, erschrak und wurde im Gesicht so kreideweiß wie sein Miethszettel. Er lief die Kreuz und Quer zwischen dem hohen Farnkraut herum und rief nach der Prinzessin; aber da bekam er keine Antwort, kein Muh! und kein Puh! Nun malte er sich's immer deutlicher aus, wie es doch gegen den Respekt wäre,[155] die blinde Prinzessin so im Stich zu lassen und wie übel es ihr nun ergehen könne; das machte ihm das Herz fast zerspringen. Die alte Rabe kam geflogen und brachte ihm einen Topf mit Brodsuppe, den sie irgendwo gestohlen hatte. Sie setzte ihn gerade vor seine Nase auf einen Baumstumpf; aber der Kuhjohn war ziemlich kalt dagegen. Brodsuppe hin, Brodsuppe her! sagte er. Sie hat's eingebrockt und ich muß es ausessen. Ach die arme Prinzessin! Ach mein schöner Respekt! wo ist der hin? Könnt' ich nur wenigstens den Verstand verlieren! – Damit warf er sich längelangs in das Farnkraut und weinte, daß es nur so schwamm und alle Pilze versalzen wurden. Dann stand er wieder auf und wehklagte hin und her durch die Waldeinsamkeit, bis es zuletzt dahin kam, daß er wirklich den Verstand verlor. Da lag nun der schöne Kuhjungenverstand zwischen dem Farnkraut, und die Käfer liefen als ob's gar nichts wäre darum herum und befühlten ihn mit den dünnen Vorderbeinchen. Der frühere Besitzer aber ging weiter, hörte mit einmal auf zu weinen und sagte: Gott sei Dank! da hab' ich meinen Verstand verloren, und nun wird noch Alles gut. – Es war zwar nicht viel, was er von Verstand bei sich führte; aber zuweilen war's ihm doch unbequem gewesen. Ei wie er nun sang und sprang, als wäre er einen Stein vom Herzen los geworden! Die Melkmarei aber, die alte Rabe, hatte sich die Stelle wohl gemerkt, wo der Verstand lag, flog nun hinter ihm her, und steckte ihm ganz sacht, so[156] daß er's nicht inne ward, den Miethszettel hinten in die Höslein. Sie hatte ihre guten Gründe dabei, wie sie überhaupt alles bisher nur ihrem Freunde zum Besten eingerichtet hatte. Der ging immer zu, pflückte Kuhblumen ab, wo er welche sah, und sagte im Stillen: Es muß da hinten bei meinem Miethszettel etwas nicht richtig sein; am Ende hat mein Verstand darin gesessen und er ist mit verloren, denn ich fühle nichts mehr baumeln. Weiter forschte er aber nicht, weil er eben keinen Verstand mehr hatte.